Das Geschäft mit gesunder, schöner Haut boomt: Gut 15 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich für Körperpflegeprodukte ausgegeben. Doch es herrscht kaum Einigkeit darüber, was unsere Haut wirklich pflegt, nährt und was ihr schadet. Die Forschung auf diesem Gebiet ist nur selten unabhängig von den Großkonzernen der Kosmetikindustrie.
Um herauszufinden, wie wir unsere Haut am besten schützen und versorgen, widmet sich Journalist und Arzt James Hamblin der Kulturgeschichte unserer Körperpflege und der Wissenschaft von der Haut. Er spricht mit Mikrobiolog*innen, Allergolog*innen, Genetiker*innen, Ökolog*innen, Kosmetikfachleuten, Seifenfans, Venture-Capital-Unternehmen, Historiker*innen, Entwicklungshelfer*innen, sogar mit ein paar waschechten Betrüger*innen und erfährt, dass sich unsere Vorstellung von sauber und rein gerade grundlegend verändert. Um die Haut und ihr Mikrobiom gesund zu halten, ist weniger oft mehr.
»Hamblins Buch ist eine Ode an die Haut – höchst unterhaltsam und interessant.« New York Times
James Hamblin, ehem. Arzt, ist heute Autor, leitender Redakteur bei The Atlantic und Dozent an der Yale School of Public Health. Seine Artikel und Reportagen erscheinen u. a. auch in der New York Times und dem Politico -Magazin. Er ist bei NPR, BBC und The Colbert Report aufgetreten. 2015 erhielt er ein Poynter-Stipendium der Yale University für Journalismus, die Times nannte ihn eine der 140 Persönlichkeiten, denen man auf Twitter folgen sollte. Hamblin wohnt in Brooklyn, NY.
JAMES HAMBLIN
WAS UNSERE HAUT
WIRKLICH GESUND HÄLT
Aus dem amerikanischen Englisch
von Christine Ammann
Verlag Antje Kunstmann
Prolog
I. Makellos
II. Reinigen
III. Schaum
IV. Schimmern
V. Entgiften
VI. Minimieren
VII. Flüchtiges
VIII. Probiotisch
IX. Erfrischt
Epilog
Danksagung
ANHANG
Anmerkungen
Ausgewählte Literatur
Register
Vor fünf Jahren habe ich aufgehört zu duschen.
Zumindest nach gängiger Vorstellung. Ab und zu halte ich meine Haare noch unter Wasser, verzichte aber auf Shampoo und Pflegespülung, und Seife nehme ich nur noch für die Hände. Auch die anderen Körperpflegeprodukte, die ich früher mit Sauberkeit verbunden habe, wie Peelings, Feuchtigkeitslotionen oder Deos, verwende ich nicht mehr.
Ich würde das nicht unbedingt jedem empfehlen, denn in vielerlei Hinsicht war es furchtbar. Aber es hat mein Leben verändert.
Gern würde ich behaupten, ich hätte mit dem Duschen aus ehrenwerten, tugendhaften Gründen aufgehört: Etwa, weil in Amerika dabei durchschnittlich 75 Liter völlig sauberes Wasser verbraucht werden, oder weil das Wasser mit erdölhaltigen Reinigungsmitteln und Seife verschmutzt wird und das Palmöl der Seifen aus Plantagen stammt, für die Regenwald gerodet wurde. Oder weil die Schiffe und Güterzüge, auf denen die Körperpflegeprodukte rund um den Globus reisen, von fossilen Kraftstoffen angetrieben werden, weil die antimikrobiellen, konservierenden Zusatzstoffe und das Mikroplastik in unsere Seen und Flüsse, in unsere Nahrung, unser Grundwasser und schließlich in unsere Körper gelangen. Weil die endlosen Reihen aus Plastikflaschen, in denen die Produkte in den Drogeriemärkten der Welt stehen, niemals verrotten werden, sondern sich als große Inseln auf unseren Meeren sammeln. Oder weil die Wale tragischerweise versuchen, sich mit diesen Inseln zu paaren.
Das mit den Walen stimmt nicht (hoffe ich). Aber all die anderen guten Gründe dafür, mit dem Duschen aufzuhören, sind tatsächlich die globalen Auswirkungen der individuellen Hygienegewohnheiten von rund sieben Milliarden Menschen. Aber daran hatte ich gar nicht gedacht, als ich mit dem Duschen aufhörte.
Meine Motivation war viel einfacher und hatte nicht wirklich mit dem Duschen zu tun. Ich war gerade nach New York gezogen, wo alles kleiner, teurer und schwieriger ist. Erst kurz zuvor hatte ich meine Arztkarriere in Los Angeles aufgegeben, weil ich Journalist werden wollte. Obwohl mir fast jeder davon abriet, entschied ich mich gegen einen Beruf mit voraussichtlich 500.000 Dollar Jahresgehalt und für eine Branche im weltweiten Niedergang. Ich zog ans andere Ende der USA und befand mich wieder ganz unten auf der Karriereleiter, in einem winzigen Appartement. Vor mir lag ein Weg, der in jede Richtung durch dichten Nebel führte. Ein Mentor riet mir, die Leiter erst wieder zu erklimmen, wenn ich mir zumindest sicher wäre, dass sie an der richtigen Wand stehe.
Ich denke nicht, dass das heißen sollte, »hör auf zu duschen«. Doch für mich war das der richtige Moment, mein Leben einer gründlichen Inventur zu unterziehen. Ich stellte alles auf den Prüfstand und überlegte, auf welche Besitztümer und Gewohnheiten ich versuchsweise verzichten konnte. Um unnötige, wiederkehrende und unüberlegte Kosten zu vermeiden, schraubte ich meinen Kaffee- und Alkoholkonsum herunter, meldete Fernsehen und Internet ab und verkaufte mein Auto. Ich liebäugelte sogar mit einem Leben im Camper, weil das bei Instagram so glamourös aussah, aber davon rieten mir meine Freundin und alle anderen entschieden ab.
Obwohl ich nicht viel Geld für Seife und Shampoo ausgab, fragte ich mich, wie viel Zeit ich alles in allem für die Hygiene aufwendete. Um Menschen dabei zu helfen, schlechte Gewohnheiten abzulegen, schätzen Verhaltensökonom*innen und Produktivitätsexpert*innen gerne die Langzeitwirkung selbst kleinster Entscheidungen: Wenn man etwa in New York täglich eine Packung Zigaretten raucht, gibt man dafür im Jahr mindestens 5000 Dollar aus. Wenn man mit dem Rauchen aufhört, spart man also in den nächsten zwanzig Jahren, Preissteigerungen mitgerechnet, mindestens 200.000 Dollar. Würde man nie wieder zu Starbucks gehen, könnte man, wenn ich das richtig verstanden habe, sich wohl ein Ferienhaus auf den Bermudas kaufen. Wendet man also für Duschen und Körperpflege täglich eine halbe Stunde auf, verbringt man in hundert Lebensjahren – optimistisch betrachtet und weil es sich leichter berechnen lässt – 18.250 Stunden damit. Ohne Duschen hätte man also volle zwei Lebensjahre mehr freie Zeit.
Freund*innen und Familie wandten allerdings ein, ich würde die zusätzliche Zeit kaum genießen können, da ich mich eklig und ungepflegt fühlen würde. Meine Mutter befürchtete, dass ich mir Krankheiten einfinge, wenn ich die Keime nicht mehr abwusch. Vielleicht würden mir all die so menschlichen Gewohnheiten fehlen, mit denen wir uns zwangsläufig Zeit für uns nehmen und uns zumindest scheinbar der Welt so zeigen können, wie sie uns sehen soll. Oder ich würde einfach die angenehm warme Dusche und das Gefühl vermissen, der Welt jeden Morgen wie neu entgegenzutreten.
Aber was, wenn das alles nicht eintreten würde? Wenn ich seltener erkältet wäre, meine Haut besser aussähe und ich bessere Gewohnheiten und Rituale finden würde? Was, wenn all die Produkte in unseren Badezimmern uns vor allem dazu animieren sollen, immer mehr Produkte zu kaufen? Shampoos gegen fettiges Haar und die Pflegespülungen, die dem Haar das Fett wieder zurückgeben, Seifen gegen fettige Haut und die Feuchtigkeitslotionen, die der Haut das Fett wieder zurückgeben? Wie soll man das wissen, wenn man nie mehr als ein paar Tage lang darauf verzichtet hat?
»Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nicht duscht«, sagen die meisten Skeptiker. »Nicht gut.« Und ich gebe ihnen recht. Ich weiß, wie es sich anfühlt, keinen Kaffee zu trinken: nicht gut. Oder wie es ist, auf eine Party zu gehen, wo man niemanden kennt: nicht gut. Oder einen Marathon zu laufen, wenn man nicht trainiert hat: auch nicht gut. Aber ich weiß auch, wie es sich anfühlt, nach und nach weniger Kaffee zu trinken, sich in ungewohnten sozialen Kreisen langsam immer wohler zu fühlen oder gut trainiert 42 Kilometer zu laufen, ohne am liebsten sterben zu wollen.
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