Copyright © Claudius Verlag, München 2021
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München
Umschlagbild: © akg-images / Erich Lessing
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2021
ISBN 978-3-532-60082-5
Cover
Titel
Impressum Copyright © Claudius Verlag, München 2021 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München Umschlagbild: © akg-images / Erich Lessing E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2021 ISBN 978-3-532-60082-5
In einem Wort die ganze Welt
Vom Erlöschen der Seele
Die Spur der Worte
Selbstgespräche
Die Ausbeutung der Seele
Die Sprache der Computer
Menschen haben Seelen und keinen Code
Dataismus – die neue Gnosis
Verteidigung des Menschen
Lob des Körpers
Ein Wort macht eine lange Reise
Die Seelen der Apostel
Seele und Schuld
Seele in Choral und Liturgie
Das betende Tier
Heute von der Seele reden
Anmerkungen
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Eichendorff
In einem Wort die ganze Welt
Mit der Seele ist es wie mit dem Waldelefanten.
Unzählige Bäume und andere Pflanzen des Regenwaldes nutzen diesen kleinen rundohrigen Elefanten als Transporttier für ihre Samen. Der Elefant frisst die Früchte des Waldes und scheidet die unterschiedlichsten Samen wieder aus. So trägt er sie in entfernte Regionen und verbreitet sie überall hin. Auf diese Weise bleibt der Regenwald am Leben. Sterben die Waldelefanten aus, stirbt auch der Regenwald.
In den Ökosystemen unserer Sprache macht das Wort Seele nichts anders als der Waldelefant.
Die Naturwissenschaften sagen: Eine Seele gibt es nicht. Oskar Wilde formuliert es in seinem Märchen „Der Fischer und seine Seele“ so: „Was nützt mir meine Seele? Ich kann sie nicht sehen. Ich kann sie nicht berühren. Ich kenne sie nicht“. 1
Stimmt: Wir können die Seele nicht sehen, sie nicht berühren, nicht wiegen und nicht messen. Trotzdem gibt es ein Wort für sie – in allen Sprachen der Welt. Die Seele ist eine globale Idee.
Und trotzdem: In den Wörterbüchern der Naturwissenschaften und der Medizin, der Neuro- und Kognitionswissenschaften, und auch denen der Psychologie ist das Wort „Seele“ ausgestorben.
Sogar in der wissenschaftlichen Theologie versucht man neuerdings, diesen Begriff zu vermeiden, wohl um an die empirischen Wissenschaften anschlussfähig zu bleiben. Selbst in Bibelübersetzungen probiert nun mancher, den Begriff „Seele“ zu umgehen oder zu ersetzen.
Stellt sich die Frage: Ist diese Entwicklung schlimm?
Ist es nicht ganz normal, dass Worte aus der Mode kommen?
Ich denke, eine Sprache ohne Seele trägt zu einer allgemeinen inneren Verarmung bei. Ob sie das schlimm finden, überlasse ich Ihnen. Ich möchte dem Gedanken nachgehen, was wir verlieren, wenn wir eine seelenlose Sprache entwickeln.
Denn: Wenn wir die Seele aus Denken und Sprache entfernen, weil sie überflüssig erscheint, irreführend oder unklar, so gehen gleichzeitig ungezählte Denksysteme und Gedankenfiguren zugrunde, die mit der Idee einer Seele zusammenhängen. Ein geistiges Artensterben setzt ein. Es vertrocknen jahrtausendealte Theorien über das, was den Menschen ausmacht, im Verhältnis zu sich selbst, zur Mitwelt. Zu Gott.
Sie haben es bestimmt schon gemerkt: Dieses Buch ist ein konservatives Projekt. Ein Projekt zur Arterhaltung. Ein Plädoyer zur Rettung der „Seele“. Ein Plädoyer für eine Nachhaltigkeit des Denkens. Das Plädoyer für eine Rückholung. Eine Re-Animation in des Wortes ureigener Bedeutung.
Denn nicht nur die Seele ist vom Aussterben bedroht. Auch andere Begriffe, die mit ihr eng verwandt, ohne sie vielleicht gar nicht denkbar sind, sind bedroht: Hingabe zum Beispiel oder Glückseligkeit, Barmherzigkeit, Trost und Treue. Hinter jedem dieser Worte eröffnen sich Welten von Annahmen darüber, was der Mensch ist und sein kann, was ihm guttut oder schadet, was er braucht, wonach er sich sehnt.
Für unseren inneren Reichtum und die Nachhaltigkeit unseres Nachdenkens und Fühlens brauchen wir Begriffe, die in der Geistesgeschichte vernetzt sind, wie die Wurzeln der Urwaldbäume. So wie den der Seele.
Wir begegnen ihm in der Philosophie der Antike und in allen Religionen. Das Wort ist Jahrtausende alt und zuhause in Liedern und Gedichten, in Liturgien und Gebeten. Und es wohnt überall dort, wo Menschen nach dem Sinn ihres Lebens fragen und nach Gott. Das Wort für Seele kann japanisch tama oder mitama heißen oder jiva auf Sanskrit, chinesisch Po' oder auch Hun , die Hauchseele. Roho oder mizimu auf Suaheli.
So vielfältig der Begriff in allen Sprachen, so vielfältig die Vorstellungen davon, was die Seele ausmacht, tut und bewirkt. Hält sie den Körper am Leben? Ist sie jenes Prinzip, das Vögel fliegen lässt, Wölfe jagen und Nashörner angreifen? Lässt das Prinzip Seele die Osterglocken blühen und Birken grünen, Menschen weinen und mitleiden und lieben? Oder beschreibt Seele ausschließlich die menschliche Fähigkeit, über sich selbst nachzusinnen, sich zu erinnern und die Zukunft auszumalen?
Womöglich geht unsere Seele auch auf Reisen: Nachts, wenn wir schlafen, macht sie Ausflüge und funkt uns groteske und absurde, wunderliche und wunderbare Bilder zu.
Vielleicht beschreibt „Seele“ auch das, was von uns bleibt, wenn wir den Container unseres Körpers verlassen. Manche Religionen glauben, die Seele steige dann zu Gott empor, kehre förmlich nach Hause zurück. Andere glauben, Seelen versammeln sich bei ihren Ahnen. Wieder andere sind der Überzeugung, die Seele suche sich nach dem Tod ihres Körpers immer wieder eine neue irdische Heimstadt. Je nachdem, wie sie im alten Leben bestanden hat, dann in einer Maus, einem Adler, einem Bettler oder einer Königin.
Schon die unfassbar kunstfertigen Höhlenmaler der Cro-Magnon-Zeit vor 25.000 Jahren haben die Seele gemalt. In der Höhle von Lascaux zum Beispiel zeichneten unsere Vorfahren einen toten Menschen mit einem Vogelkopf und neben diesem Toten (der offenbar von einem Bison angegriffen worden war) ragt ein Stab empor, auf dessen Spitze ein kleiner Vogel sitzt, im Begriffe, sich in die Lüfte zu schwingen. 2
Bis heute schaffen Künstler ungezählte Bilder, um die Seele einzufangen: eine junge Frau, ein Säugling, ein Vogel, ein Schmetterling, der sich aus seiner Verpuppung befreit. Oder elementar: die Seele als Wind, als Hauch, Feuer, Licht, Wasser oder Rauch. Sie streicht vorbei, lodert und leuchtet. Macht sich bemerkbar als Schatten, Spiegelbild, Klang. Der Seele haftet stets etwas Unfassliches, Wandelbares, Luftiges und Flüchtiges an. Wenn wir von Seele sprechen, meinen wir das Prinzip Leben, Weiterleben, Überleben. Und die Fähigkeit des Menschen, über sich hinauszuwachsen und zugleich verhaftet zu sein im Netzwerk der Geschöpfe.
Mit dem Begriff der Seele beschreiben wir auch die Spannung zwischen unserer unrettbaren Leiblichkeit und unserer rettungslosen Sehnsucht nach Transzendenz. Unser unaufhörliches Streben nach einem anderen Leben und nach einem Gott. Visionen und Träume, Fantasien und Utopien, all das findet Ursprung und Heimat in dem Spielraum, den wir Seele nennen. Sie ist bei jedem Menschen einzigartig wie der Fingerabdruck, das Ohr oder die Iris.
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