Die Epidermis regeneriert sich fortlaufend und so häufig wie kaum ein anderer Teil unseres Körpers. Obwohl sie nur einen Millimeter dünn ist, besteht sie aus mehreren Zellschichten unterschiedlichen Alters. Die Basalzellschicht enthält die Stammzellen, die sich fortlaufend teilen und neue Zellen hervorbringen, besonders in der Jugend. Doch neue Zellen bilden sich ein Leben lang und schieben die älteren in Richtung Hautoberfläche. Dort angekommen, sind sie meist bereits verhornt, das heißt abgestorben, abgeplattet, ausgetrocknet und so miteinander verklebt, dass sie mit bloßem Auge zu erkennen sind. Von diesen älteren Zellen sollen die Peeling-Produkte unsere Haut befreien und frische Zellen zutage fördern. Doch eigentlich fallen die Zellen von ganz allein ab. Der gesamte Zyklus dauert ungefähr einen Monat, die Hautoberfläche bildet sich also laufend neu.
Unter der Epidermis liegt die Dermis oder Lederhaut, die hauptsächlich aus zwei Proteinen besteht: Kollagen und Elastin. Ineinander verwoben, machen sie die Haut elastisch und robust. Leder, daher Lederhaut, besteht ausschließlich aus Dermis. Die Menschheit jagt Tiere denn auch trotz enormer Kosten und ethischer Bedenken unverdrossen wegen ihrer Haut. Schon als die Werkzeuge noch nicht erfunden waren, schützten wir uns mit der einzigartigen, zugleich elastischen und widerstandsfähigen Tierhaut vor der Witterung, um zu überleben.
Epidermis und Dermis sind von einem Nervennetz durchzogen, das geringste Umgebungsveränderungen wahrnimmt, etwa das Gewicht einer Mücke oder den Temperaturunterschied zwischen 20 und 22 Grad im Büro. Bei körperlicher Anstrengung oder Stress dehnen sich mit dem Netz verflochtene winzige Äderchen aus, um unseren Körper herunterzukühlen, lassen uns erröten und verraten unsere Emotionen.
Außerdem besitzt unsere Haut recht große Follikel, die Haar und Härchen wachsen lassen. Vormenschliche Arten konnten sich dank ihrer einst in klimatisch kältere Zonen begeben. Heute gibt es dank ihrer einen gigantischen Markt, der es ermöglicht, durch Haarentfernung, Schneiden, Frisuren und Färben gemäß wechselnden Normen zu zeigen, wo in der sozialen Hierarchie man steht oder stehen möchte.
In unserer Haut befinden sich zudem drei verschiedene Drüsen, die Sekrete absondern. Die ekkrinen Schweißdrüsen geben Wasser zur Kühlung des Körpers ab. Die Talgdrüsen schützen die Haut durch eine fettige Talgschicht vor Trockenheit und Rissen, das heißt vor Beschädigungen der Schutzschicht, die todbringende Mikroben von unserem Körper fernhält.
Der Sinn der apokrinen Schweiß- oder Duftdrüsen, die sich während der Pubertät vor allem in den Achseln und im Genitalbereich entwickeln, ist weniger offensichtlich. Dass sie zusätzliche fettige Sekrete absondern, empfinden viele als übertrieben oder geradezu unbarmherzig. Mit Deos wollen wir genau diesen Drüsen zu Leibe rücken, und manch einer verbringt in seinem Leben viel Zeit mit diesem Kampf. Aber die apokrinen Drüsen spielen, wie wir heute wissen, auch eine wichtige Rolle für den Teil unserer Haut, den man als ihre vierte Schicht bezeichnen könnte: die Billiarden von Mikroben in und auf uns. Die Bakterien, die vor allem Achseln und Genitalbereich besiedeln, ernähren sich von unseren Hautfetten und produzieren die chemischen Stoffe, die in Verbindung mit Luft für unseren Körpergeruch verantwortlich sind.
Die abgesonderten Hautfette und Stoffe wie Natrium, Harnstoff oder Laktat, die unser Körper beim Schwitzen abgibt, haben Einfluss auf die Mikrobenpopulationen. Wie man seit Kurzem weiß, enthält Schweiß unter anderem Peptide mit antimikrobiellen Eigenschaften wie Dermcidin, Cathelicidin oder Laktoferrin, die zum Erhalt und der Wiederherstellung des mikrobiellen Hautgleichgewichts beitragen. Wenn Ihnen also das Schwitzen einmal unangenehm ist, könnten Sie Ihren Mitmenschen ganz einfach erklären, dass Ihr Körper gerade einen raffinierten, rätselhaften biochemischen Tanz aufführt.
Dass auf unserer Haut überhaupt Mikroben leben, ist schon länger bekannt. Seit die Biologie Bakterienkulturen anlegt, weiß sie, dass sich aus menschlichen Hautpartikeln ein wunderbarer mikrobieller Garten züchten lässt. Doch erst im vergangenen Jahrzehnt hat man dank der DNA-Sequenzierungstechnologie erkannt, wie umfassend und vielfältig das mikrobielle Leben auf unserer Haut ist. Unsere Haut- und Darmmikroben zusammengenommen machen einige Kilo unseres Körpergewichts aus. In und auf unserem Körper gibt es mehr mikrobielle als menschliche Zellen.
Lange Zeit hat man die Haut als Barriere betrachtet, die uns von unserer Umgebung trennt, doch wie neuere Erkenntnisse zum Mikrobiom zeigen, ist sie wohl eher eine dynamische Schnittstelle. Im Grunde sind unsere Hautmikroben eine Erweiterung unserer selbst. Nur selten lösen sie, ebenso wenig wie unsere Darmmikroben, Krankheiten aus. Wenn überhaupt, dann beschützen sie uns vor ihnen. Aber alles, was wir mit unserer Haut anstellen, oder auch nicht, wirkt sich auf die Mikrobenpopulationen aus.
Mit jedem Waschen greifen wir zumindest vorübergehend in die Populationen ein. Wir entfernen sie oder nehmen Einfluss auf ihre Ressourcen. Auch wenn wir keine ausdrücklich »antimikrobiellen« Körperpflegeprodukte verwenden, verändern die aufgetragenen chemischen Stoffe die Umgebung, in der die Mikroben gedeihen. Die Seifen und Gesichtswasser, die unsere Haut trockener und weniger fettig machen sollen, entfernen auch den Talg, von dem sich die Mikroben ernähren.
Da Wissenschaft und Medizin den Umfang und die Bedeutung der Mikroben erst seit Kurzem durch neue Technologien sichtbar machen konnten, wissen wir bislang nur wenig darüber, was sie wirklich auf unserer Haut tun. Doch je mehr der neue Forschungsbereich das Zusammenspiel von Mikroben und Haut erhellen kann, desto fraglicher werden lang gehegte Annahmen über das, was für die Haut gut oder schlecht ist.
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Die Milben in unserem Gesicht verdeutlichen vielleicht am eindrucksvollsten, wie das Wissen um die Hautmikroben unser Selbstverständnis verändert.
Als eine Forschungsgruppe 2014 einen Abstrich von der Gesichtshaut vierhundert Freiwilliger aus North Carolina nahm, entdeckte sie unter den Hautpartikeln Mikroben namens Demodex. Diese farblosen, einen halben Millimeter kleinen Milben, die normalerweise versteckt in den Hautporen leben, besitzen am vorderen Körperdrittel vier Beinpaare, mit denen sie den Rest ihres Körpers hinter sich herziehen. »Ein Anus fehlt«, vermerkte eine schweizerische dermatologische Zeitschrift bei der anatomischen Beschreibung, wohl um etwaigen Sorgen entgegenzuwirken, was die Milben in unserem Gesicht alles anstellen könnten. Anus hin oder her, meine erste Reaktion und die vieler anderer war: »Um Himmels willen, wie werde ich die bloß wieder los?« Seriösere Wissenschaftsjournalist*innen entschieden sich für Schlagzeilen wie die auf der Website vom amerikanischen Sender NPR: »Hey, in deinem Gesicht leben Milben. In meinem auch.«
Unter all unseren Mikroben sind, soweit wir das wissen, nur die Milben so groß, dass man sie mit der Lupe sehen kann. Dann folgen in puncto Größe die Pilze, die uns dank unserer Körpertemperatur allerdings nur selten besiedeln, die Bakterien, Archaeen, Protozoen und schließlich die viel kleineren Viren. Eigentlich ist es also schleierhaft, wieso wir nicht mehr über die Milben wissen. Entdeckt wurden sie schon vor Längerem: Ein deutscher Anatom fand sie 1841 auf einigen Leichnamen und später gelegentlich an Lebenden. Obwohl er seine Entdeckung dokumentierte und betonte, wie bedeutsam sie wohl sei, gerieten die winzigen Milben weitgehend in Vergessenheit.
Warum fanden die Milbenjäger aus North Carolina also gerade jetzt heraus, dass wir vor Demodex nur so wimmeln?
Erst die neue DNA-Sequenzierungstechnologie, mit der auch das restliche Mikrobiom entdeckt wurde, machte es möglich. Die Milben leben nämlich gut versteckt in den Hautporen und sind meist nur schwer zu finden. Wenn man aber auf der Haut nach Spuren ihrer DNA sucht, finden sich die Milben bei uns allen. Und das ist der Grund, warum wir über diese winzigen Gefährten, wie über so viele andere auch, noch so wenig wissen.
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