»Allerdings. Als sie Mrs. Hunt hereingerufen und ihr erklärt hat, daß sie mich einstellen wollte, hat Mrs. Hunt gesagt: ,Ich hoffe bloß, Madam, daß Sie mit den anderen Mädchen, die ich Ihnen in der Vergangenheit geschickt habe, zufrieden gewesen sind.'
Mrs. Devilin hat gelacht. ,Viel zu sehr, Mrs. Hunt! Sie sind so attraktiv und charmant gewesen, daß sie beide schon geheiratet haben. Eine einen sehr reichen Mann, die andere einen Adligen.'
,Das ist schön für sie, Madam', rief Mrs. Hunt aus.
,Aber ärgerlich für mich!' erwiderte Mrs. Devilin. Deshalb habe ich Sie heute erneut aufgesucht; denn ich muß sagen, daß ich sehr zufrieden mit den Diensten bin, die Sie mir erwiesen haben.'
,Wir tun unser Bestes, Madam. Darf ich mir erlauben hinzuzufügen, daß wir das bei weitem größte und exklusivste Vermittlungsbüro in London haben. Unsere Kundschaft ist sehr vornehm. Ich sage immer zu meiner Assistentin, daß sich unsere Kundenliste liest wie eine Seite aus dem Debrett!'«
Nachdem Selina ihre Geschichte erzählt hatte, wartete sie auf den Kommentar ihres Onkels.
»Das klingt allerdings sehr gut, Selina«, hatte er gesagt.
Trotzdem klang Zweifel aus seiner Stimme, und Selina wußte, daß ihn der Gedanke immer noch beunruhigte, daß sie nach Paris ziehen wollte. Aber ihre Aufregung kannte keine Grenzen.
In jener Nacht hatte sie nicht schlafen können. Sie hatte ihren kleinen Lederkoffer gepackt und hatte wach gelegen, hatte abwechselnd Gott dafür gedankt, sie so gut beschützt zu haben, und gerätselt, was sie in Paris wohl alles erwarten würde.
Sie und Mrs. Devilin waren im Zug nach Dover gefahren, hatten den Ärmelkanal überquert und dann einen Zug nach Paris genommen.
Es war eine lange, ermüdende Reise gewesen, aber sie waren zweiter Klasse gefahren, und Selina hatte sich von Luxus und Bequemlichkeit umgeben gefühlt.
Erst als sie in Paris eintrafen, überraschte Mrs. Devilin sie mit der Nachricht, daß ihre Nichte nicht im Haus wäre.
Es war ein langes, schmales, graues Gebäude in einem, so erklärte man ihr, vornehmen Teil von Paris, ganz in der Nähe der Rue de St. Honoré.
Sie hatte angenommen, daß es Mrs. Devilin gehörte, doch aus ein paar Bemerkungen der Diener hatte sie gehört, daß es nur gemietet war, ja, Mrs. Devilin hatte es vor ihrer Rückkehr aus England nicht einmal gesehen.
Es war Mrs. Devilins Ehemann gewesen, Mr. D’Arcy, der alle Vorkehrungen getroffen hatte. Er war ein Mann mittleren Alters, prunkvoll übertrieben gekleidet, mit kühnen, unverschämten Augen. Selina zuckte vor ihm zurück, kaum daß sie sich sahen.
Er musterte sie langsam, genüßlich, impertinent, als wäre sie ein Pferd, das zum Verkauf angeboten worden wäre.
Dann sagte er: »Ich gratuliere dir, Celestine. Ich hätte selbst keine bessere finden können.«
»Ich dachte mir schon, daß du erfreut sein würdest«, antwortete Mrs. Devilin. »Hast du ihm erzählt, daß wir kommen werden?«
»Er ist schrecklich ungeduldig. Aber er wird noch ein wenig warten müssen, bis du diesem Kind ein paar Kleider gekauft hast.«
»Das ist mir klar«, antwortete Mrs. Devilin. »Sag der Schneiderin, sie soll gleich morgen früh hierherkommen und alles mitbringen, was sie hat. Sie weiß schon, was wir brauchen können.«
»Ja, natürlich«, antwortete D’Arcy Devilin.
Selina verstand nicht, worüber sie redeten.
Sie wurde in ihr Zimmer gebracht, und ein Diener, der sich sehr vertraulich gab, trug ihren Koffer hinauf.
Was sie überraschte, war die Tatsache, daß das Haus so klein war. Sie stellte fest, daß es außer ihrem eigenen Zimmer nur noch ein anderes Schlafzimmer in diesem Stockwerk gab, und dort schlief Mrs. Devilin.
Im Erdgeschoß gab es ein kleines Wohnzimmer. Dort wurde ihr ein leichtes Mahl serviert, ehe sie zu Bett ging, und sie sagte sich, daß sich im ersten Stock gewiß der Salon befand, in dem sie zweifellos am kommenden Tag sitzen würden.
Sie war aber zu müde, um sich den Kopf wegen des Hauses zu zerbrechen. Ja, sie konnte nicht einmal mehr über sich selbst nachdenken. Statt dessen beugte sie sich aus dem Fenster, ehe sie zu Bett ging, und versuchte, in der Dunkelheit zu erkennen, wie Paris aussah.
Am nächsten Morgen traf die Schneiderin ein. Mrs. Devilin erteilte ihr mit ihrer scharfen, autoritären Stimme, die Selina unterwegs als beunruhigend, ja sogar als furchterregend empfunden hatte, Befehle.
Selina war sehr empfindsam, und sie hatte das Gefühl, von Mrs. Devilin ging etwas aus... Je näher sie sie kennenlernte, desto mehr fühlte sie sich wie eine Katze, der man das Fell gegen den Strich streichelt.
Aber auch wenn Mrs. Devilins Ton scharf war, sie hatte immer nur freundlich zu Selina gesprochen.
»Wann werde ich Ihre Nichte kennenlernen?« fragte Selina, während die Schneiderin Maß nahm.
»Später«, antwortete Mrs. Devilin gleichgültig. »Sie ist im Augenblick nicht in Paris.«
»Dürfte ich mir dann die Stadt ein wenig ansehen, wenn noch Zeit bleibt?« bat Selina vorsichtig.
»Heute Nachmittag wirst du dafür keine Zeit haben. Nach der Anprobe der Kleider kommt die Friseuse, um dir das Haar zu waschen. Anschließend müssen wir verschiedene Kleinigkeiten kaufen, Schuhe, Handschuhe, ein, zwei Nachthemden. Und danach möchte ich, daß du dich ausruhst.«
»Aber was passiert denn heute Abend?« Selinas Augen sprühten.
Sie fragte sich, ob Mrs. Devilin sie vielleicht ins Theater oder zu einer Gesellschaft mitnehmen wollte.
Es war alles sehr aufregend und ganz und gar nicht so, wie sie es erwartet hatte.
Mrs. Devilin antwortete nicht sofort. Später, am Nachmittag, aber erklärte sie Selina: »Ich muß dir etwas sagen - ich weiß, daß du dich sehr darüber freuen wirst.«
»Worüber?«
»Da ist ein Herr, der dich unbedingt heiraten möchte.«
»Mich heiraten?« rief Selina verblüfft aus.
»Er ist sehr reich und sehr vornehm«, antwortete Mrs. Devilin, »und du bist wirklich eine ausgesprochen vom Glück gesegnete junge Frau.«
»Aber warum sollte er mich heiraten wollen? Er hat mich nie gesehen.«
»Ich habe ihm erzählt, wie schön du bist, und da er Witwer ist, braucht er eine Frau.«
»Ich kann nicht glauben, daß das ... wahr ist. Wer ist dieser... dieser Herr?«
»Der Marquis de Valpré, ein sehr alter Freund von mir. Um ehrlich zu sein, Selina, als ich nach London gefahren bin, hat er mich gebeten, eine junge und charmante Frau für ihn zu suchen.«
»A-aber er muß d-doch unzählige Frauen in F-frankreich kennen«, stammelte Selina.
»Er liebt englische Mädchen, vor allem, wenn sie blond sind«, erklärte Mrs. Devilin lächelnd. »Laß mich noch einmal betonen, Selina, daß er sehr wichtig ist. Ja, er ist eines der wichtigsten Mitglieder der französischen Gesellschaft. Die Valprés sind eine alte, aristokratische Familie.«
»Ich bin natürlich sehr... geehrt, daß er... an mich denkt. Aber bitte, Madam, verstehen Sie... ich kann... keinen Mann heiraten, den ich nicht… liebe.«
»Mein liebes Kind, du bist hier in Frankreich!« schalt Mrs. Devilin. »In Frankreich werden Ehen immer arrangiert. Von Liebe ist erst die Rede, wenn ein Paar Mann und Frau geworden ist.«
»In England ist das anders, jedenfalls bei den einfachen Leuten. Wenngleich ich glaube, daß die adligen Familien ihre Ehen immer noch...«
Ihre Stimme erstarb, weil sie auf Mrs. Devilins Gesicht einen Ausdruck sah, der ihr Angst machte.
»Willst du etwa Schwierigkeiten und Probleme machen?« fragte sie, und ihre Stimme war hart und unbeugsam.
Selina fuhr zusammen.
»Nein... wirklich nicht. Ich möchte... den M-marquis gern kennenlernen und... mit ihm reden. Vielleicht, wenn wir uns... kennenlernen...«
»Wenn du ihn erst kennengelernt hast, wirst du ihn gewiß lieben, wenn es das ist, was du dir erhoffst«, meinte Mrs. Devilin verächtlich. »Es dürfte dir nicht schwerfallen, wenn du daran denkst, daß es für ein mittelloses, unwichtiges Mädchen wie dich wundervoll sein wird, Geld und schöne Kleider zu besitzen und sich in den reichen, vornehmen Kreisen der Pariser Gesellschaft zu bewegen.«
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