Anwalt Narin Herr Zeuge, haben Sie sich auch über den Nürnberger Fall Şimşek informiert?
Wilfling Ja, aber nicht in der Tiefe. Der Fall war immer wieder Gegenstand von Besprechungen. Das war ja der erste Fall der Serie.
Anwalt Narin War Ihnen bekannt, dass in Nürnberg ein Zeuge gesagt hat, er habe zwei Männer in Radfahrerkleidung gesehen?
Wilfling Das ist mir heute nicht mehr erinnerlich, ob ich das damals wusste.
Anwalt Narin Sie erwähnten eingangs, dass ein Dunkelhäutiger als Tatverdächtiger angesehen wurde und die Radfahrer als Zeugen. Wie kamen Sie dazu?
Wilfling Sie hätten das, glaube ich, auch nicht anders eingeordnet. Wenn da zwei Zeugen unabhängig voneinander sagen, da sei ein Mann rausgelaufen und mit quietschenden Reifen davongefahren. Dagegen hat die Zeugin mit den Radfahrern nur gesagt, dass sie da Radfahrer gesehen hatte. Wir haben ja auch ziemlich schnell festgestellt, dass wir einem Fake aufgesessen sind.
Anwalt Rabe Was wurde konkret unternommen, um die Radfahrer zu überprüfen?
Wilfling Es wurde eine Sofortfahndung eingeleitet. Die Zeuginnen konnten keine Beschreibung abgeben. Aus der damaligen Sicht waren die Radfahrer für uns Zeugen. Es gab ja keine Anhaltspunkte, dass es die Täter waren. Heute wissen wir es natürlich besser.
Anwalt Rabe Es hätten ja auch wichtige Zeugen sein können.
Wilfling Wir haben sie ja auch gesucht.
Anwalt Daimagüler Sie haben die Radfahrer gesucht?
Wilfling Ja.
Anwalt Daimagüler Aber es hat sich niemand gemeldet?
Wilfling Das ist aus heutiger Sicht verständlich.
Anwalt Daimagüler Hat das Ihre Ansicht über die Radfahrer nicht verändert?
Wilfling Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das die Täter waren. Es wird immer wieder der Fehler gemacht, dass man von heute auf damals schließt. Da gab es Hunderte von Hinweisen. Trotzdem haben wir die Fahrradfahrer in die Fahndung eingebunden. Wir haben etwa fünfzig Zeugen vernommen im Fall Kılıç, circa vierzig davon Türken. Alle Hinweise, die kamen, gingen in Richtung organisierte Kriminalität, PKK, Graue Wölfe. Niemand vermutete Rechtsradikale. Der Modus der Tat entsprach nicht dem, was man sonst von Neonazis kannte, also Ausländer durch die Straße jagen, zu Tode prügeln. Und jetzt soll man mal nicht so tun, als ob es keine türkische Drogenmafia gibt. Im Fall Kılıç haben wir allerdings überhaupt keine Hinweise auf so was gefunden. Der Herr Kılıç war ein kreuzbraver, fleißiger, humorvoller Mensch.
(Der Zeuge Wilfling wird entlassen, zwei weitere Ermittler werden befragt. Dann betritt Pinar Kılıç den Gerichtssaal.)
Götzl Frau Kılıç, bitte nehmen Sie Platz. Zunächst zu Ihren Personalien.
Kılıç Pinar, Kılıç, 51 Jahre. Ich bin verheiratet mit Kılıç. Das ist mein Mann.
Götzl Ja …, das ist schon klar.
Kılıç Und diese Dame, was hat sie gemacht?
(Sie schaut Zschäpe an.)
Götzl Wir brauchen zunächst Ihre Adresse.
Kılıç Das will ich nicht öffentlich sagen. Ich kann Ihnen meinen Ausweis zeigen.
Götzl Erzählen Sie doch zunächst von Ihrem Leben, Ihrer Familie.
Kılıç Fragen Sie diese Frau … (Sie deutet auf Zschäpe.)
Götzl Was war Herr Kılıç für ein Mann?
Kılıç Er war ein sehr guter Mensch, ein Familienvater. Er war ein anständiger Mann. Was soll ich dann noch erklären? Ich will, dass diese Frau ihre Strafe bekommt.
Götzl Hier ist eine Gelegenheit, dass Sie das Leben Ihres Mannes schildern.
Kılıç Ich sag, das ist für mich ein guter Mensch gewesen.
Götzl Was hat er damals gemacht, wie war seine Lebenssituation?
Kılıç (trotzig) Was soll ich da noch sagen?
Götzl Wenn ich Sie höflich frage, erwarte ich auch höfliche Antworten.
Kılıç Jahrelang wurde ich wie eine Verdächtige behandelt. Im Laden war ein Blutbad drin, das mussten wir selber sauber machen.
Götzl Wie ist denn nach der Tötung Ihres Mannes das Leben weitergegangen?
Kılıç Wie soll es sein?
16. Juli 2013
Manfred Götzl, Richter. Horst-Thomas S., 49, Kriminaloberkommissar beim BKA in Meckenheim. Er hat den Angeklagten Holger Gerlach vernommen. Er sagte auch an den Tagen 24 und 25 aus.
(Da Holger Gerlach vor Gericht, anders als im Ermittlungsverfahren, keine Fragen beantworten will, werden nach und nach die Beamten als Zeugen gehört, die ihn vernommen haben. BKA-Mann S. betritt den Saal. Es geht zunächst um eine Vernehmung am 25. November 2011 in der JVA Köln-Ossendorf.)
Horst-Thomas S. Herr Gerlach hat mit sich gekämpft. Es flossen auch ein paar Tränen. Er sagte, er sei schon 1998 von Herrn Wohlleben angesprochen worden und habe 3000 D-Mark gespendet für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Er sagte, er habe einen Reisepass für die drei nachgemacht und sich für das Foto die Haare abgeschnitten und einen Schnauzer wachsen lassen. Eine AOK-Karte und seine ADAC-Karte habe er ihnen ebenfalls gegeben und 2005 auch seinen Führerschein. 2011 habe er ihnen das letzte Mal seinen Reisepass übergeben. Auch von dem Transport der Waffe hat er uns erzählt, und dass Zschäpe ihn bei der Übergabe am Bahnhof erwartet habe. Er sei aber wütend gewesen und habe gesagt, so einen Scheiß wolle er nicht mehr machen, man solle sich nicht anmaßen, mit fünf Mann die Welt retten zu können. Er sagte, er solle mit dem Neonazi Thorsten Heise Kontakt aufnehmen, wegen einer Flucht der drei ins Ausland. (Heise ist ein NPD-Politiker aus Niedersachsen.) Er sagte, das sei ihm zu groß gewesen, er hat es dann aber doch gemacht. Gerlach sagte zunächst auch, er habe die 3000 D-Mark nicht wieder bekommen. Später korrigierte er sich: Er hat sie doch wieder bekommen und zusätzlich noch 10000 D-Mark, die er für die drei verwahren sollte.
Er sagte, er fühlte sich den dreien freundschaftlich verbunden. Von Wohlleben hat er eine Handynummer bekommen, um Kontakt zu den dreien zu halten. Er habe die weggeworfen und könne sich nicht mehr daran erinnern. Die Freundschaft mit Wohlleben sei nach dem Waffentransport zerbrochen.
Wenn er für eine Hilfsleistung Geld bekommen hat, habe es ihm immer Frau Zschäpe gegeben. Er meinte, die drei hätten ihm das Gefühl gegeben, dass er etwas Supertolles für sie getan habe. Zum Treffen im Jahr 2005 erzählte er, die drei seien vor der Tür in Hannover gestanden, alle seien hocherfreut gewesen, man hatte sich so lange nicht gesehen. Er habe ihnen gesagt, dass er aus der Szene ausgestiegen sei. Sie hätten ihm daraufhin den Eindruck vermittelt, dass er kein Verräter sei. Für sie sei es okay, dass er mit der Szene gebrochen habe, und er habe das Gefühl gehabt, die drei seien selbst auch ausgestiegen. Er hatte regelmäßig telefonisch Kontakt, ein bis drei Mal im Jahr über die Handynummer. Er sei bereit gewesen, sie weiter zu unterstützen, obwohl er mit der Übergabe des Reisepasses und des Geldes bereits an seine Schmerzgrenze gelangt sei. Sie hätten sich immer Donnerstagnachmittag getroffen, weil da seine Lebensgefährtin arbeitete. Und er fuhr immer wieder mit ihnen in Urlaub, nach Usedom, Flensburg, Lübeck, in den Jahren 2000, 2002 und 2004, sie nannten das Systemchecks.
Gerlach erzählte außerdem, André Kapke und Ralf Wohlleben hätten den Kontakt gehalten zu dem Trio und Konzerte zu ihrer Unterstützung veranstaltet. Die drei seien positiv überrascht gewesen, weil Leute sie unterstützten, die sie gar nicht kannten. Frau Zschäpe habe ihm aber auch erzählt, dass André Kapke bis 1999 Geld gesammelt, aber nicht alles an die drei übergeben habe. Es habe da Unstimmigkeiten gegeben. Wohlleben habe bis 2000 Geld gesammelt für die drei.
Seinen 30. Geburtstag hat Holger Gerlach im Braunen Haus in Jena gefeiert. Da hat er Wohlleben nochmal angesprochen auf die drei. Wohlleben habe gesagt, er habe die Schnauze voll von denen. Er wolle Karriere bei der NPD machen, da stand ihm die Unterstützung der drei im Weg.
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