Kommen wir als Drittes zum Ausgleich von Geben und Nehmen. Gemeinschaften basieren darauf, dass jeder etwas eingibt und dafür etwas bekommt. In einem Unternehmen bringen die einzelnen Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft ein und erhalten dafür ihren Lohn. In einer Sportmannschaft bringt jeder seine Zeit und seine Leistungsbereitschaft in Training und Wettkampf ein. Dafür erhält er ein Gemeinschaftserlebnis, welches er alleine niemals erfahren könnte. Und am eintretenden Erfolg trägt er ebenfalls seinen Anteil.
Problematisch wird es dann, wenn das Verhältnis von Geben und Nehmen nicht mehr stimmt. Das geschieht entweder dann, wenn ein oder mehrere Spieler nicht mehr den vollen Einsatz zeigen, aber weiterhin in vollem Maße am Mannschaftserfolg beteiligt werden wollen. Konkret könnte das so aussehen, dass ein Spieler nur noch sporadisch zum Training erscheint, aber einen festen Platz in der Startformation beansprucht. In einem solchen Fall werden die anderen Mannschaftsmitglieder schnell unruhig – und das zu Recht!
Genauso problematisch ist der entgegengelagerte Fall. Wenn ein Spieler (oder auch Betreuer) sich die ganze Zeit mit engagiert, ihm dann aber der Anteil am Erfolg verwehrt wird, so wird ihm ein Unrecht angetan, das dem gesamten System schadet. Wenn er bei der Siegprämie übergangen wird, oder wenn er etwa nicht auf das Siegerfoto mit draufkommt, so wird ihm die verdiente Anerkennung verwehrt. Auch wenn er Ersatzspieler ist, so war er für den Erfolg genauso wichtig wie der entscheidende Torschütze.
3.6 Gruppenspezifische Regeln
Neben den zuvor beschriebenen, allgemein gültigen Regeln für Gruppen bildet jedes Team eigene Regeln und Normen aus. Diese Regeln sind veränderlich und Ausdruck der spezifischen Ausrichtung dieser Gruppe. Diese Regeln und Normen haben eine wichtige Funktion. Sie regeln nicht nur das tägliche Miteinander, sie definieren auch näher, wer die Gruppe ist und welches Selbstverständnis sie hat.
Wir Menschen haben ein grundlegendes Bedürfnis danach, über unsere sozialen Bezugsgruppen eine persönliche Identität zu gewinnen. Ein Mitglied in einem Schützenverein erfährt sich ebenso über diese Gruppe wie als Mitglied einer Religionsgemeinschaft oder einer Nationalität. Wenn Sie sich einem unbekannten Menschen vorstellen, dann tun Sie dies in der Regel nicht darüber, dass Sie Ihre individuellen Eigenschaften oder Ihre Körpergröße nennen. Vielmehr erzählen Sie, wo Sie leben (regionale Identität), welchen Beruf Sie ausüben (sozialer Status) und wie Ihre familiären Verhältnisse sind (familiäre Zugehörigkeit). Dieses Beispiel macht deutlich, worüber wir primär unsere Identität beziehen. Nämlich aus unseren Zugehörigkeiten zu Gruppen und unserem Status innerhalb dieser Gruppe.
Es ist uns demnach nicht egal, wie die Mannschaft beschaffen ist, zu der wir gehören. Wir wollen uns mit unseren Bezugsgruppen identifizieren können. Ob wir das können oder nicht, hängt entscheidend mit den Gruppennormen und -regeln zusammen. In ihnen wird ausgedrückt, welche Werte die Gruppe verkörpert. Unterschätzen Sie diesen Aspekt nicht. Ein gemeinsames Ziel alleine reicht auf Dauer nicht für das Funktionieren einer Gruppe. Es muss auch unter den Mitgliedern Einigkeit über die grundlegenden Werte und ihre konkrete Umsetzung in Regelungen bestehen.
Das ist gerade für Vereinsführungen ein interessanter Hinweis. Ich habe einige Vereine erlebt, die diesen Punkt zu sehr vernachlässigen. Als Vorstand hat man die Aufgabe, den vielen Mannschaften des Vereins zu einer gemeinsamen Identität zu verhelfen. Es ist nicht egal, ob ich Mitglied des 1. FC Köln oder von Viktoria Köln bin. Die Vereine unterscheiden sich in weit mehr als in der Spielklasse, in welcher ihre erste Mannschaft spielt. Ein Mitglied bei Viktoria Köln wird sich ganz anders erleben als ein Spieler von Eintracht Köln. Das fängt schon in der Jugend an.
Gehen Sie also bewusst mit dem persönlichen Bedürfnis nach Identifizierung um, indem Sie Ihren Spielern eine wertvolle Identität anbieten. Eine attraktive Identität vermittle ich dadurch, dass ich ein positives Image meines Vereins bzw. meiner Mannschaft schaffe.
Das können bei einem Verein Dinge wie eine starke lokale Verbundenheit, Fortschrittlichkeit oder eine gute Jugendarbeit sein. Bei einer Mannschaft tragen der Zusammenhalt, die offensive Spielweise oder die vielen Erfolge der Vergangenheit zu einem guten Image bei. Zusätzlich werden Sie als Trainer dem Einzelnen seine Identifizierung mit dem Team dadurch erleichtern, indem Sie ihn wahrnehmen, ihn wertschätzen und ihm Aufgaben innerhalb der Gruppe geben.
Das mag sich banal anhören, in der Praxis sind es aber solche ganz einfachen Dinge, an denen es häufig mangelt. Wenn Ihnen der Aufbau einer positiven Identität gelingt, werden die Athleten es durch größeren Einsatz danken. Denn für das, wozu ich mich zugehörig fühle, werde ich meine volle Kraft einbringen, sei es für mein Land, für meine Firma, für meine Familie oder für meine Mannschaft.
Es gibt ganze Bücher über diese Thematik, darum will ich mich hier auf einige wenige Aspekte beschränken. Wichtig ist mir vor allem, dass Sie sich über Folgendes im Klaren sind: Wann immer eine Gruppe entsteht, bildet sich zugleich ein dynamisches Beziehungsgeflecht. Gruppen sind niemals statisch.
Setzen Sie mehrere Personen zusammen in einen Raum und lassen Sie sie dann dort alleine. Immer werden die Personen sich gegenseitig beeinflussen, immer wird eine Dynamik entstehen, von der jedes Gruppenmitglied beeinflusst wird. Es gibt viele schöne Kammerspiele, die mit dieser Grunderfahrung spielen. (Ein faszinierendes Beispiel ist Sartres „Bei geschlossenen Türen“.)
SOZIALER EINFLUSS: DER VERSUCH VON ASCH
Wie stark der Einfluss anderer auf uns ist, zeigt ein in der Sozialpsychologie sehr bekannt gewordener Versuch von Asch (Asch, 1955). Hierbei wurden sechs Personen in einem Raum zusammengebracht. Fünf davon waren zuvor vom Versuchsleiter instruiert worden, nur einer war eine echte Versuchsperson. Diese wusste das aber nicht. Sie dachte, alle sechs wären unwissend zusammengekommen.
Der Versuchsleiter zeigte in jedem Durchgang eine Tafel mit drei Linien, die in ihrer Länge deutlich sichtbar variierten.
Beispiel: |
A _____________________________________ |
B ________________________ |
C _________________________________ |
Die sechs Personen wurden nun reihum gefragt, welche Linie ihrer Meinung nach der Länge einer vierten Vergleichslinie entsprechen würde. Absichtlich kam die einzige echte Versuchsperson als Letzte dran. In den ersten Durchgängen waren sich alle Personen in ihrem Urteil einig. Dann aber plötzlich änderte sich das Ganze. Die fünf fingierten Versuchspersonen gaben einheitlich eine objektiv falsche Antwort, etwa Linie C.
Vielleicht können Sie sich schon vorstellen, was daraufhin passierte. Über 70 % der Personen, mit denen dieser Versuch durchgeführt wurde, ließen sich in ihrem Urteil so stark verunsichern, dass sie daraufhin ebenfalls angaben, Linie C sei die Längste!
Man kann sich darüber streiten, ob diese mehr als 70 % sich nur nicht trauten, ihre Meinung zu sagen oder ob sie sogar an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifelten und deshalb die falsche Antwort gaben. Gleichgültig, was stimmt, beides macht gleichermaßen deutlich, wie stark wir in unserem Verhalten von anderen Menschen bestimmt werden.
Neben der grundsätzlichen Tatsache, dass wir uns gegenseitig beeinflussen, sollten Sie als Trainer auch beachten, dass Mitglieder einer Gruppe häufig dazu tendieren, weniger Verantwortung zu übernehmen, als wenn sie auf sich allein gestellt sind. Es sind ja genug andere da, die das Notwendige machen können. Warum gerade ich? In der Psychologie wird dieser Effekt als „soziale Faulheit“ bezeichnet.
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