Es sollte noch erwähnt werden, dass nicht alle Vampire im eigentlichen Sinn Untote sind. Laut einer Definition ist ein Vampir kurz gesagt ein Wesen, das nach dem Blut und der Lebenskraft des Menschen dürstet. Das kann deshalb auf ein relativ unspektakuläres Tier zutreffen – eine Mücke, einen Igel, eine Zecke oder etwas exotischer eine Vampirfledermaus – genau wie auf einen lebenden Toten. Es gibt auch eine Reihe untoter, übersinnlicher Wesen mit einer Vorliebe für Blut, wie Hexen, Zauberkundige, Dämonen, Naturwesen oder selbst Götter. Gestaltwandler wie die skandinavische Mahr können den Vampiren zugerechnet werden, da sie ihren Opfern im Schlaf die Lebenskraft aussaugen. Ein anderer Gestaltwandler, der oft mit Vampiren in einem Atemzug genannt wird, ist der Werwolf. Es besteht eine enge Verbindung zwischen ihnen, obwohl unter einem Werwolf normalerweise kein Untoter verstanden wird, sondern ein lebender Mensch oder eine Hexe, der oder die sich in einen Wolf verwandelt. Das griechische Wort für Vampir – Vrykolakas – stammt vom slawischen Vǎrkolak und bedeutet Werwolf. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass viele Vampire in der Lage sind, sich in Wölfe zu verwandeln, versteht man, dass die Vorstellungen, die man sich von diesen beiden Wesen macht, eng miteinander verknüpft sind und gelegentlich verschmelzen.
Außerdem können einige ganz normale Menschen unter gewissen Umständen zu Vampiren werden. In Island zum Beispiel ließ man Säuglinge und ältere Menschen ungern zusammen in einem Raum schlafen, aus Angst, dass die Alten im Schlaf unbewusst die Lebensenergie der Kinder stehlen würden.
Die uralte Vorstellung, dass alle Lebenskraft im Blut liegt, ist auf der ganzen Welt verbreitet. Blut zu trinken bedeutete darum, Leben zu trinken, was zur Folge hatte, dass Blut häufig als Heilmittel gegen Krankheiten gesehen wurde. In Schweden galt – erstaunlicherweise – das Blut von Gehenkten, Mordopfern oder Selbstmördern als besonders wirksam. Bei öffentlichen Enthauptungen bildeten daher Wachen mit spitzen Holzspeeren einen Ring um die Richtstätte, um die Volksmassen auf Abstand zu halten. Diese sogenannte Holzspeer-Barrikade sollte die Zuschauer darin hindern, mit Trinkbechern, Taschentüchern, Löffeln oder anderen Gefäßen angelaufen zu kommen und das Blut aufzufangen, um es für alle möglichen Hauskuren anzuwenden. Die Römer etwa haben warmes Blut als Heilmittel gegen Epilepsie getrunken, während die ägyptischen Pharaonen in Menschenblut badeten, weil es verschiedene Krankheiten kurieren sollte. An dieser Stelle sei auch die berüchtigte ungarische Gräfin Elisabeth Báthory (1560–1614) erwähnt, die über sechshundert junge Mädchen folterte und tötete, um in deren Blut zu baden und so ihre Jugend zu bewahren. Wenn Blut also Leben bedeutet, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Untoten danach gieren. Blutopfer werden häufig in der Nekromantie angewendet – die Kunst, Kontakt zu den Geistern Verstorbener aufzunehmen. Ein klassisches Beispiel findet sich in der Odyssee , als Odysseus bei seinem Besuch in der Unterwelt ein Blutopfer darbringt, um mit den Seelen zu sprechen, die sich dort aufhalten.
»Schwarz entströmte das Blut, und aus dem Erebos kamen
viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten.«
Homer: Odyssee. Elfter Gesang
Wiedergänger, Geist oder Vampir?
Das Wort »Vampir« ist ebenso geheimnisvoll wie das Wesen, das es bezeichnet, und es hat relativ spät Einzug in unsere Sprache gehalten. Über den Ursprung kursieren eine Menge unterschiedliche Theorien, aber die meisten laufen darauf hinaus, dass es sich vermutlich um eine Verfremdung des slawischen Wortes für Geist handelt, Upir , das wiederum vermutlich von dem türkischen Wort Uber (Hexe) stammt. Das Wort »Vampir/Vampyr/Vampire« (leichte Abweichungen der Schreibweise in den verschiedenen Sprachen) tauchte Anfang des 18. Jahrhunderts zunächst in französischen und deutschen Texten auf und verbreitete sich dann in ganz Westeuropa.
In diesem Buch werden die Bezeichnungen »Wiedergänger« und »Totenwesen« ganz allgemein für unerlöste Seelen Verstorbener verwendet, »Gespenst« für Totenwesen ohne eine feste Form und »Geist« oder »Untote« für die Art von körperlichen, oft bösartigen Totenwesen, von denen dieses Buch in erster Linie handelt. »Vampir« bezeichnet im Besonderen die Wesen, die Blut oder Lebenskraft aussaugen. Oft überschneiden sich die Begriffe jedoch, und es ist nicht immer möglich, eine klare Grenze zwischen ihnen zu ziehen.
Ähnlich schwierig ist die Unterscheidung von Elfen und Natur- und Geisterwesen zu Wiedergängern. Die Geschichten sind oft widersprüchlich, und ein Wesen, das in der einen Sage als Naturwesen beschrieben wird, taucht in einer anderen plötzlich als unerlöste Geisterseele auf – ein schönes Beispiel dafür ist die irische Banshee . Elfen leben häufig in alten Grabhügeln und werden als die Geister der dort Begrabenen betrachtet – in diesem Fall also als eine Art Totenwesen. Auf den Britischen Inseln wimmelt es im Übrigen geradezu von vampirischen Elfen. Gwaernardel von der Isle of Man (der nur Poeten Blut aussaugt), der walisische Krummrücken Gwrach Y Rhibyn (der nachts Kinder und Greise zur Ader lässt) und der schottische Glaistig sind nur ein paar von ihnen.
Ein Untoter ist ein Totenwesen, dessen sterbliche Überreste reanimiert werden (animieren heißt unter anderem »beleben«). Entweder von der eigenen Seele des Verstorbenen oder einem anderen bösartigen Geisterwesen wie einem Dämon oder dem Teufel persönlich. Aber auch wenn Vampire und Geister häufig an einen physischen Körper gebunden sind, heißt das nicht zwingend, dass sie sich jede Nacht aus ihrem Grab herauswühlen und es um jeden Preis vor Sonnenaufgang schaffen müssen, sich wieder einzubuddeln. In vielen Fällen verbleibt der Körper im Grab oder seinem Sarg, der Grotte, dem Mausoleum oder wo immer der Leichnam sich befindet, während sich der Vampir-Geist von den sterblichen Überresten löst, um als eigenes Wesen sein Unwesen zu treiben. Tagsüber muss der Geist zurück in sein Grab und ist für diese Zeit unzertrennlich mit seinem Leichnam verbunden. In diesem Zustand sind die Untoten am verletzlichsten.
Es gibt massenhaft Gründe, weshalb Verstorbene zu Wiedergängern werden, aber ein weltweit verbreitetes Motiv ist, dass bei der Bestattung etwas schiefgelaufen ist. In den meisten Kulturen gibt es Regeln und Tabus für den Umgang mit und die Behandlung von Leichen, die auf jeden Fall eingehalten werden müssen. Wenn die Hinterbliebenen gegen diese Regeln verstoßen, hat das fatale Konsequenzen. Schon die alten Sumerer in Mesopotamien erzählten sich Geschichten von bösen Geistern, Edimmu , die Krankheiten verbreiteten und sich erheben würden, wenn Menschen auf falsche Weise bestattet worden waren.
Im Folgenden ein paar Gründe, weshalb jemand als Untoter zurückkehrt. Wobei wir uns auf eine kleine Auswahl beschränken – alle aufzulisten, die es gibt, würde ein eigenes Buch füllen.
Bösartige, streitsüchtige und gierige Menschen haben ein höheres Risiko, als Geist zu enden, ebenso Selbstmörder, Ertrunkene, Unverheiratete, wer von seinen Eltern abgelehnt stirbt oder Kinder, die nach dem Abstillen noch weiter Milch von ihrer Mutter zu trinken versuchen. Früher wurden Verbrecher häufig nicht auf dem Friedhof zwischen den gottesfürchtigen Menschen bestattet, sondern in ungeweihter Erde – was natürlich das Spukrisiko erhöhte.
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