Sie lächelte ein wenig.
»Es heißt, es hat niemals eine Zeit gegeben, die so extravagant, so luxuriös ist wie das Zweite Empire; die Juwelen sind prachtvoll, Selina; die Kleider lassen sich kaum beschreiben. Der Marquis kann dich zu einer der beneidetsten Frauen in Paris machen.«
Das klang allerdings wundervoll, sagte sich Selina. Aber sie hatte sich niemals vorgestellt, daß ausgerechnet ihr etwas Derartiges passieren würde.
Sie hatte davon geträumt, daß es irgendwo auf der Welt einen Mann geben würde, der sie lieben und sie bitten würde, seine Frau zu werden! Aber eine Ehe mit einem Mann, den sie niemals gesehen hatte, von dem sie nichts wußte, war erschreckend.
Mrs. Devilin wischte jeglichen Protest beiseite.
»Du wirst den Marquis heute Abend kennenlernen«, sagte sie. »Du wirst allein mit ihm dinieren, und du wirst ihn charmant finden. Er ist erfahren, ein Mann von Welt, und wenn du deine Karten klug ausspielst, Selina, er kann sehr großzügig sein.«
Selina verstand nicht, was sie damit meinte, aber sie beschloß, sich zu weigern, den Marquis zu heiraten, wenn sie ihn nicht mochte, ganz gleich, was Mrs. Devilin oder irgendjemand sonst dazu zu sagen hätte.
Gleichzeitig wurde ihr bewußt, daß sie nur wenig eigenes Geld besaß. Ja, sie fürchtete schon fast, daß es nicht ausreichen würde, um davon die Rückfahrt nach England zu bezahlen.
Sie wußte, daß sie ihre Stelle verlieren würde, wenn sie nicht tat, was Mrs. Devilin wollte. Man würde sie rücksichtslos abschieben, und zweifellos ohne eine Entschädigung.
Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dann passieren konnte. Statt dessen versuchte sie bloß, sich optimistisch einzureden, daß der Marquis wirklich so charmant war, wie Mrs. Devilin gesagt hatte, und daß sie ihn mögen und mit der Zeit sogar lieben lernen würde.
Komisch, dachte Selina, da hatte sie erwartet, eine Arbeit zu finden, und jetzt sollte sie verheiratet werden.
Alle hatten immer gesagt, eine Ehe wäre die einzige Karriere, die einer Frau offenstand. Offensichtlich war das die Wahrheit.
Aber die Ehe mit einem unbekannten Mann war etwas, an das sie nicht einmal in ihren verzweifeltsten Augenblicken gedacht hatte.
Sie hatte viele solcher Augenblicke gehabt, als ihr klar geworden war, daß sie nach dem unerwarteten und plötzlichen Tod ihres Vaters mittellos dastand. Er hatte ihr keinen Pfennig hinterlassen, um für ihre Zukunft vorzusorgen.
Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Selina den Haushalt sehr sparsam mit nur einem Diener geführt, und ihr Vater schien mit ihren Bemühungen immer sehr zufrieden gewesen zu sein.
Sie waren arm gewesen, aber irgendwie war es ihnen immer gelungen, recht gemütlich und bequem zu leben.
Als sie allein auf sich gestellt war, hatte sie Abend für Abend zitternd im Bett gelegen bei dem Gedanken, was vor ihr lag. Zum ersten Mal mußte sie jetzt lernen, selbst für sich zu sorgen.
Und jetzt sollte sie, wenn sie Mrs. Devilin Glauben schenken konnte, jemanden heiraten, der sehr reich und charmant war; jemanden, der sie schützen und für sie sorgen würde.
Sie würde der Pariser Gesellschaft angehören. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was das mit sich brachte, so würde es doch bestimmt ganz anders sein als alles, was sie sich jemals vorgestellt hatte, als sie ihr ruhiges Leben in Little Cobham führte.
Nach dem Stadtbummel mit Mrs. Devilin ruhte Selina sich aus. Sie hatte ein wenig von Paris gesehen und fand es bezaubernd und aufregend.
Sie hatte von Baron Haussmann und seinem Bauprogramm gelesen, davon, wie er und der Kaiser Napoleon III. die Stadt verändert hatten.
»Es gibt so viel, das ich sehen und erforschen möchte«, hatte Selina sich gesagt, als sie ins Haus zurückgekehrt waren. »Vielleicht kann ich den Marquis überreden, Ausfahrten mit mir zu machen. Er hat gewiß schöne Pferde, und ich möchte den Place de la Concorde, die Champs-Elysees und den Bois de Boulogne sehen.«
Sie hatte sich nieder gelegt und ausgeruht, wie Mrs. Devilin es ihr aufgetragen hatte. Als die Zofe kam, um sie zu rufen, brachte sie ein Kleid mit, das soeben von der Schneiderin geliefert worden war.
Es war aus weißer Seide und Spitze, und Selina sah darin sehr jung aus. Aber gleichzeitig hatte es Chic und war verführerisch, wie Selina es niemals erwartet hätte.
Das Dekolleté war sehr tief - zu tief, um den Anstand zu wahren, fand sie -, das enge Mieder schmiegte sich um die sanft geschwungenen Brüste, und die breite Satinschärpe betonte ihre schmale Taille.
Hinten war das Kleid gerafft, weißer Tüll fiel wie ein Wasserfall rauschend herab und bewegte sich wie winzige Wellen, wenn sie ging.
Die Krinoline war ein Jahr zuvor abgeschafft worden; die Kleider wurden jetzt hinten gerafft, und die neue, modische Silhouette erschien Selina äußerst merkwürdig.
Aber sie wußte auch, daß sie in ihrem ganzen Leben noch nicht so hübsch ausgesehen hatte. Ihr Haar, das am Mittag frisch gewaschen worden war, hatte die Friseuse so gekämmt, daß es jetzt in langen Locken vom Hinterkopf fiel.
Ehe sie ihr Kleid anzog, kam Mrs. Devilin in ihr Zimmer, bestäubte ihr Gesicht mit einem Hauch von Puder, rötete ihre Lippen mit einem Stift und legte Mascara auf ihre Wimpern.
»Ich glaube nicht, daß es meiner Mutter recht gewesen wäre, daß ich Kosmetik benutze«, wandte Selina schüchtern ein.
»In Paris würdest du nackt aussehen, wenn du ohne ausgehen würdest«, antwortete Mrs. Devilin scharf. »Und ich möchte, daß du heute Abend besonders verführerisch aussiehst. Der erste Eindruck ist sehr wichtig, Selina, und ich möchte, daß der Marquis dich für schön hält.«
Selina war schon fast fertig, als zu ihrer Überraschung Mr. Devilin an der Tür ihres Zimmers erschien.
»Laß sie das unterschreiben, Celestine«, sagte er zu seiner Frau.
Er reichte Mrs. Devilin ein Schriftstück. Dann sagte er: »Ich gehe jetzt. Sag dem Mädchen, daß es nicht erwähnt, daß ich hier gewesen bin.«
»Ich hatte es nicht vergessen«, antwortete Mrs. Devilin.
Sie nahm das Papier und machte der Zofe ein Zeichen, das Zimmer zu verlassen.
Dann sagte sie zu Selina: »Du hast gehört, was mein Mann gesagt hat. Es ist wichtig, daß du ihn dem Marquis gegenüber nicht erwähnst.«
»Warum nicht?«
»Weil der Marquis mich für eine Witwe hält.«
»Eine Witwe?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Mrs. Devilin hastig. »Ich will dich nicht damit langweilen. Ich war mit Mr. Devilin verheiratet. Dann verließ er mich für lange Zeit, und ich dachte, er wäre tot. Ich lernte den Marquis kennen und erzählte ihm, ich wäre Witwe. Kurz darauf tauchte Mr. Devilin wieder auf.«
Sie machte eine kurze Pause, ehe sie hinzufügte: »Ich hatte bislang noch keine Gelegenheit, dem Marquis zu erklären, daß er wieder in mein Leben zurückgekehrt ist. Ich bin sicher, daß du das verstehen und mein Geheimnis wahren wirst, Selina.«
»Aber natürlich«, versicherte ihr Selina eilig.
»Hier ist jetzt ein kleines Schriftstück. Ich möchte, daß du es unterzeichnest«, fuhr Mrs. Devilin fort.
»Was ist das?«
»Oh, das ist bloß eine Formalität. Hat damit zu tun, daß du dich in Paris aufhältst«, beruhigte Mrs. Devilin sie. »Es ist Französisch, du wirst es also nicht verstehen.«
»Ich kann Französisch lesen«, erklärte Selina. »Papa hat darauf bestanden, daß ich Fremdsprachen lernte, und da ich immer gehofft habe, eines Tages Gelegenheit zum Reisen zu bekommen, erhielt ich nicht nur Unterricht in Deutsch und Französisch, sondern habe auch viele Bücher in beiden Sprachen gelesen.«
Sie fand, daß Mrs. Devilin verärgert aussah.
»Nun, vielleicht sollte ich es besser erklären«, sagte sie nach einem Augenblick. »Wenn der Marquis dir Geld gibt, dann erwarte ich meinen Teil davon, da ich dich auf meine Kosten nach Paris habe kommen lassen.«
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