4.3 Führung braucht Vertrauen
Gleichgültig, welcher Führungstyp Sie sind, eines bildet immer die Grundlage Ihrer Aufgabe: Sie müssen sich das Vertrauen Ihrer Schützlinge erwerben. Wenn Sie die weiter unten beschriebene Übung „Führen und führen lassen“ (S. 43) einmal am eigenen Leib ausprobiert haben, dann werden Sie spüren, dass Führung nur dann gelingt, wenn die Führungsperson das Vertrauen der anderen besitzt. Ohne Vertrauen wird Ihnen niemand gerne folgen. Spätestens in kritischen Phasen werden die anderen meutern und Ihren Führungsanspruch ablehnen. Das ist schon in der Hundeerziehung so. Ein Hund akzeptiert die Rudelführung seines Herrchens nur, wenn er ihm vertrauen kann. Ansonsten wird er bald seinen eigenen Impulsen folgen und glauben, dass er es besser kann. Bei uns Menschen verhält sich das nicht anders, auch wenn wir unsere Natur eine Zeit lang besser verbergen können.
Wie aber gewinnen Sie das Vertrauen Ihrer Mannschaft? Zunächst ist es in der Regel so, dass Ihnen auf Grund Ihrer Ausbildung, Ihrer Erfahrung, Ihres Alters und Ihrer Funktion ein Vertrauensvorschuss gewährt wird. In der Politik und in der Wirtschaft spricht man gerne von der 100-Tage-Regel. Gemeint ist der Zeitraum, der einem neu ins Amt gekommenen Entscheidungsträger eingeräumt wird, um sich auf seinem Posten zurechtzufinden. Danach aber gilt das simple Gesetz: Vertrauen muss man sich erwerben. Das geschieht vorwiegend durch unser Handeln. Wenn unsere Untergebenen erleben, dass unsere Handlungen fundiert sind und dass sie bei uns gut aufgehoben sind, dann gewinnen wir ihr Vertrauen.
Sie können Vertrauen nicht herbeireden. Das kann man zum Beispiel schön in einer Partnerschaft erleben, wenn einer der beiden fremdgeht. Der betrogene Partner wird dem anderen eine lange Zeit misstrauen, da sein Vertrauen tief verletzt wurde. Es genügt in diesem Falle nicht, zu beteuern, man würde es ganz sicher nicht wieder tun. Wie kann Ihnen der andere glauben, wo Sie doch Ihr Wort schon einmal gebrochen haben? (Sicher kennen Sie das Sprichwort: „Wer einmal lügt, dem traut man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“) Erst wenn der betrogene Partner über lange Zeit die Erfahrung gemacht hat, dass der andere es ernst meint, kann das Vertrauen zurückkehren.
Vertrauen entsteht durch Erfahrung.
Wenn Sie also erreichen wollen, dass Ihre Mannschaft Ihnen vertraut, müssen Sie den Spielern erfahrbar machen, dass Sie als Führer vertrauenswürdig sind. Das Gleiche gilt, wenn Sie das Vertrauen der Athleten untereinander fördern wollen. Die beiden folgenden Übungen beinhalten eine gute Möglichkeit, solche Erfahrungen zu fördern.
ÜBUNG 2: DAS MANNSCHAFTSNETZ
Lassen Sie die Mannschaft in einem Kreis stehen. Damit die Übung gelingt, sollte der Kreis aus mindestens acht und maximal 15 Personen bestehen. Wenn Ihr Kader größer ist, bilden Sie einfach zwei Gruppen. Sorgen Sie dafür, dass der Kreis schön eng ist. Auch für diese Übung gilt Redeverbot! Dadurch wird die Tiefe der Erfahrung gesteigert. Außerdem verhindern Sie so, dass dumme Bemerkungen zu einer Verunsicherung des Einzelnen führen. Ich habe es oft genug erlebt, dass Teilnehmer ihre Unsicherheit durch solche Bemerkungen überspielen wollen. Dem Prozess aber schadet das.
Jetzt darf ein Spieler in die Mitte des Kreises kommen und die Augen schließen. Wenn er sich so weit fühlt, lässt er sich langsam nach hinten kippen. Der oder die Mitspieler, auf die er zufällt, fangen ihn mit leicht vorgestreckten Armen auf. Es ist wichtig, dass sie mit dem Körper hinter den kippenden Spieler gehen, damit sie das Gewicht gut auffangen können. Jetzt geben sie ihm einen leichten Impuls in eine andere Richtung und der Spieler fällt so nach vorne oder zur Seite.
Setzen Sie diesen Prozess für 1-2 Minuten fort. In der Regel wird es dem blinden Athleten in der Mitte gelingen, sich immer besser in die Übung hineinzuversetzen. Anfangs kostet es oftmals Überwindung und viele sind auch zuerst recht steif. Aber wenn die Gruppe vorsichtig mit ihnen umgeht, bekommen die meisten viel Spaß an dieser Übung.
Ihre Aufgabe als Trainer besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Spieler im Kreis kein unnötiges Risiko eingehen. Gemeinsam kann man später auch Stück für Stück den Radius erhöhen, solange man sich immer noch dabei sicher fühlt. Wenn der Spieler in der Mitte genug hat, kehrt er zurück in den Kreis und ein anderer Athlet tritt in die Mitte.
ÜBUNG 3: PARTNERÜBUNG „FÜHREN UND FÜHREN LASSEN“
Achtung: Diese Übung sollte auf Freiwilligkeit beruhen. Wenn jemand nicht in die Mitte will, sollte das akzeptiert werden!
Machen Sie mit Ihren Spielern eine einfache Übung (eine detaillierte Schilderung der Übung finden Sie bei Molcho, 1990). Teilen Sie sie in Zweiergruppen ein. Jedes Paar bestimmt nun einen von beiden, der die Führung übernehmen wird und einen, der sich führen lässt. Letzterer soll während der Übung die Augen schließen und sich dem anderen ganz anvertrauen.
Die Aufgabe für den Sehenden besteht darin, den Partner durch die Räume zu führen. Er fängt mit einfachen Wegen an und erhöht dann langsam die Schwierigkeit. Wenn die Verständigung gut klappt, kann er auch dazu übergehen, den blinden Partner über Stühle und unter Tischen herklettern zu lassen usw. Regel ist aber, dass es verboten ist, miteinander zu sprechen. Kommunikation ist nur über Körperkontakt möglich. Am einfachsten ist es, wenn Sie vorgeben, dass der Führende den Partner nur an einer Hand halten darf.
Bitte achten Sie darauf, dass Sie die Spieler gut instruieren. Weisen Sie besonders darauf hin, dass der Führende verantwortlich mit dem Partner umgeht und ihn nicht gegen Türrahmen, Stühle oder Ähnliches laufen lässt. Gerade Jungen neigen erfahrungsgemäß dazu, zu fahrlässig mit ihrer Aufgabe umzugehen oder sich aus der Abhängigkeit des anderen sogar einen Spaß zu machen. Wenn Sie das zulassen, erreichen Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollten.
Die Paarübung birgt übrigens noch weitere Reize in sich. Sie lässt sich gut als Mittel einsetzen, um zwei bestimmte Spieler miteinander in Kontakt zu bringen. Das können Athleten sein, die sich bisher kaum kannten, oder zwei Spieler, die sich zuvor nicht richtig „grün“ waren. Genauso bietet sie sich bei Athleten an, welche auf dem Spielfeld gut miteinander harmonieren müssen (z. B. die beiden Innenverteidiger, Kreisläufer und Anspieler usw.).
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Schwierige Momente erfordern eine besonders sensible Führung. |
4.4 Weitere Anforderungen an eine gelungene Führung
Die Paarübung zum Führen ist ein gutes Beispiel dafür, welchen Einfluss das Vertrauen auf das Gelingen des Prozesses hat. Sie macht aber noch weitere Faktoren deutlich, welche dazu beitragen, dass Führung gelingt.
Zunächst spielt es eine wichtige Rolle, dass der blinde Partner sich überhaupt führen lässt. Wenn er sich sperrt, etwa weil er auf Grund schlechter Erfahrungen sehr misstrauisch geworden ist, so können Sie sich anstrengen, wie Sie wollen, es wird nie etwas Brauchbares dabei herauskommen.
Ich hatte zum Beispiel in einer Fußballmannschaft einen jungen Spieler, der in einem Jugendheim groß geworden war. Dort hatte er gelernt, niemandem zu vertrauen und sich ganz alleine zu behaupten. Im Mannschaftssport bekam er mit dieser Haltung zwangsläufig immer wieder große Probleme. Er war nicht in der Lage, sich von älteren Spielern oder vom Trainer etwas sagen zu lassen. Am Ende blieb als einzige Möglichkeit, sich von ihm zu trennen, obwohl er sportlich sehr talentiert war.
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