Johan Egerkrans
Die Untoten
Aus dem Schwedischen von Maike Dörries
© Atrium Verlag AG, Imprint WooW Books, Zürich 2020
Alle Rechte vorbehalten
© Text, Cover und Illustrationen: Johan Egerkrans
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel De Odöda bei B. Wahlströms Bokförlag, Stockholm (Schweden)
Published by agreement with Rabén & Sjögren Agency
Aus dem Schwedischen von Maike Dörries
Lektorat: Eva Jaeschke, Berlin
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
ISBN 978-3-96177-558-3
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Für Sir Terry Pratchett,
der dem Tod ein Gesicht gab.
Und Nils »Nisse« Gulliksson,
weil er so krasse Skelette zeichnet.
»The moon may be full,
the moon may be white,
All I know is you will feel his bite.«
Roky Erickson, Night of the Vampire
»Das Blut ist die Seele allen Fleisches.«
3. Buch Mose, 17,14
»Und ich sah ein fahles Pferd. Und der darauf saß,
des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach.«
Offenbarung 6,8
Seit Anbeginn der Zeit fürchten wir Menschen den Tod. Dabei geht es nicht nur um die Angst vor dem Ende des Lebens und unserem eigenen, unausweichlichen Tod, sondern ebenso um die Furcht vor den bereits Verstorbenen. In so gut wie allen Kulturen der Welt gibt es Erzählungen über Seelen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in der irdischen Welt bei den Lebenden hängen bleiben, die sie eigentlich verlassen sollten. Diese Wiedergänger lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Geister und Gespenster sind körperlose Schattengestalten, die als eine Art Echo einer Seele zurückbleiben, zum Beispiel wenn ein Mensch unter tragischen Umständen gestorben ist. Viele Geister können ihr Erdendasein noch nicht aufgeben, weil sie noch etwas zu erledigen haben. Die einen wollen sich an ihrem Mörder oder für eine Ungerechtigkeit rächen, andere ihre Hinterbliebenen vor einer bevorstehenden Katastrophe warnen. Manchmal handelt es sich aber auch nur um verwirrte Seelen, die schlicht und ergreifend nicht gemerkt haben, dass sie gestorben sind, und aus lauter Gewohnheit weitermachen, als wären sie noch am Leben. Unabhängig von den Motiven für ihr Herumspuken stellen diese unerlösten Seelen selten eine wirkliche Bedrohung für die Lebenden dar. Im Grunde genommen sind es einfach nur tragische Figuren, auch wenn es ganz schön gruselig sein kann, auf eine von ihnen zu treffen.
Die zweite Gruppe Wiedergänger ist erheblich gefährlicher. Es geht um furchterregende lebende Tote, die sich aus ihren Gräbern erheben und ihre früheren Mitmenschen terrorisieren – nicht selten die eigene Familie. Ganze Geschlechter, ja, Dörfer können von solch einem Wesens verwüstet und ausgelöscht werden. Legenden und Geschichten über diese Untoten oder Lebenden Toten gibt es auf der ganzen Welt: von den skandinavischen Draug über die rumänischen Strigoi , die griechischen Vrykolakas und Chinas hüpfenden Jiangshi bis hin zu Australiens skelettähnlichen Namorodo . Diese Totenwesen stellen fast allesamt eine massive Bedrohung dar. Sie haben jede Menschlichkeit verloren und sich in dämonische Wesen voller Hass auf alles Lebendige verwandelt. Nur wenige von ihnen sind einfach nur Angst und Schrecken verbreitende Unruhestifter, die meisten pressen alles Leben aus ihren Opfern heraus, verbreiten Krankheiten, Seuchen oder Wahnsinn. Die gefährlichsten von ihnen jagen und töten Menschen und ernähren sich von deren Fleisch und Blut. Viele Untote besitzen eine Reihe magischer Fähigkeiten, können ihre Größe ändern, sich unsichtbar machen, die Gestalt eines nahen Verwandten oder Geliebten annehmen oder als Rauch oder Nebel erscheinen. Viele verwandeln sich in Tiere, häufig in Katzen, Hunde, Ratten und natürlich Fledermäuse. Aber je nach Herkunft des Untoten können es auch Hyänen oder Ziegen oder scheinbar harmlose Insekten sein. Griechische Vampire erscheinen häufig als Nachtfalter, während der Krankheiten verbreitende Adze aus Tongo als Glühwürmchen erscheint. Wieder andere treten nicht in Tiergestalt auf, sondern als Pflanze oder Gebrauchsgegenstand. Nach einem Blutsauger-Mythos der Roma auf dem Balkan können selbst aus Kürbissen oder Melonen Vampire entstehen.
Das bekannteste untote Wesen ist zweifelsohne der Vampir. In den letzten zwei Jahrhunderten haben sich diese Blutsauger zu den beliebtesten und immer wieder neu interpretierten Monstern der modernen Popkultur entwickelt. Graf Dracula, ursprünglich vom irischen Autor Bram Stoker erfunden, ist nicht nur der bekannteste Vampircharakter der Literatur, sondern auch eine der am häufigsten wiederkehrenden Figuren der Filmgeschichte.
Nur Tarzan, Sherlock Holmes, Luzifer und Gott selbst konkurrieren mit ihm um diese Position. Darüber hinaus geht die Zahl der Bücher, Theaterstücke, Filme und Computerspiele, in denen Vampire auftreten, die von Bram Stokers umhangbekleidetem Graf Dracula inspiriert wurden, ins Unendliche.
Aber dieses Buch handelt nicht von den fiktiven, verführerischen Vampiren, die im Silberschein des Mondes ihre Zähne in die weißen Hälse schöner unschuldiger Frau bohren. Wir wollen hier einen genaueren Blick auf die Geisterwesen aus Volksglauben und Mythen werfen, die Inspirationsquelle für den transsilvanischen Grafen und seine mit Reißzähnen ausgerüsteten Nachfolger waren. Und diese Wesen sehen schon ein wenig anders aus …
Die Vorbilder für die fiktiven Vampire kommen aus Mitteleuropa, vorrangig aus Rumänien, Ungarn, Griechenland und Deutschland sowie den slawischen Ländern Polen, Ukraine und Serbien. Aber der Unterschied zwischen einem rumänischen Strigoi oder Moroi und einem skandinavischen Geist ist gar nicht so groß, wie man meinen könnte. Auch von ihnen gibt es viele Geschichten, in denen sie kein Blut trinken, sondern anderweitig ihr Unwesen treiben.
Lebende Tote und Wiedergänger spielen in Skandinavien eine ähnliche Rolle wie die Vampire in Mitteleuropa, auch wenn sie ihre Opfer eher erdrücken als aussaugen. Ein skandinavisches, als Blutsauger geltendes Geistwesen ist die tragische Gestalt des Myling , ein im Verborgenen geborenes Kind, das nach der Geburt von seiner Mutter ermordet und an einem geheimen Platz begraben wurde. Viele Legenden erzählen von Mylingen, die ihre Mütter nachts aufsuchen und sie aussaugen, bis sie tot sind. Am nächsten Morgen findet man die leblose Mutter mit Blutstropfen an den Brustwarzen. Der Myling hat seine Rache bekommen.
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