»Ich denke, ich bin dankbar für die Werkzeuge, deren Anwendung ich hier gelernt habe, denn ich habe viele Ängste, besonders in Bezug auf die Schule. Ich habe das Gefühl, dass sich meine momentanen Ängste im Laufe der letzten Wochen verringert haben, weil ich achtsam und mitfühlend mit mir umgehe, und – keine Ahnung – ich fühle mich viel besser in Hinblick auf eine Menge Dinge, die ich tun muss, weil ich weiß, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich sie nicht tue oder was auch immer.«
Bluth und Eisenlohr-Moul (2017) untersuchten auch die Ergebnisse für Jugendliche ( n = 47 ; 53 Prozent weiblich, Alter: elf bis siebzehn Jahre), die an MFY teilnahmen, in fünf Kohorten. Die Selbstbeurteilungen fanden zu Beginn, nach Abschluss und bei einem Follow-up-Termin nach sechs Wochen statt. Mehrstufige Wachstumsanalysen zeigten, dass bei den Teilnehmenden im Laufe der Zeit Selbstmitgefühl (17 Prozent), Achtsamkeit, Resilienz, Neugier/Forschergeist und Dankbarkeit zunahmen, während sich der wahrgenommene Stress verringerte. Campo und Kollegen (2017) führten eine ähnliche Studie über eine adaptierte Version des MFY-Programms durch, an dem junge weibliche Krebsüberlebende online teilnahmen (n = 25, 18 – 29 Jahre). Die Teilnehmerinnen berichteten nicht nur, dass sie das Programm mochten und hilfreich fanden, sie zeigten auch mehr Selbstmitgefühl (29 Prozent), mehr Achtsamkeit, ein verbessertes Körperbild, posttraumatisches persönliches Wachstum und weniger soziale Isolation, Angst und Depression. Diese Ergebnisse sind ermutigend und deuten darauf hin, dass es möglich ist, die MSC-Skills auch sehr jungen Menschen zu vermitteln und so den Entwicklungsweg von Jugendlichen in eine Bahn zu lenken, die ihnen ein Leben lang zugute kommen könnte.
Schließlich wurde über kurze Selbstmitgefühlstrainings auf der Grundlage des MSC-Protokolls geforscht. So führten beispielsweise Smeets, Neff, Alberts und Peters (2014) eine Studie durch, bei der Studentinnen über einen Zeitraum von drei Wochen adaptierte Übungen aus dem MSC-Programm vermittelt wurden (zum Beispiel die Selbstmitgefühlspause, der mitfühlende Brief an sich selbst und das Formulieren von Sätzen der liebevollen Güte). Die Teilnehmerinnen, 49 Psychologiestudentinnen (Durchschnittalter = 19,96 Jahre), die im ersten oder zweiten Jahr an einer europäischen Universität studierten, wurden nach dem Zufallsprinzip der Selbstmitgefühls-Interventionsgruppe (n = 27) oder einer Kontrollgruppe zugeordnet, die aktives Zeitmanagement betrieb (n = 22) . Beide Gruppen trafen sich an drei aufeinanderfolgenden Wochen zu drei kurzen Sitzungen: zu zwei aktiven Interventionssitzungen von jeweils 90 Minuten und einer Abschlusssitzung, die 45 Minuten dauerte. Eine Woche vor und eine Woche nach der Intervention wurden verschiedene Selbstbeurteilungsbögen verteilt. Man stellte fest, dass die kurze MSC-Intervention zu einer signifikant höheren Zunahme an Selbstmitgefühl (21 Prozent), Achtsamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit sowie einem signifikant höheren Rückgang des Gedankenkreisens geführt hatte als das Kontrollsetting.
Der Erfolg dieses kurzen Trainings ist ermutigend und legt nahe, dass die positiven Aspekte von Selbstmitgefühl gelehrt werden können, ohne dass eine Meditationspraxis erforderlich ist. Deshalb testen wir derzeit Kurzversionen von MSC für Bevölkerungsgruppen wie Lehrer, Eltern chronisch kranker Kinder und Fachkräften im Gesundheitswesen, die vom Burn-out bedroht sind. Vorläufige Ergebnisse einer randomisierten Wartelistenkontrollstudie über ein kurzes Protokoll von sechs einstündigen Sitzungen, die mit Pflegekräften eines Kinderkrankenhauses durchgeführt wurden, legen nahe, dass die kurze Intervention bei dieser Population Wirkung zeigt. Die Teilnehmenden berichteten nicht nur, dass sie Spaß an diesem Programm hatten, es zeigte sich auch, dass es zu einer signifikanten Zunahme des Selbstmitgefühls (16 Prozent), der Achtsamkeit, des Mitgefühls für andere sowie der Mitgefühlszufriedenheit führte und Stress verringerte. Es gab auch einen Moderatoreffekt, das heißt, dass Teilnehmende, die zu Beginn wenig Selbstmitgefühl hatten, einen signifikanten Rückgang depressiver Symptome erlebten (im Gegensatz zu denjenigen, die zu Beginn einen hohen Selbstmitgefühls-Level hatten). Darüber hinaus war die Zunahme des Selbstmitgefühls bei einem Follow-up nach drei Monaten stabil geblieben.
Diese kurzen Interventionen sind vielversprechend, da sie weniger Zeitaufwand erfordern und sich eventuell besser für Menschen eignen, die keine Meditationspraxis aufnehmen möchten und es vorziehen, einfach nur die Selbstmitgefühlspraxis in ihren Alltag zu integrieren. Die diesbezügliche Forschung befindet sich allerdings noch in einem frühen Stadium, und es bleibt abzuwarten, wie viel Praxis notwendig ist, um die neue Gewohnheit des Selbstmitgefühls auf eine Weise zu erlernen, die langfristig Wirkung zeigt.
Implizites versus explizites Selbstmitgefühlstraining
Obwohl sich gezeigt hat, dass achtsamkeitsbasierte Interventionen wie MBSR und MBCT das Selbstmitgefühl steigern, und obwohl ein höheres Selbstmitgefühl ein Schlüsselmechanismus dieser Interventionen zu sein scheint, gibt es einige Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob Selbstmitgefühl besser implizit oder explizit gelehrt werden sollte. Jon Kabat-Zinn (2005) schreibt, dass MBSR-Lehrer stets »versucht haben, liebevolle Güte zu verkörpern … meiner Meinung nach musste also nie explizit etwas darüber gesagt werden. Besser, in allem, was wir waren und taten, liebevoll und freundlich zu sein, so gut wir konnten, und es dabei zu belassen.« Dieses Argument wird von Segal und Kollegen (2013) in ihrem MBCT-Trainingshandbuch wiederholt, in dem sie die Meinung vertreten, Selbstmitgefühl solle am besten implizit vermittelt werden:
»Wenn sich Selbstmitgefühl in MBCT durch pervasive, indirekte, ja implizite Unterweisung entwickelt, dann liegt ein Großteil der Verantwortung, dies zu verkörpern, bei der Trainerin oder dem Trainer. Die Freundlichkeit, die zunächst durch die menschliche Wärme, Aufmerksamkeit und einladende Haltung der anleitenden Person vermittelt wird, wird während des gesamten Programms durch den sanften Umgang mit den Teilnehmenden verstärkt, insbesondere angesichts negativer Gefühle wie Trauer oder Wut. Auf diese Weise werden Achtsamkeit und Mitgefühl übertragen und nicht gelehrt.«
Dieser Ansatz besagt, dass Selbstmitgefühls-Skills durch implizite Herangehensweisen wie menschliche Wärme des Lehrenden und das Eingehen auf Fragen und Kommentare der Teilnehmenden ausreichend bestärkt werden.
Die Frage, ob Selbstmitgefühl effektiver durch implizite oder explizite Ansätze vermittelt wird, ist letztendlich eine empirische. Soweit wir wissen, hat sich bisher nur eine Studie mit dieser Frage befasst. Brito-Pons und Kollegen (2018) verglichen die Ergebnisse von Personen, die sich an einer Universität in Chile in einen CCT-Kurs eingeschrieben hatten (n = 26) , mit denen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen (n = 32) eines MBCT-Kurses an derselben Universität, wobei allerdings zu beachten ist, dass die Teilnehmenden zwischen den beiden Settings nicht randomisiert waren. Dennoch erlaubt die Studie vorläufige Einschätzungen der möglichen Unterschiede zwischen dem expliziten und impliziten Vermitteln von Mitgefühl. Bei beiden Gruppen war eine signifikante Zunahme des Selbstmitgefühls (CCT = 28 Prozent, MBSR = 15 Prozent) zu beobachten. Obwohl die Zunahme bei CCT deutlicher war, unterschied sie sich nicht signifikant von MBSR. CCT-Teilnehmende berichteten auch von einer signifikanten Zunahme des Mitgefühls für andere (8 Prozent), empathischer Zugewandtheit (14 Prozent) und Identifikation mit der Menschheit (15 Prozent). Bei diesen Ergebnissen war bei der MBSR-Gruppe keine signifikante Veränderung zu verzeichnen (3 Prozent, 2 Prozent und –1 Prozent). Interessant ist, dass bei beiden Gruppen nahezu identische Zuwächse an Achtsamkeit beobachtet wurden (CCT = 17 Prozent, MBSR = 16 Prozent), was darauf hindeutet, dass die Ergebnisse nicht allein auf das Thema des jeweiligen Programms zurückzuführen waren.
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