Fränzi grinste und sagte nur „typisch türkischer Mann“, während Manuela empört den Ehemann fixierte. Doch diesen schien das nicht zu stören. Komischerweise schaute auch die Türkin ganz fröhlich drein. Wahrscheinlich war sie das freche Benehmen ihres Mannes schon lange gewohnt, argumentierte Manuela für sich. Die Arme! Ich sag’s ja, warum müssen wir auch ausgerechnet in die Türkei? Der Flug verlief ruhig. Sie lasen und hörten Musik aus dem Walkman. Nach der Landung mussten sie eine satte Stunde draußen auf dem Rollfeld warten. Es war glühend heiß. Beide schwitzten und waren mehr als froh, als sie endlich durch den Zoll konnten. Im Bus, der sie in die Hotelanlage bringen sollte, fielen sie erschöpft in die Sessel. „Puh, diese Hitze! An die muss ich mich erst noch gewöhnen“, stöhnte Manuela. „Übrigens, ich will dich nur noch mal an unsere Abmachung erinnern, liebes Schwesterchen. Keine Männer! Egal, was passiert, keine Männer! Kein Ferienflirt, nicht mal reden oder dergleichen. Und wenn die Männer noch so gut aussehen – keine Männer, hast du mich verstanden?“ Fränzi lachte. Sie war einverstanden, schließlich hatten sie beide eine schwere Zeit hinter sich und wollten vorläufig nichts mehr mit Männern zu tun haben. Nichts außer entspannen und genießen.
Doch Manuela kannte ihre Cousine nur zu gut. Im Vergleich zu ihr hatte sie selber geradezu keusch gelebt. Fränzi ohne Männer – das konnte sie sich kaum vorstellen. Aber es war ihr mehr als recht, wenn sie sich einmal für eine Weile daran hielt. So hatte sie mehr von ihrer Cousine. Knapp eine Stunde später erreichten sie ihr Hotel. Mit dem Gepäck und dem Schlüssel in der Hand begaben sie sich auf ihr Zimmer. Beide waren sich einig, erst einmal zu duschen. Während Fränzi ihren Koffer auspackte und die Kleider in den Schrank legen wollte, widmete sich Manuela ihrem neu erworbenen Beauty-Case. Stolz holte sie das kleine Schlüsselchen hervor und öffnete den Deckel. Ein lauter Schrei entfuhr ihr, gefolgt von einem Schluchzen. „Diese Saukerle! Was haben die mit meinem Beauty-Case bloß gemacht? Tennis damit gespielt oder so was? Der ganze Inhalt ist durcheinander. Alle meine Make-up- Döschen sind offen und kaputt. Das rosa Wangenrouge ist in tausend Teile gegangen und hat sich im ganzen Köfferchen verteilt. Der kleine Spiegel am Deckel ist auch kaputt. Ich sehe nur noch rosa!“
Wie ein Häufchen Elend saß Manuela da. Sollte sie weinen oder lachen? Die Hitze machte ihr zu schaffen, dann der Flug, später die lange Abfertigung und Busfahrt – das war einfach zu viel. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Doch nur ein paar Sekunden lang. Ein heftiges Poltern und Fluchen sorgte dafür, dass Manuela ruckartig vom Bett aufsprang. Eine wütende Stimme befahl ihr, sie gefälligst aus dem Schrank zu befreien. „Ja, sag’ mal, Fränzi, wo steckst du denn überhaupt? Und was machst du im Schrank?“ „Frag’ doch nicht so blöd, du siehst doch, was passiert ist. Die Schranktür hat geklemmt. Darum bin ich in den Schrank gegangen und wollte von innen die Tür reparieren. Dabei sind mir die Tablare auf den Kopf gefallen. Und die Türe ist auch zu. Also hilf mir gefälligst wieder hinaus!“ Manuela kam der Aufforderung nach und öffnete die Tür. Doch als sie ihre Cousine verschwitzt und wütend am Boden sitzen sah, konnte sie nicht mehr. Sie lachte schallend los. Sie konnte sich einfach nicht mehr beruhigen. Fränzi schaute zuerst perplex, aber dann stimmte sie in das Lachen ein. „Na, das kann ja heiter werden!“ Fränzi rappelte sich wieder auf, und während sie die Tablare wieder installierte und ihre Kleider einordnete, putzte Manuela zuerst einmal ihr geliebtes Beauty-Case. Die kaputten Sachen warf sie fort. Aber schon nahte das nächste Unglück.
Fränzi stürmte aus dem Badezimmer. „Diese Türken haben nicht einmal Wasser! Das glaubt mir einfach keiner! Nicht mal duschen kann ich. Hör’ auf, Cousinchen, du musst gar nicht lachen. Hast du nicht vorhin gesagt, du müsstest dringend aufs WC? Ha, kannst du vergessen. Das WC funktioniert auch nicht!“ Beide standen mitten im Zimmer und schauten sich an. Lachen oder weinen? „Tja, Fränzi, du wolltest ja unbedingt in die Türkei!“ Sie entschieden sich fürs Lachen. Kurz entschlossen verließen sie ihr Zimmer Richtung Rezeption. Dort wurden sie beruhigt mit den Worten, dass sie gleich jemanden raufschicken würden für die Reparatur. Sie sollten sich doch in der Zwischenzeit die Hotelanlage anschauen und danach etwas trinken. Das taten sie dann auch. Zuerst aber begaben sie sich an den Strand. Der war wirklich herrlich und entschädigte sie für beinahe alles. Sie machten ein paar traumhafte Fotos.
Wieder beim Hotel, sahen sie sich die verschiedenen hoteleigenen Läden an. Vor einer Boutique standen zwei Türken, die sie grinsend von oben bis unten betrachteten. „Hallo! Einen schönen Tag wünschen wir!“ In fast perfektem Deutsch wurden sie angesprochen. Während Manuela nur kurz angebunden den Gruß erwiderte und schnell weitergehen wollte, blieb Fränzi prompt stehen und grüßte die beiden mit einem gekonnten Augenaufschlag. Das ist doch nicht zu fassen, flirtet die doch tatsächlich schon wieder, dachte Manuela und zerrte erbost am T-Shirt ihrer Cousine. „Denk’ an unsere Abmachung“, zischte sie ihr ins Ohr. Doch diese grinste nur; sie war definitiv wieder in ihrem Element.
Langsam schlenderten sie zurück in ihr Zimmer. Alles funktionierte nun tadellos. Nach dem Duschen fühlten sich die beiden schon erheblich wohler. Sie machten sich hübsch und begaben sich dann in das Restaurant fürs Nachtessen. Es wurde draußen serviert, d. h. einen Teil des Essens konnte man sich selber vom Buffet holen. Auf einer Bühne gab es eine Tanzvorstellung mit türkischer Musik. Manuela wurde vom Chef de Service auf Türkisch begrüßt. Das war wieder mal typisch. Selbst in der Schweiz passierte es ihr immer wieder, dass sie auf Italienisch angesprochen wurde, weil sie offenbar ein etwas südländisches Aussehen hatte. Und nun hielt man sie sogar für eine Türkin! Sie klärte den Irrtum auf. Der Chef de Service, der perfekt deutsch sprach, lächelte und begrüßte sie fortan, wann immer sie auftauchte, demonstrativ mit „Hello, turkish girl!“
Sie genossen ihr Essen, den netten Service und die Musik, dazu den Sternenhimmel und den lauen Nachtwind. Später wechselten sie hinüber zur Bar, wo sie sich einen kleinen Drink genehmigten, während sie einem Animateur, genannt Patric, zuhörten. Er imitierte perfekt Elvis Presley. Manuela und Fränzi, die ausgesprochene Rock’n’-roll-Musik-Fans waren, hielten es auf ihren Sitzen nicht mehr aus. Sie sprangen auf, klatschten in die Hände, tanzten und sangen begeistert mit. Bald taten es ihnen die anderen Gäste nach. Plötzlich entdeckte Manuela einen der beiden Türken, die sie bei der Ankunft begrüßt hatten. Es war der Größere der beiden. Manuela musste zugeben, dass er gar nicht schlecht aussah.
Trotzdem wollte sie nichts von ihm wissen. Vom Flirten hatte sie noch nie was gehalten, geschweige denn von Ferienflirts. Deshalb drehte sie ihm demonstrativ den Rücken zu, als sich dieser ihr näherte. Anscheinend respektierte der junge Mann diese Geste. Er blieb aber in ihrer Nähe stehen und klatschte und sang fleißig mit. Es gefiel ihr, dass er nicht aufdringlich wurde. Trotzdem wartete sie ab, bis er mal kurz verschwand. Sie schrieb nämlich leidenschaftlich gerne Ansichtskarten an ihre Freunde, wenn sie in den Ferien war. „Ja, geh’ nur und besorg dir die Karten. Ich hole dann morgen ein paar.“ Fränzi hatte glänzende Äuglein und klatschte fleißig weiter, während sich Manuela schnell in die Boutique begab und ein Dutzend Karten aussuchte. Sie schaute um sich. Nein, der große Türke war nicht in Sicht. Gott sei Dank. Ihm allein gegenüberstehen zu müssen, wäre ihr gar nicht recht gewesen.
Schnell hastete sie zur Kasse, streckte die Karte dem Verkäufer unter die Nase – und schaute direkt in ein paar dunkle Augen, die sie anstrahlten. Ihr Gesicht lief dunkelrot an, und in ihrer Verlegenheit wusste sie gar nicht, was tun. „Hallo! Schön, dich wiederzusehen. Ich habe dich beobachtet, wie du zur Boutique, wo ich arbeite, gegangen bist. Deshalb bin ich schnell auch hierhin gekommen.“ Ohne etwas zu antworten, wollte ihm Manuela das Geld in die Hand geben und wieder weggehen. Aber so schnell ließ der Türke nun nicht mehr locker. „Ich würde mich freuen, wenn du morgen Abend mit mir in den Ausgang gehen würdest!“ Auch das noch!
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