1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 2.4.2. Zusammenfassende Übersicht
Im Schema Übersicht über verschiedene Wissenschaftstheorien auf S. 33 stellen wir die verschiedenen Auffassungen stichwortartig noch einmal gegenüber. Um die Unterschiedlichkeit deutlich zu machen, wählen wir ein psychologisches Untersuchungsphänomen, »Liebe«, und zeigen, wie dieses Phänomen in den verschiedenen Wissenschaftsauffassungen zum Thema gemacht werden würde.
2.5. Forschungsmethoden in der empirischen Psychologie
Wissenschaftliche Tätigkeit zeichnet sich durch ein begründetes und kontrolliertes Vorgehen bei der Gewinnung von Erkenntnissen aus. Eine Wissenschaftlerin muss bei der Mitteilung ihrer Erkenntnisse die Frage »Woher weißt Du das?« sehr genau und ausführlich beantworten können. Innerhalb der Psychologie haben sich bestimmte Vorgehensweisen oder Methoden eingebürgert bzw. durchgesetzt, die die Wissenschaftlerin bei ihrer Erkenntnisgewinnung anleiten. Die Leistung solcher Methoden besteht darin, dass sie den Erkenntnisprozess systematisieren und kontrollieren. Im Rahmen der empirischen Psychologie spielen u. a. die folgenden Bewertungskriterien eine Rolle:
Objektivität: die Methode soll Ergebnisse liefern unabhängig von der Person, die die Methode einsetzt. Das bedeutet: Wenn mehrere Personen ein und denselben Gegenstand untersuchen, sollte jeweils dasselbe Ergebnis herauskommen.
Reliabilität
Reliabilität: die Methode sollte beim Untersuchungsobjekt immer wieder zu demselben Ergebnis führen. Das bedeutet: Wenn ein und derselbe Gegenstand mit der Methode zu unterschiedlichen Zeiten untersucht wird, sollte sich jeweils dasselbe Ergebnis finden – vorausgesetzt, dass der Gegenstand selbst sich nicht verändert.
Validität
Validität: die Methode soll den Gegenstand erfassen können, der untersucht werden soll. Das bedeutet: Wenn ein bestimmtes Merkmal (z. B. »Intelligenz«) einer Person untersucht werden soll, dann sollte die Methode wirklich genau dieses Merkmal erfassen und nicht noch ein anderes (z. B. »Aufmerksamkeit«).
Diese Gütekriterien sind im Rahmen des Kritischen Rationalismus (siehe Abschnitt 2.4.) entwickelt worden. Inwieweit sie auf das Vorgehen im Rahmen anderer Methodologien angewendet werden können, ist daher umstritten (zur Entwicklung anderer Gütekriterien vgl. Nothdurft 1998, S. 54ff.). Aber selbst wenn die Kriterien anerkannt werden, gilt: Psychologische Methoden erfüllen diese drei Kriterien niemals vollständig, sondern jeweils nur annäherungsweise. Dies macht es notwendig, stets abzuwägen, unter welchen Umständen welches Kriterium am wichtigsten ist.
|
Kritischer Rationalismus |
Kritische Theorie |
Grounded Theory |
Feminismus |
Konstruktivismus |
Selbstverständnis als Wissenschaftlerin |
objektiv analytisch Distanz zum Untersuchungsobjekt |
politisch-kritisch dialektisch |
verstehende Haltung Untersuchungsobjekt gegenüber ethnographisch |
parteiisch emanzipatorisch Identifikation mit Untersuchungsobjekt |
historisch-kritisch dekonstruktivistisch ironisch sprachanalytische Haltung zum Untersuchungsobjekt |
Prinzipien des Vorgehens |
Ableitung von Hypothesen aus Theorien kontrollierte Beobachtung kritische Prüfung des Vorgehens Wertfreiheit der Erkenntnis |
allgemeine gesellschaftliche Widersprüche an Phänomenen des Psychischen aufzeigen und bewusst machen |
empirisch geleitete Hypothesenbildung Beobachtung Binnenperspektive des Untersuchungsobjekts rekonstruieren (subjektiver Sinn) |
»Um ein Ding kennenzulernen, muss man es verändern« Forschung muss Beitrag zum Emanzipationsprozess leisten Integration von Forschung in politische Aktion |
Aufzeigen des untersuchten Phänomens als historisch-kulturell konstruiert |
Vertreter |
Karl Popper |
Theodor W. Adorno |
Anselm Glaser & Barney Strauss |
Carol Gilligan |
Kenneth Gergen |
typischer Text |
Quantitative Studie |
Essay Qualitative Studie |
Qualitative Studie |
Manifest |
Essay |
Beispiel »Liebe« |
»Messung emotionaler Erregungszustände von Jugendlichen in Abhängigkeit von …« |
»Das Durchschlagen kapitalistischer Grundwidersprüche auf die Entwicklung intimer Beziehungen von Jugendlichen« |
»Das interaktive Management von Flirtbeziehungen in US-amerikanischen Großstadtbars« |
»Maßnahmen gegen die Unterdrückung weiblicher Empfindungsfähigkeit in patriarchalischen Arbeitsstrukturen« |
»Die Konstruktion erotischer Handlungsmuster im französischen Film der 30er Jahre« |
Schema: Übersicht über verschiedene Wissenschaftstheorien
Zwei wichtige Methoden in der Psychologie werden im Folgenden vorgestellt:
das Experiment
die Feldforschung.
Experiment
Im Experiment werden Individuen, Versuchspersonen (Vpn) im Rahmen eines experimentellen Designs systematisch und kontrolliert Reizen ausgesetzt und dann ihre Reaktionen beobachtet und erfasst (gemessen). Ziel ist die Feststellung von Ursache-Wirkungsbeziehungen (»wenn ..., dann ...«).
Die Vorteile von Experimenten liegen auf der Hand. Es kann präzise das untersucht werden, was untersucht werden soll. Im Idealfall können Ursache-Wirkungs-Beziehungen eindeutig identifiziert werden. Dies gelingt um so besser, je restriktiver, also »künstlicher« die experimentelle Situation ist. Experimente eignen sich so vorzüglich zur Prüfung spezifischer Hypothesen. Dieser Vorteil muss mit einem Nachteil erkauft werden: Je künstlicher die Experimentalsituation ist, desto schwieriger wird die Übertragung der Ergebnisse auf natürliche Situationen.
Das experimentelle Vorgehen soll an einem Beispiel näher erläutert werden, ohne dass auf spezielle Fragen des Designs und der Planung eingegangen wird. Angenommen, es ginge um die Fragestellung, ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Videokonsum und Aggressivität bei Jugendlichen gibt.
Hypothese
Beim experimentellen Vorgehen würde die Frage nach einem Zusammenhang präzisiert zu einer Hypothese: »Erhöhter Konsum von Horror-Videos führt zur Steigerung der Aggressivität«.
Plan
Ein möglicher Untersuchungsplan: Einer Gruppe von Jugendlichen werden ausgewählte Horror-Videos gezeigt (Experimentalgruppe). Vorher und nachher erfasst man ihr aggressives Verhalten. Eine zweite Gruppe sieht währenddessen »harmlose« Videos (Kontrollgruppe). Auch bei ihnen wird das aggressive Verhalten vor und nach dem Videokonsum erfasst.
Ergebnis
Ein mögliches Ergebnis: Die Experimentalgruppe zeigt nach dem Videokonsum stärkeres aggressives Verhalten als vorher und als die Kontrollgruppe.
Leistung des Experimentes: Eindeutiger Nachweis der Wirkungsweise der ausgewählten Videos.
Offene Fragen: Werden Jugendliche, die sich solche Videos anschauen, sich auch in natürlichen Situationen (z. B. Jugendbegegnungsstätte) aggressiver verhalten? Dort werden sie durch viele weitere Faktoren beeinflusst sein (Freunde, Betreuer, Langeweile, Drogen), die ihr aggressives Verhalten ebenfalls fördern oder hemmen können. Das aggressive Verhalten in natürlichen Situationen wird aufgrund des experimentellen Ergebnisses allein nur unzulänglich vorhersagbar sein.
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