Manuela schwirrte der Kopf. Sie war völlig ungeübt im Flirten und wusste einfach nicht, was tun. Wenn ich Nein sage, wird er bestimmt wütend, dachte sie verzweifelt. Türken werden doch immer schnell wütend. Wer weiß, was dann passiert. Warum musste auch ausgerechnet ihr das passieren? Sonst liefen die Männer doch immer nur ihrer Cousine nach. Ihre Gedanken liefen auf Hochtouren. Na komm schon, forderte sie sich selber auf. Sag’ etwas Neutrales. Der junge Mann schaute sie immer noch lächelnd an. Irgendwie wirkte er wie ein liebenswerter kleiner Lausbub. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, Nein zu sagen. So hauchte sie schnell ein „Vielleicht“ und begab sich umgehend wieder zu Fränzi.
Atemlos erzählte sie ihr, dass sie bereits eine Einladung erhalten hätte. „Ich auch“, lautete lakonisch die Antwort von Fränzi. „Der Barkeeper hat mich gefragt.“ „Und was hast du geantwortet?“ Manuela wartete gespannt auf ihre Antwort. „Vielleicht. Und du?“ „Auch vielleicht.“ Spontan fielen sie in ein Gelächter. Beide hatten aber nicht vor, die jeweilige Einladung anzunehmen. Sie amüsierten sich noch eine Weile. Danach begaben sie sich ins Zimmer. Während Manuela noch schnell ihre Karten schrieb, fiel Fränzi todmüde ins Bett.
Gutgelaunt und ausgeruht standen sie am nächsten Morgen auf. Schon beim Frühstück auf der Terrasse glühte die Sonne auf ihre Köpfe hinab. Da bot es sich geradezu an, den Tag am Pool zu verbringen. Sie packten ihr Badezeug zusammen und begaben sich zum Pool. Mit einem Mineralwasser in der einen Hand und einem Liebesroman in der anderen machten sie es sich auf einem Liegestuhl gemütlich.
Fränzi döste schnell wieder ein. Dabei fiel ihr das Glas mit dem Mineralwasser aus der Hand und fiel zu Boden. Schon war ein aufmerksamer Kellner an ihrer Seite und brachte ihr ein neues Glas. Fränzi lugte unter ihrer Sonnenbrille hervor und war begeistert vom Service. „Ich muss schon sagen, es gefällt mir immer besser hier. Die Türken sind sehr aufmerksam, höflich und sehen noch gut aus!“ Anerkennend schaute sie dem Kellner nach. „Hast du denn immer nur Männer im Kopf?“ Manuela schüttelte liebevoll mit dem Kopf. Ihre Cousine war schon eine Marke für sich. Doch was war das? Hatten sie soeben richtig gehört?
Beide schauten sich verblüfft an, dann drehten sie den Kopf Richtung Pool. Mitten im Wasser stand der Animateur von gestern. Diesmal sang er nicht Elvis-Presley–Songs, sondern animierte die Leute für die Wassergymnastik. Wortwörtlich hatte Patric lautstark „Wer macht mit bei der Wasser-Erotik?“ geschrien. „Hast du auch das verstanden, was ich verstanden habe?“ Fränzi hob anzüglich ihre Augenbraue. Manuela war genauso begeistert und sprang sofort auf. Sie hüpften zu den anderen ins Wasser und machten während einer halben Stunde zu poppiger Musik Wassergymnastik. Sie hatten viel Spaß und lachten viel.
Danach sonnten sie sich, bis sie Hunger verspürten. Auf dem Weg zur Snackbar lief ihnen prompt wieder einer der beiden Türken vom Vortag über den Weg. Diesmal allerdings der Kleinere von beiden. Er hielt die beiden an und fragte sie, ob sie nicht Lust hätten, bei der Modenschau, die 2 Tage später am Abend stattfände, mitzumachen. Sie dürften Kleider aus der Boutique vorführen, zusammen jeweils mit einem Hotelangestellten. Das sei nämlich eine gute Werbung. Fränzi war natürlich sofort begeistert. Sie mit ihrer guten Figur hatte schließlich auch nichts zu befürchten. Und sich zu präsentieren, machte ihr Spaß.
Doch Manuela schaute kritisch an sich runter. Sie hatte ein paar Kilos mehr als ihre Cousine. Und blamieren wollte sie sich schließlich nicht. Auch war ihr nicht ganz wohl beim Gedanken, vor so vielen Gästen auf dem Laufsteg zu stehen. Doch der Türke zerstreute ihre Bedenken. Es seien noch andere Gäste, die wesentlich mehr Kilos als sie hätten, bei der Modenschau dabei. Und das Lampenfieber gebe sich bestimmt auch. Warum also eigentlich nicht? So stimmten beide zu. Am Nachmittag vor dem Abend sei dann noch eine kurze Probe mit den jeweiligen Partnern.
Nach dem Imbiss lustwandelten sie etwas in der Hotelanlage, wo es schön kühl war. Vor dem Schaufenster der Boutique mit den schönen Hemden blieben sie wieder stehen. Das hätten sie besser nicht getan. Schon standen nämlich wieder die beiden Türken neben ihnen und fingen ein Gespräch an. Ehe sie es realisierten, saßen die beiden mitten in der Boutique an einem kleinen Tischchen und unterhielten sich angeregt. Der Größere von beiden hieß Tarkan und war mal eine Weile lang Model gewesen. Da es ihm aber zu langweilig war, nur schöne Kleider vorzuführen, verkaufte er nun diese in der Boutique. Der andere hieß Mehmet und war Mitinhaber der Boutique. Es vergingen nur ein paar Minuten, und schon hatten die 4 abgemacht, dass sie sich am Abend vor dem Hotel treffen würden. Sie wollten in einem anderen Hotel die Disco besuchen.
Wieder am Pool, schauten sich die beiden verblüfft an. „Wie konnte denn das passieren? Wie haben die uns nur rumgekriegt? Hast du begriffen, wie es dazu kam, dass wir nun genau das machen, was wir eigentlich nicht wollten?“ Manuela schaute leicht irritiert ihre Cousine an. „Nee. Sogar mir ging das viel zu schnell. Das sind ja zwei ganz ausgefuchste Kerle! Also ganz geheuer kommt mir das aber nicht vor. Was haben wir uns da nur aufgehalst? Die sind es wohl gewohnt, Touristinnen aufzureißen.“ Sie studierten, wie sie wieder aus dieser Sache herauskamen. Am besten war es wohl, wenn sie den Abend so schnell wie möglich hinter sich brachten und danach die beiden in Zukunft ignorierten.
Zufrieden damit, bestellten sie sich etwas später ein Taxi und fuhren in die nächste Stadt. Dort bummelten sie durch die Marktstände. Schließlich landeten sie in einem Ledergeschäft. Sie wurden freundlich begrüßt. Während sie sich umschauten, bot man ihnen Tee und Zigaretten an. Fränzi konnte nicht widerstehen, als der Verkäufer auf ihre diesbezügliche Frage antwortete, dass es gar kein Problem wäre, für sie innerhalb von 3 Tagen einen 2-teiligen roten Lederanzug maßgeschneidert anzufertigen. Und als Fränzi den günstigen Preis hörte, war die Sache geritzt. Schnell wurden ihre Maße genommen. Sie sollte in 2 Tagen zur Anprobe vorbeikommen. Glücklich verließ Fränzi den Laden, im Schlepptau ihre Cousine. „Also, du bist wirklich etwas verrückt, Fränzi. Wie kannst du nur Geld für so etwas Flippiges ausgeben? Das trägst du doch niemals in der Schweiz!“ „Irrtum, Cousinchen. Ich werde dich vom Gegenteil überzeugen. Nun sei doch endlich etwas lockerer und spiel nicht immer den Moralapostel. Genieß das Leben und mach auch einmal etwas Verrücktes!“ Liebevoll hängte sie sich bei Manuela ein.
Nachdem sie noch ein paar andere Kleinigkeiten gekauft hatten, suchten sie sich ein Taxi. Ein netter junger Mann öffnete ihnen die Tür zu seinem Auto, und sie stiegen ein. Der Taxifahrer war sehr gesprächig. Unter anderem erzählte er ihnen, dass es durchaus Gegenden gäbe, wo Türken nicht dunkle Haare und Augen hätten, sondern wie er selber blonde Haare und blaue Augen. Die beiden staunten, denn dies war ihnen neu. Kurz vor Ankunft im Hotel kam dann prompt wieder die Frage, ob sie nicht Lust hätten, noch am gleichen Abend zusammen mit ihm und einem Freund in eine Disco zu gehen. Als sie ihm erklärten, dass sie bereits eine Einladung hätten, und zwar mit den beiden Typen von der Boutique, reagierte der Taxifahrer überraschend aufgebracht. „Natürlich! Boutique-Besitzer sind halt etwas Besseres als einfache Taxifahrer!“ Er war so ärgerlich wegen ihrer Ablehnung, dass er, ohne ihre Bezahlung abzuwarten, einfach davonfuhr.
„Was war das denn?“ Sogar Fränzi war es nicht ganz geheuer. „Anscheinend vertragen die Türken das Wörtchen Nein wirklich nicht. Hoffentlich passiert heute Abend nichts, wenn wir den beiden Typen nach dem Discobesuch klarmachen, dass wir sie nachher nie mehr sehen wollen.“ Etwas bedrückt begaben sie sich zu ihrem Zimmer. Aber es kam noch dicker. Unterwegs begegnete ihnen ausgerechnet auch noch der Barkeeper, der am Abend zuvor Fränzi eingeladen hatte. Er fragte sie lächelnd, wann er sie denn abholen dürfe. Manuela musste mit Erstaunen feststellen, dass sich ihre weltgewandte Cousine innerlich wand. Wohl oder übel musste sie ihm gestehen, dass sie schon anderweitig eine Einladung angenommen hätte. Wieder kam die gleiche Reaktion. Mit bösem Blick entfernte sich der Barkeeper. „Puh! Wenn das nicht ein schlechtes Omen ist! Langsam habe sogar ich genug von Einladungen!“ Nichts konnte sie mehr halten. Blitzschnell rannten sie die Treppe hinauf direkt in ihr Zimmer.
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