In der Physiognomik wird vom Aussehen generell, insbesondere aber vom Gesicht auf Persönlichkeitsmerkmale geschlossen. Sie wurde etwa von dem Schweizer Pfarrer Johann Casper Lavater im 18. Jahrhundert sowie von dem deutschen Arzt Carl Gustav Carus im 19. Jahrhundert vertreten. Auch wenn der Physiognomik heute keine diagnostische Relevanz mehr zugesprochen wird, gibt es immer noch vereinzelt Forschung dazu, etwa den Versuch, Persönlichkeitsmerkmale aus Gesichtsfotos zu erschließen (Perrett/Little 2007).
Auch die Phrenologie hat heute keine eignungsdiagnostische Relevanz mehr, anders als im 19. Jahrhundert, zu Lebzeiten des deutschen Hirnanatoms Franz Josef Gall. Dieser dachte, dass psychische Merkmalsausprägungen auch zu physischen führen, etwa Ausbuchtungen an der Schädeldecke. Heute gibt es Versuche, insbesondere durch die Möglichkeiten der Magnetresonanztomographie, Hirnareale zu lokalisieren, die mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhängen (Adelstein 2011/DeYoung 2009).
Der französische Schriftsteller Jean Hippolyte Michon gilt als Begründer der Graphologie im 19. Jahrhundert. Er glaubte, dass sich die Persönlichkeit in der habituellen Schreibmotorik ausdrückt und in der Handschrift analysiert werden kann. Aktuelle Studien haben aber gezeigt, dass es etwa bei Auswahlmethoden überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Schriftbild und beruflichem Erfolg gibt (Schmidt/Hunter 1998).
Graphologische Residuen sind heute wissenschaftlich allenfalls noch in der Forensik zu finden, etwa bei kriminalistischen Handschriftvergleichen. Dennoch gibt es immer noch Arbeitgeber, die beispielsweise einen handschriftlich verfassten Lebenslauf für die Bewerbung verlangen, um diesen graphologisch auswerten zu lassen. Insgesamt kann man sagen, dass psychognostische Ansätze heute als unwissenschaftlich gelten und auch nicht mehr ernsthaft in der Wissenschaft vertreten werden.
Persönlichkeitstests wurden seit den 1920er Jahren in den USA zur Auswahl von Verkäufern eingesetzt. Vorläufer des Assessment-Center finden sich erstmals ab Ende der 1920er Jahre in der Offiziersauswahl der deutschen Reichswehr, gefolgt von Verfahren in Großbritannien zur Auswahl von Offiziersanwärtern und den USA zur Auswahl bzw. dem Training von Agenten. Wesentlich für die Verbreitung des AC als Methode im zivilen Bereich war die im Jahre 1965von der American Telephone & Telegraph Company (AT&T) durchgeführte »Management Progress Study« zur Führungskräftenachwuchsentwicklung. Das dort angewandte Repertoire an Übungen zählt auch heute noch zum Standard eines Assessment-Portfolios (
Abb. 34).
Gütekriterien werden mit Maßzahlen im Bereich 0-1 gemessen, die beispielsweise angeben, wie genau ein Verfahren ein geprüftes Merkmal erfasst und ob bei wiederholter Messung das gleiche Ergebnis resultiert. Gäbe es nicht Gütekriterien wie Objektivität (Unabhängigkeit der Messwerte von Rahmenbedingungen), Validität (Gültigkeit und Nachweis einer erfolgreichen Prognose des Berufserfolges)
Abb. 34: Kleine Geschichte der Eignungsdiagnostik
und Reliabilität (Zuverlässigkeit und Wiederholbarkeit der Messung zu einem späteren Zeitpunkt mit gleichem Ergebnis), könnte im Rahmen der Eignungsdiagnostik jedes beliebige Kriterium zur Vorhersage von Eignung herangezogen werden (
Abb. 35).
Abb. 35: Gütekriterien
Ohne Objektivität keine Reliabilität, ohne Reliabilität keine Validität. Insofern ist ausreichende Objektivität eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die Erfüllung aller drei Gütekriterien. Unter der Objektivität eines Tests versteht man die Unabhängigkeit der Versuchsergebnisse von den Rahmenbedingungen. Eine Untersuchung muss demnach unabhängig von äußeren Bedingungen, also auch von den Untersuchungsleitern sein. So wird aus einem oder mehreren subjektiven Eindrücken eine immer intersubjektivere resp. objektivere Sichtweise. Völlige Objektivität ist dabei nie zu erreichen, denn sie wäre ja unabhängig von allen Subjekten.
Objektivität kann man weiter unterteilen in Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität (
Abb. 36). Mit Durchführungsobjektivität ist das Maß der Unabhängigkeit der Testergebnisse von der Person des Versuchsleiters und von den räumlichen Bedingungen gemeint. Es sollten eine Standardisierung der Testsituation und minimale soziale Interaktion zwischen Versuchsleiter und Testteilnehmer angestrebt werden. Mit Auswertungsobjektivität ist das Maß gemeint, in dem gleiches Verhalten einer Testperson stets auf die gleiche Weise ausgewertet wird. Die Objektivität bei projektiven oder kreativen Tests ist hier geringer als beispielsweise bei standardisierten Intelligenztests. Generell gilt, je geringer die Freiheit des Auswertenden bei der Bewertung der Testergebnisse, desto höher ist die Auswertungsobjektivität. Mit Interpretationsobjektivität ist das Maß gemeint, in dem gleiche Testwerte auf die gleiche Weise interpretiert werden: Je weniger die Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis definiert sind, umso mehr kann die Auswertung variieren. Durch Normtabellen (DIN) wird die Interpretationsobjektivität erhöht.
Abb. 36: Objektivität
Reliabilität ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Validität, da sie lediglich feststellt, wie stabil ein Ergebnis ist. Man unterscheidet zum einen die Retest-Reliabilität. Diese überprüft, ob dasselbe Ergebnis bei der gleichen Person mit dem gleichen Verfahren auch wieder gleich ausfallen würde. Die Retest-Reliabilität oder Stabilität eines Verfahrens zeigt also, wie stabil das Testergebnis über einen bestimmten Zeitraum bleibt. Ein guter Wert beginnt ab 0,7. Zudem überprüft die Paralleltest-Reliabilität, ob unterschiedliche Versionen eines Verfahrens das Gleiche überprüfen. Dies ist beispielsweise nützlich, um zu verhindern, dass Bewerber voneinander abschreiben, oder wenn man ein Testverfahren mehrmals verwenden will. Ein Wert von 0,8 darf bereits als hoch bezeichnet werden. Die interne Konsistenz, auch als Cronbachs Alpha bekannt, ist als Maß für die Homogenität des Verfahrens ein Indikator, ob die verschiedenen Items eines Verfahrens dasselbe Merkmal messen. Sie liegt nicht selten bei einem Wert von 0,8-0,9. Mit der Split-Half-Reliabilität schließlich kann man prüfen, inwieweit zwei Testhälften miteinander korrelieren (
Abb. 37).
Abb. 37: Reliabilität
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