Barbara Cartland - Spiel der Herzen

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Die vornehme Gesellschaft Europas, die sich jeden Sommer im eleganten Kurort Baden-Baden ein Stelldichein gibt, ist fasziniert von der reinen Schönheit und dem natürlichen Charme von Selina. Vor allem die Männer verwöhnen sie mit Komplimenten und aufwendigen Blumengeschenken. Endlich kann Selina die schrecklichen Erlebnisse, die hinter ihr liegen, vergessen. Sie lässt sich aber nicht von dem Glanz der Salons und der Ballsäle betören, sondern schenkt ihr Herz dem Berufsspieler Quintus Tiverton, der sie vor der Gefahr schützt, in unehrenhafte Liaisons verstrickt zu werden. Auch er kann sich ihrem Liebreiz nicht entziehen…

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1 ~ 1868

Es goß in Strömen, und der von den Bergen herüberwehende Wind war bitterkalt, als ein Gentleman in den Hof der Poststation einritt.

Die erleuchteten Fenster, das Stimmengewirr und das fröhliche Lachen waren angenehm nach einem langen Ritt, bei dem das Wetter ungemütlicher gewesen war als der Schlamm und die unebene Straße.

Der Mann schwang sich aus dem Sattel und wartete, bis sein Diener auf einem anderen Pferd vorritt und ihm die Zügel abnahm. Erst dann ging der Mann in den Gasthof.

Als er durch die Tür trat, war er überrascht, einen illustren Kreis um ein großes Holzfeuer versammelt zu sehen. Sie saßen in dem niedrigen Raum und tranken und rauchten.

Er ging zum Wirt hinüber, der damit beschäftigt war, Bier in Tonkrüge zu schenken, und erklärte mit bestimmtem Ton: »Ich wünsche für die Nacht ein Zimmer für mich selbst und eines für meinen Diener.«

»Unmöglich, mein Herr«, antwortete der Wirt, ohne den Blick zu heben.

Doch dann sah er auf.

Als er die Erscheinung des Reisenden wahrnahm, sagte er mit völlig anderem Ton: »Es tut mir außerordentlich leid, mein Herr, daß ich Ihnen nicht zu Diensten sein kann. Aber Tatsache ist, daß wir bereits mehr Gäste haben, als wir unterbringen können.«

Der Herr schaute sich um.

»Woher kommen die alle?« fragte er neugierig.

Er erkannte sehr wohl, daß es sich hier nur um eine kleinere Poststation handelte, und er hatte gewiß nicht erwartet, hier elegante Damen in Seidenkleidern und kostbaren Pelzen und Herren in modischen, enganliegenden Jacketts und Mänteln anzutreffen, die mit Zobel besetzt waren.

»Ein Steinschlag hat die Schienen blockiert, mein Herr. Diese Reisenden befinden sich alle auf dem Weg nach Baden-Baden. Sie zogen es vor, Schutz in meinem Gasthof zu suchen, anstatt die Nacht im Zug zu verbringen.«

»Ich hoffe doch, Sie können mir irgend etwas zu essen geben?«

»Gern, mein Herr. Es wird mir ein Vergnügen sein. Aber ich kann Ihnen nur mit dem größten Bedauern versichern, daß wir wirklich keine Bettkammer mehr frei haben.«

Während der Wirt noch sprach, trat seine Frau, eine untersetzte, stämmige Frau mit Spitzenkappe und weißer Schürze, an seine Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Der Wirt schien zu zögern.

Dann sagte er: »Ich wage es kaum, Euch diesen Vorschlag zu machen, mein Herr, aber es gibt noch eine Kammer im Speicher, die unbesetzt ist. Für gewöhnlich wird sie einem Diener zugewiesen. Aber Ihr könntet euch zumindest niederlegen, und es wäre angenehmer, als die Nacht im Stuhl zu verbringen.«

»Ich nehme es!« sagte der Fremde kurz angebunden. »Und wenn mich jetzt jemand im Speiseraum bedienen wollte? Ich möchte Wein bestellen.«

Als er sich umdrehte und zum Speisesaal hinüberging, folgten ihm die Blicke der Wirtin bewundernd.

Kein Zweifel, er sah nicht nur gut, sondern auch vornehm aus und trug seine Kleider mit der nachlässigen Eleganz, die ihn als Engländer auswies.

Ebenso wie ihrem Mann waren auch ihr der goldene Siegelring und die Perle in seiner Krawatte nicht entgangen.

Aber es war nicht nur der Eindruck von Reichtum und Eleganz, der sie dem Herrn nachstarren ließ, bis er nicht mehr zu sehen war. Da war noch etwas anderes, etwas, das auch die anderen Frauen dazu bewegt hatte, ihm einen zweiten Blick zu schenken, als er durch den überfüllten Raum schritt.

Da es bereits spät war, war der Speisesaal leer, mit Ausnahme von ein paar älteren Männern, die vor einer Flasche Port hockten.

Der Neuankömmling nahm an einem Tisch nahe des offenen Kamins Platz. Als der Kellner herbeieilte, um seine Bestellung entgegenzunehmen, sah er die Speisekarte gründlich und sorgfältig durch und wählte dann seine Speisen mit einer solchen Kenntnis aus, daß es ihm mehr Respekt eintrug, als man den meisten Reisenden entgegenbrachte.

Nachdem er nur kurz gewartet hatte, brachte man ihm gut gekochten Hecht, zartes Geflügel, Wildbret in einer Marinade aus Wein und eine Auswahl an Obstspeisen, die alle sehr appetitlich aussahen.

Der Wein war nicht überragend, aber gut trinkbar, und nachdem er eine große Menge verzehrt hatte - es war seine erste Mahlzeit an diesem Tage -, lehnte sich der Herr in seinem Stuhl zurück und nippte seinen Port.

Ihm war warm, er hatte keinen Hunger mehr, und wie immer das Bett auch sein mochte, er wußte, daß er gut schlafen würde.

Der Speisesaal war jetzt leer, und in dem Raum, der noch voller Reisender gewesen war, als er eintraf, war es jetzt viel ruhiger.

Die meisten der Frauen hatten sich nach oben in die Zimmer zurückgezogen, die ihnen zugewiesen worden waren, und die Männer, die noch am Kamin saßen und rauchten, nickten mit den Köpfen, offensichtlich zu müde, um sich noch zu unterhalten.

Der Herr sah sich nach dem Wirt um. Er war dabei, seinen Umsatz an Getränken zu errechnen, die an diesem Tag verkonsumiert worden waren.

»Ist mein Zimmer für mich bereit?« fragte der Herr.

»Euer Diener hat Eure Habe bereits hinaufgebracht, mein Herr. Ich kann nur noch einmal mein Bedauern darüber ausdrücken, daß ich Euch keine würdigere Bettstatt zu bieten habe.«

»Ich werde schon zurechtkommen«, meinte der Fremde großzügig.

»Wenn Ihr bitte die Treppe hinauf steigen würdet, mein Herr. Der Raum befindet sich unter dem Dach. Es ist gleich die erste Tür, wenn Ihr ganz oben ankommt.«

»Ich werde es schon finden«, antwortete der Herr und schlenderte langsam die Eichentreppe hinauf, bis er schließlich den Dachboden erreichte. Hier war es so niedrig, daß er den Kopf beugen mußte.

Er wußte sehr wohl, daß in einem solchen Gasthof die Speicherkammern, die ja direkt unter dem Dach lagen, im Sommer heiß und im Winter kalt waren, und so war er erleichtert, als er das Feuer im Kamin entdeckte.

Das Zimmer war klein und enthielt ein Bett, das an einer Wand stand, und einen Stuhl.

Das Bett hatte offensichtlich schon bessere Tage gesehen. Es war wohl von einem der besseren Zimmer im Gasthof in den Speicher geschleppt worden, damit es aus dem Weg war.

Es war ein hohes, plumpes Kastenbett, wie es die deutsche Hausfrau liebte, und die Vorhänge, die einst für Intimität gesorgt hatten, waren jetzt dünn und voller Löcher.

Aber auf den ersten Blick konnte der Herr sehen, daß die groben Leintücher sauber waren, und er war ziemlich sicher, daß die Matratze aus Gänsefedern und somit außerordentlich bequem war.

Er zündete eine Kerze an, die auf dem Kaminsims stand. In diesem Augenblick hörte er den Schrei aus dem Nebenzimmer.

Während der Herr still stand und lauschte, hörte er einen zweiten Schrei, und dann noch einen, und noch einen.

Da die Schreie gedämpft klangen, ging der Herr durchs Zimmer zur gegenüberliegenden Wand, um zu hören, was dort vor sich ging.

Zu seiner Überraschung hörte er eine Frauenstimme auf Englisch sagen: »Nein... nein... bitte nicht... schlagen Sie mich nicht mehr... ich... es tut mir leid, sage ich Ihnen... es tut mir... leid... ich wollte... es nicht tun.«

»Ob du das wolltest oder nicht, du weißt, was du getan hast, und ich werde dafür sorgen, daß du so etwas nie wieder tun wirst!« erwiderte eine böse, ebenfalls weibliche Stimme.

Man hörte das Geräusch einer Peitsche, und jeder weitere scharfe Knall zog einen halbunterdrückten Schrei nach sich.

Wieder flehte die Stimme: »B-bitte... bitte... nicht mehr... ich konnte... nichts dafür... ich schwöre es... ich konnte... nicht anders.«

Das Geräusch der Peitsche klang fast monoton herüber, bis die Schreie schwächer wurden.

»Das soll dir eine Lehre sein«, erklärte die Frauenstimme scharf, »eine Lehre, die du so bald nicht vergessen wirst. Wenn wir in Baden-Baden sind, wirst du mir gehorchen und tun, was ich will. Andernfalls liefere ich dich der Polizei aus, und die werden dich nach Paris zurückschicken, wo du auf die Guillotine geschickt wirst. Ist das klar?«

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