Ich hatte nie das Gefühl, mit einer terroristischen Vereinigung befreundet zu sein. Die Unterstützung tut mir fürchterlich leid. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Man darf nicht vergessen, dass bis zum Tod der Uwes niemand die Terrorzelle erahnt hat. Das gilt auch für mich. Es fällt mir bis heute schwer, das zu akzeptieren. (Gerlach stöhnt, setzt seine Brille ab. Weitere Fragen will er nicht beantworten.)
11. Juni 2013
Manfred Götzl, Richter. Holger Gerlach, Carsten Schultze, Angeklagte. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe. Stefan Hachmeister, Verteidiger von Holger Gerlach. Johannes Pausch, Verteidiger von Carsten Schultze. Thomas Bliwier, Anwalt der Nebenklage.
(Die Vernehmung des Angeklagten Carsten Schultze von Tag 6 wird fortgesetzt. Er wird sich im Laufe des Tages erstmals zu einem mutmaßlichen Sprengstoffanschlag in Nürnberg äußern. Im Jahr 1999 explodierte dort in einer Kneipe eine mit Schwarzpulver gefüllte Taschenlampe. Ein junger Deutsch-Türke wurde verletzt. Der Anschlag war den Ermittlern bisher nicht als Tat des NSU bekannt.)
Götzl Ich weise Sie darauf hin, Herr Gerlach, dass Ihre gestrige Einlassung schon etliche Fragen aufwirft. Ist Ihnen das klar?
Gerlach Ja. Dennoch möchte ich bis auf Weiteres keine Fragen beantworten.
Anwalt Bliwier Haben Sie Kontakt zu Geheimdiensten gehabt?
Gerlach Nein, auch dazu möchte ich nichts sagen.
Anwalt Bliwier Holger Gerlach hat sich selbst belastet, er hat Tatvorwürfe eingeräumt, aber er lässt keine Fragen zu. Das ist in hohem Maße bedauerlich. Es ist zu sehen, wie stark er betroffen ist, emotional. Die Entschuldigung wird von der Familie Yozgat anerkannt. Aber das ist zu wenig. Weil es der Familie Yozgat nicht darum geht, welche Strafen verhängt werden, sondern um Aufklärung. (Er wendet sich direkt an Gerlach.) Sie hätten eine große Chance, Aufklärungshilfe zu leisten und einen Großteil des Unrechts in Ansätzen wiedergutzumachen.
Götzl Möchten Sie dazu etwas sagen?
Verteidiger Hachmeister Unser Mandant möchte zunächst schweigen.
Götzl Dann kommen wir jetzt zu Herrn Schultze. Sie möchten sich noch weiter äußern.
Schultze (räuspert sich) Ich bin an einen Punkt gekommen …
Verteidiger Heer (unterbricht und wendet sich an Götzl) Wollen Sie Herrn Gutachter Leygraf nicht informieren über die bisherige Aussage von Herrn Schultze? (Gemeint ist der Essener Psychiater Norbert Leygraf, der für das Gericht ein Gutachten über den Angeklagten Carsten Schultze erstellen soll.)
Götzl Der Gutachter Leygraf wird informiert, Sie müssen sich darüber keine Sorgen machen. Zu gegebener Zeit wird er informiert. Er ist Manns genug, sich zu melden, wenn er sofort etwas wissen will.
Verteidiger Pausch Die Information ist de lege artis erforderlich. Die Aussage soll nicht in Vergessenheit geraten.
Verteidiger Heer Konsequenterweise muss jetzt eine Information erfolgen. Ich fordere einen Beschluss des Gerichts.
(Die Sitzung wird kurz unterbrochen.)
Götzl Das Gericht hat beschlossen: Herr Leygraf wird erst später informiert. Die Aussage des Herrn Schultze hat Vorrang.
Schultze Ich bin an einen Punkt gekommen, wo ich reinen Tisch machen möchte. Was der Vertreter von Herrn Yozgat gerade gesagt hat, das sehe ich auch so. Ich stelle mich meinen Geistern. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich es bisher immer jedem Recht machen wollte. Ich hatte Angst, dass meine Mutter einen Nervenzusammenbruch bekommt, wenn sie von meiner Vergangenheit erfährt. Ich wollte ihr den Sohn nicht nehmen, auf den sie stolz ist. Ich hatte auch Angst, was meine Freunde über mich denken. Deshalb habe ich Sachen zurückgehalten. Das will ich nicht mehr. Ich werde alles so schildern, wie ich es in Erinnerung habe.
Mich hat schon als Kind das Dritte Reich fasziniert und alles, was damit zusammenhing: HJ, SS, Uniformen. Beim Briefmarkensammeln, mit neun oder zehn, war das Dritte Reich mein Zielgebiet.
In der Klasse war kein Rechter. Aber man hatte einfach weniger Probleme, wenn man einen Skinhead gegrüßt hat. Wenn man sich mit Rechten und Hooligans verstand, ist man weniger Gefahr gelaufen, dass einem was passiert.
Ich hatte in Jena einen Kumpel, er hieß Marco. Irgendwann haben wir beschlossen, die Sau rauszulassen. Wir haben Scheiben eingeworfen und herumrandaliert. Waffen haben mich immer fasziniert, ich hatte eine Zwille und ein Messer. Ich erinnere mich an eine Beachparty, von der Antenne Thüringen veranstaltet, da hatte ich schon rechte Klamotten an und trug die schwarz-weiß-rote Fahne. Ich bin mit zwei, drei Skins losgezogen. Meine Kumpels hatten da Respekt vor. Das war ein gutes Gefühl, ein Gefühl von Stärke.
Dann gab es da eine JN-Veranstaltung in Furth im Wald. (Die Abkürzung JN steht für »Junge Nationaldemokraten«, die Nachwuchsorganisation der NPD.) Ich saß mit Klamotten im McDonald’s, auf einmal standen acht Linke am Hintereingang. Einer hatte eine Schreckschusspistole. Ich hatte totale Angst. Mein Kumpel hat die ganze Zeit seine Chicken-Nuggets gegessen und mir nicht geholfen. Die Linken wollten mir die Aufnäher von der Jacke reißen. Es gab ein Gerangel, dabei ging eine Glastür kaputt und die Pistole auch.
Waffen waren in der rechten Szene immer ein Thema. Ich hatte selbst einen Schlagstock, ein Abwehrspray, eine Schreckschusspistole und ein Holster, ich fand das toll. Im November 2011, als Mundlos und Böhnhardt aufgefunden wurden, habe ich die Pistole aus dem Keller in den Rhein geworfen. Ich wollte nicht, dass sie bei mir gefunden wird. Ich wollte das Bild aufrechterhalten: das Bild des guten Sohns, des Sozialpädagogen.
Was die Szene und ihr Verhältnis zur Gewalt angeht: Als wir mit einem NPD-Infostand in der Innenstadt standen, war das natürlich eine Provokation. Autonome kamen vorbei mit Ketten und Schraubenschlüssel in den Händen. Ich hab mir ein Tuch vor das Gesicht gebunden und einen Mundschutz reingeschoben. Bald kam aber die Polizei, sodass nichts passiert ist.
Wir sind öfter auf die Dorfkirmes gefahren und haben Stunk gemacht. Ich erinnere mich an eine Schlägerei in Stadtroda. Einer von uns wollte Streit, es waren aber keine Zecken da. Also hat er einen provoziert, der ein 88-Basecap aufhatte. (Die Zahl 88 steht in der rechten Szene für »Heil Hitler«, weil die Zahl 8 auf das H verweist, den achten Buchstaben im Alphabet.) Der hat sich das erkämpft.
Es gab auch eine Schlägerei in Bürgel, das waren krasse Typen, ich glaube, Hooligans.
(Dann berichtet Schultze erneut von dem Überfall auf zwei Jugendliche in Winzerla, bei dem auch er zugetreten habe, nachdem einer seiner Kumpel als Nazi beschimpft worden sei. Der Vorfall habe sich am selben Tag ereignet wie die Schlägerei in Stadtroda.) Sven K. hat auf den eingeschlagen. Herr Wohlleben ist dem Zweiten hinterhergerannt. Ich bin dem Typ von hinten in den Rücken gesprungen. Ein Kamerad sagte: Das macht man nicht, von hinten. Wir haben den Typ in die Holzhütte gebracht und alle auf ihn eingeschlagen. Ich habe auch zwei, drei Mal getreten und geschlagen und von außen auch noch die Holzhütte gerüttelt, damit der da hin und her fällt. Später haben wir einen Krankenwagen auf dem Bahnhofsplatz gesehen. Wohlleben hat erklärt, dass er dem einen auf dem Gesicht rumgesprungen ist.
Zur Waffenübergabe an die drei ist mir noch eingefallen: Sie wollten eine Halbautomatik, keinen Trommelrevolver. Ich bin zum Schultz in den Madley-Laden gegangen und sagte, der Wohlleben schickt mich. (Gemeint ist ein Kleidungsgeschäft in Jena, das sich mit seinem Sortiment vor allem an ein rechtes Publikum richtete.) Es sollte möglichst ein deutsches Fabrikat sein, mit Munition. Die wollten auf jeden Fall über 50 Schuss. Von Wohlleben habe ich das Geld dafür bekommen.
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