4.1 Grundregeln der Führung
Indem ich Ihnen diese Geschichte erzähle, will ich nicht meine Führungsqualitäten rühmen. Mir ist auch bewusst, dass die Begebenheit auf den ersten Blick nichts mit Sport zu tun hat. Aber das Schöne an ihr ist, dass sich in diesem Erlebnis drei einfache Regeln und Mechanismen zur Führungsthematik aufzeigen lassen:
1. Eine Gruppe braucht Führung.
Ohne Führung kann eine Gruppe nicht ihr Ziel erreichen. Wenn niemand sagt, wo es langgeht, wohin bewegt sich dann das Team? Bewegt es sich überhaupt? Umso eindeutiger die Führungsperson ihre Aufgaben wahrnimmt, desto leichter erreicht die Gruppe ihr Ziel.
2. Wenn niemand die Führung übernimmt, entsteht ein Führungsvakuum. Dieses wird sich zwangsläufig früher oder später füllen.
Jedes Vakuum erzeugt einen Sog, weil es sich füllen will. Wenn nicht dazu fähige Menschen die Führungsposition übernehmen, werden das andere tun. Und das sind nicht immer Menschen mit guten Gesinnungen und Zielen. Es entsteht dadurch die Möglichkeit, dass Menschen an Einfluss gewinnen, die zweifelhafte Interessen vertreten.
Sie als Trainer sind eine Führungsperson. Genau genommen sind Sie die Führungsperson Ihrer Mannschaft. Sie haben diese Aufgabe übernommen, also ist es wichtig, dass Sie Ihren Job auch ausfüllen. Sie tragen damit eine besondere Verantwortung. Das gibt Ihnen Macht. Zugleich ist diese Macht mit der Verpflichtung verbunden, sie zum Wohle der Gruppe auszuüben. Daraus ergibt sich die dritte Regel:
3. Führen bedeutet, Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.
Als Führungsperson übernehmen Sie Verantwortung für das Wohl der Gruppe. Die Entscheidungen, welche Sie treffen, sollten sich danach ausrichten, was gut für die Gruppe ist, nicht für den Einzelnen. Wichtig ist, dass Sie den Mut haben, Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese manchmal unpopulär sind. Sie können es nicht jedem Spieler recht machen und langfristige Vorteile kosten kurzfristig möglicherweise einen Preis, den nicht jeder Einzelne gerne zahlt. Aber das darf Sie nicht an Ihren Entscheidungen hindern.
Wenn man über Führung schreibt, dann muss man auch auf die Frage des Führungsstils eingehen. Ich selbst bewerte diesen Punkt nicht allzu hoch, da ich kaum noch Trainer antreffe, die in ihrem Verhalten eindeutig einem bestimmten Führungsstil zuzuordnen sind.
Die Erkenntnis, dass es je nach Situation wichtig ist, stärker oder weniger stark bestimmend aufzutreten, ist den meisten Trainern inzwischen geläufig. Wir sprechen hierbei von einem situativen Führungsstil (siehe z.B. Neuberger 2002). Das klassische Konzept des festen Führungsstils scheint mir deshalb aus einer Zeit zu stammen, die nicht mehr dem gegenwärtigen Stand entspricht. Aber es lohnt dennoch, in den Grundzügen darauf einzugehen, weil sich hierin eine Orientierung für das eigene Verhalten finden lässt.
Die meisten Leser werden inzwischen schon davon gehört haben, dass traditionell zwischen drei grundlegenden Führungsstilen unterschieden wird (oder besser gesagt wurde). Man spricht vom autoritären, vom demokratischen(auch kooperativ genannt) und vom Laisser-faire-Führungsstil. Letzterer hat in den beiden vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung verloren, nachdem man in der Pädagogik der 68er-Generation zunächst stark auf diesen Erziehungsstil gesetzt hatte, dann aber feststellen musste, dass er keineswegs dem Wohle der Kinder diente. Im Sport spielt er nach meiner Erfahrung inzwischen keine Rolle mehr. Ich werde deshalb im Text nicht weiter auf ihn eingehen.
Die beiden anderen Führungsstile spielen jedoch nach wie vor eine große Rolle. Der autoritäre Trainer lässt keine Mitbestimmung zu. Er gibt vor, was getan wird und was nicht. Die Spieler sind Ausführende seiner Kommandos. Damit trägt der Trainer zugleich die volle Verantwortung für die Leistungen der Mannschaft. Häufig ist ein solcher Führungsstil mit Strenge gepaart. Typische Beispiele für diese Ausrichtung dürften Max Merkel und Werner Lorant gewesen sein.
Der demokratische Führer dagegen bezieht die Spieler in seine Entscheidungen mit ein. Er setzt auf Austausch und Dialog und wünscht vom Einzelnen ein größeres Maß an Selbstbestimmung und Verantwortung.
Beide Führungsstile haben ihre Vor- und Nachteile. Man kann zeigen, dass ein autoritärer Führungsstil vor allem in Krisensituationen Vorteile bietet, wenn der Druck sehr groß ist oder die Zeit für Entscheidungen nur gering ausfällt. Nicht zufällig haben alle Armeen der Welt eine extrem hierarchisch und autoritär ausgeprägte Führungsstruktur. Armeen dienen dazu, Krieg zu führen und im Krieg brauche ich eine klare Führung. Da kann ich nicht erst anfangen zu diskutieren, ob ich angreifen soll oder nicht.
Auch auf gefährlichen Entdeckungstouren, etwa bei Besteigungen der höchsten Berge, bei Seefahrten zur Entdeckung neuer Kontinente oder bei Antarktisexpeditionen, gab es immer eine autoritäre Führung. Bei den dabei auftretenden Krisen konnte nur eine solche Führung das Überleben der gesamten Gruppe garantieren.
Im Sport bedeutet das, dass Sie als Trainer stärker autoritär handeln müssen, wenn Ihr Team sich in einer kritischen Phase befindet, oder wenn sich ein Spiel der Entscheidung nähert.
Demokratische Führung dagegen hat den Vorteil, dass sie die Kreativität des Einzelnen fördert und zu mehr Zufriedenheit in der Gruppe führt. Diesen Führungsstil sollten Sie verstärkt verwenden, wenn Ihre Situation es erlaubt, wenn also die Leistungen zufrieden stellend sind und derzeit keine größere Gefahr droht.
Es geht also nicht darum, sich für einen Führungsstil zu entscheiden. Als Trainer sollte es Ihnen im Idealfall möglich sein, auf der gesamten Klaviatur der Möglichkeiten zu spielen. So wie zum Beispiel Thomas Tuchel, der einmal in einem Interview äußerte: „Ich stehe für einen kommunikativen Führungsstil. Ich verstehe mich als Fußballlehrer, der klare Vorstellungen von Training und Spiel hat. Und diese Vorstellungen pedantisch und konsequent durchgesetzt haben möchte. Ich vertraue Spielern, nehme sie mit ins Boot. Wenn sie bereit sind, sich dem gemeinsamen Ziel zu verschreiben.“ In diesem Zitat sieht man schon beide Stile enthalten.
Dass ein Trainer beide Spielarten der Führung beherrscht, ist nicht selbstverständlich. In der Fußballbundesliga sieht man eine Reihe von Trainern, denen das nicht gut gelingt. Klaus Toppmöller z. B. hatte, so scheint es zumindest von außen betrachtet, Probleme damit, autoritär aufzutreten. Felix Magath dagegen sagte man lange nach, er sei zu autoritär. (In der Hockeybundesliga ist es 2002 sogar so weit gekommen, dass eine Mannschaft die Ablösung ihres Trainers erwirkt hat, weil der zu wenig mit harter Hand führte). Das Problem für Sie als Trainer besteht darin, dass Sie niemals aus Ihrer Haut können. Sie können nur der sein, der Sie sind. Selbst wenn Sie wissen, dass es wichtig ist, manchmal das Zepter fest in die Hand zu nehmen, so wird Ihnen das möglicherweise nicht in ausreichendem Maße gelingen, wenn Sie ein sehr kollegialer Typ sind. Umgekehrt gilt das natürlich genauso.
Ich will hier kein festes Schema für einen erfolgreichen Trainer beschreiben. In meinen Augen werden Sie als Trainer nur dann überzeugend arbeiten können, wenn Sie sich selbst treu bleiben. Sind Sie also eher ein „Kumpeltyp“, dann verhalten Sie sich auch so und spielen Sie nicht den Feldherrn. Wenn Ihre Stärke in der autoritären Führung einer Mannschaft liegt, dann brauchen Sie nicht den Spielern die Entscheidungen zu überlassen. Es geht mir nur darum, dass Sie die Schwächen Ihrer Führung erkennen und im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Ihr Verhaltensrepertoire erweitern.
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