Abtransport organisieren
Wenn die Wunden versorgt sind, muss man den Abtransport organisieren (A): Das Rettungsteam überlegt, ob der Patient evakuiert werden muss oder sich von selbst wieder erholen wird. Wenn eine Evakuierung nötig ist, stellt sich die Frage, ob der Patient an Ort und Stelle auf die Rettung warten kann oder in ein Notfallcamp transportiert werden muss. Ferner ist zu klären, auf welchem Weg die professionelle Hilfe verständigt werden soll. Um all diese Fragen zu beantworten, sind umsichtige Organisation und genaue Planung notwendig.
Bild 4:
Immer mit der Ruhe: Für die Punkte des DIWAN sollte man sich Zeit lassen.
Hier unterscheidet sich die »Erste Hilfe Outdoor« deutlich von der »Straßenrettung«: Wenn kein Mobilfunkempfang besteht, liegt das Schwergewicht zunächst auf einer wohl überlegten, ausführlichen Versorgung des Patienten, bevor Helfer zum Notruf geschickt werden. Denn: Zum Notfallmanagement sind meist alle Helfer notwendig. Ferner sollte man beim Notruf eine detaillierte Beschreibung des medizinischen Zustands sowie der Situation geben können. Die Zeit, die durch das späte Absetzen des Notrufs verloren geht, ist im Outdoorbereich gerechtfertigt: Es ist ziemlich egal, ob der Rettungsdienst nach acht oder achteinhalb Stunden beim Patienten eintrifft.
In »Handyreichweite«: früher Notruf!
Dies gilt jedoch wirklich nur in »richtigen« Outdoorsituationen ohne Mobilfunkempfang, bei Notruf- und Rettungszeiten von mehreren Stunden. Wenn sich der Notfall in »Handyreichweite« ereignet, organisierte Rettung also binnen kurzer Zeit eintreffen kann, ist ein sofortiges Telefonat mit den Rettungskräften sinnvoll. Für den Notruf sorgt der Koordinator, sobald zu erkennen ist, dass Hilfe von außen nötig ist. Wenn nach der ersten Alarmierung neue Erkenntnisse über den Zustand des Patienten gewonnen werden, sollten diese ebenfalls umgehend weitergeleitet werden.
Notfallcamp einrichten
Im Outdoorbereich müssen oft Stunden, manchmal sogar Tage überbrückt werden, bis die Rettung eintrifft. Um den Zustand des Patienten während dieser Zeit zu stabilisieren, muss das Rettungsteam ein Notfallcamp einrichten (N): Der Patient sollte so angenehm wie möglich gelagert und liebevoll umsorgt werden. Dazu gehören die Lagerung auf einer Isomatte, das Einpacken in einen Schlafsack, das Schaffen eines Windschutzes (z. B. Zelt), das Kochen eines warmen Tees, beruhigender Zuspruch, kurz alles, was dem Patienten die Zeit in seinem Notfallcamp möglichst angenehm macht.
Bedenke jedoch, dass dieser Punkt ganz unten auf der Prioritätenliste steht: Wenn die Umlagerung auf eine Isomatte mit der Bewegung eines Knochenbruchs verbunden ist, hat die Immobilisierung des Knochenbruchs eine höhere Priorität. Umgekehrt hat bei besonders kalter Witterung die Umlagerung unter Umständen doch Priorität, beispielsweise wenn eine Unterkühlung (SAU) zu befürchten ist.
Manchmal sind Variationen möglich: Ein Patient, der sich nur den Fuß verstaucht hat, kann sich natürlich schon vor dem Anlegen der Schiene auf eine Isomatte legen.
Zu guter Letzt: Nachdem du keine lebensgefährlichen Verletzungen festgestellt hast, machst du dich an eine ausgiebige Detailuntersuchung (D). Du stellst einen Knochenbruch im Oberschenkel sowie eine Verletzung durch den Pickel an der Schulter fest. Jedes dieser Ergebnisse meldest du sofort an den Koordinator. Diesem ist nun klar, dass eine Evakuierung nötig ist.
Da kein Handyempfang besteht, beschließt der Koordinator, dass sich zunächst alle Helfer um die Immobilisierung (I) und Wundversorgung (W) kümmern, bevor zwei Leute zur nächsten Hütte absteigen, um einen Hubschrauber zum Abtransport zu organisieren (A).
In der Zwischenzeit richten die beiden anderen Helfer (also du und der Koordinator) ein »Notfallcamp« (N) ein: Ihr baut z. B. mit einem Biwaksack einen Wind- und Sonnenschutz für den Patienten und sorgt für eine bequeme Lagerung.
RUM – BAP – SAU – DIWAN hat also den Ablauf eurer Rettungsaktion optimiert.
Der Aufbau des Buches folgt dem Prioritätenschema.
Nun hast du einen groben Überblick über das Prioritätenschema bekommen. Die einzelnen Punkte werden in den folgenden Kapiteln gemäß ihrer Reihenfolge im Prioritätenschema vertieft. Du wirst viele Details der Ersten Hilfe kennen lernen. Jedoch ist keines dieser Details so bedeutend wie die Fähigkeit, Wichtiges von weniger Wichtigem unterscheiden zu können. Damit du das Prioritätenschema immer im Hinterkopf behalten kannst, folgt der gesamte Aufbau des Buches diesem Schema.
Checkliste: Das Prioritätenschema
Risiken Retten – Umfeld, Unfallmechanismus – Management
• Auf den ersten Blick: Risiken wahrnehmen und gegebenenfalls den Patienten aus dem Gefahrenbereich retten – ungeachtet eventueller Verletzungen!
• Umfeld und Unfallmechanismus liefern Verdachtsmomente auf mögliche Verletzungen bzw. Erkrankungen.
• Gutes Management der Mithelfer ermöglicht eine koordinierte und effektive Rettung. Im »Handybereich« sofortiger Notruf, wenn eine Rettung nötig ist.
Bewusstsein – Atmung – Puls
• Mit der Kontrolle der Vitalfunktionen (Bewusstsein, Atmung, ggf. Puls) beginnt die medizinische Versorgung.
• Bei Beeinträchtigung einer Vitalfunktion an mögliche Ursachen denken
• Bei Bewusstlosigkeit sofort Seitenlage, bei nicht normaler Atmung sofort Herz-Lungen-Wiederbelebung!
Schock – Atemstörung – Unterkühlung
• Die lebensgefährlichen Notfallbilder Schock, Atemstörung und Unterkühlung möglichst früh erkennen und behandeln!
• Wenn ein SAU-gefährliches Notfallbild vorliegt, hat dessen Behandlung Priorität vor anderen Maßnahmen.
• Nicht vergessen: Auch ein SAU-gefährlicher Notfall ist kein Grund, die Risiken (→ RUM) zu ignorieren!
Detailuntersuchung – Immobilisierung – Wundversorgung – Abtransport organisieren – Notfallcamp einrichten
• Diese nicht lebensrettenden, aber dennoch wichtigen Punkte in aller Ruhe und wohl überlegt angehen. Zeit ist genug da!
• Alle Maßnahmen, insbesondere Umlagerungen, gewissenhaft planen und gut koordiniert durchführen!
Tipp: Wenn du Schwierigkeiten hast, dir die einzelnen Eselsbrückenwörter zu merken, dann versuche, dir ein Bild von dem »Erste-Hilfe-Outdoor-Notfallcamp« auszumalen: Der Patient hält eine Flasche leckeren RUM in der Hand (hoffentlich nicht!), die Rockgruppe BAP spielt prima Musik im Hintergrund (für die Psyche), eine leckere SAU wird gerade auf dem Feuer gegrillt und der Patient liegt auf einem gemütlichen DIWAN.
RUM: Risiken, Umfeld, Management
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