Doch das ist sicher ein Einzelfall. In der Regel ist die Aufgabe zu führen die schwerere. Dies haben mir schon viele Athleten bestätigt, welche bei mir die Partner-übung in beiden Rollen wechselnd durchgeführt haben. Um sich führen zu lassen, braucht es am Anfang den größeren Schritt. Aber dann wird es leicht, denn man kann sich entspannen. Die Führungsperson aber muss immer konzentriert sein. Sie trägt die Verantwortung für beide! Das ist kein leichter Job. Unterschätzen Sie nicht diese Aufgabe.
Leichter fällt diese Aufgabe, wenn Sie als Führungsperson klare Signalesetzen. Je deutlicher und unmissverständlicher Ihre Signale sind, desto besser kann der andere Ihnen folgen. Das erfordert natürlich eine innere Entschlossenheit und Klarheit, die manchen Menschen schwer fällt. Aber das ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen.
Außerdem müssen Sie als Führender ein Gespür für die Bedürfnisse des Geführtenentwickeln. Was können Sie ihm zumuten? Wie viel Sicherheit braucht er? Wann will er gefordert und wann geschont werden? Auf welche Signale reagiert er am besten und welche Aufgaben sind für ihn leicht bzw. schwierig? Das alles sollten Sie erspüren und in Ihr Vorgehen mit einfließen lassen. Wenn Sie den blinden Partner überfordern, löst das bei ihm Stress aus und führt dadurch zu Fehlern, welche wiederum das Vertrauen mindern. Als Trainer ist das ganz genauso. Brauchen Ihre Spieler nach einer Niederlage Druck oder eher Schutz? Brauchen sie eine Pause oder wollen sie mehr gefordert werden? Je nach Situation wird das sehr unterschiedlich sein und es ist für Ihren Erfolg als Trainer wichtig, dass Sie ein Gefühl dafür entwickeln.
Wenn Sie die Partnerübung zum Führen einmal ausprobiert haben, dann werden Sie erlebt haben, dass Sie als Führender vorausschauend handelnmüssen. Wo lauern Gefahren? Was könnte sich als Schwierigkeit erweisen? Wo wird der andere eine besondere Hilfe benötigen und was ist für ihn eine willkommene Herausforderung? Alles das müssen sie schon im Voraus erfassen.
Als Trainer müssen Sie schon heute bedenken, was in der Saison passieren könnte. Die Spieler machen sich darüber wenig Gedanken, und das zu Recht. Deren Aufgabe besteht darin, sich ganz auf das jeweilige Spiel vorzubereiten. Sie als Trainer aber müssen schon weiter schauen.
Das Rotationsprinzip ist ein schönes Beispiel dafür. Ottmar Hitzfeld übt die Funktion aus, zu planen, welcher Spieler wann am besten eine Pause bekommt. Er darf das nicht dem Zufall überlassen. Der Spieler aber sollte jedes Mal heiß darauf sein, heute zu spielen. Er wird sich ärgern, wenn er auf der Bank sitzt (wenn er sich nicht ärgert, sollte Ihnen das zu denken geben ...).
Last, not least gibt es noch etwas, was für eine gelungene Führung eine Rolle spielt. Bei aller Sorge um die anderen dürfen Sie sich selbst nicht übersehen. Wenn Sie in der Lage sind, für sich zu sorgen und ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, werden Sie das auch bei anderen können. Es ist richtig, dass Sie sich in den Dienst des Ganzen stellen müssen und dass Sie deshalb auf einige persönliche Wünsche verzichten müssen. Das geht übrigens niemandem in der Gruppe anders.
Aber Sie sind genauso wichtig wie jeder andere. Sie haben die gleichen Rechte. Auch Sie brauchen manchmal eine Auszeit, auch Sie dürfen mal ungerecht sein, auch Sie sind nur ein Mensch. Bei allem, was ich zuvor als Bedingung für eine gute Führung genannt habe, ist es also wichtig, dass Sie die 90 %-Regel beachten. Es genügt, wenn Sie Ihren Job zu 90% gut machen!
Einem Coach, mit dem ich lange zusammengearbeitet habe, habe ich diese Regel sogar als 70%-Regel dargestellt, weil er von seinem Naturell her ein extremer Perfektionist war. Seien Sie also auch gut zu sich selbst, es wird Ihren Führungsqualitäten nicht schaden, im Gegenteil.
Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich ergänzen, was der von mir mehrfach zitierte Ralph Krueger als die 10 Regeln der Führung benannt hat. Sie werden sehen, dass er dabei manche Dinge nennt, die das von mir Gesagte ergänzen. Eine ausführlichere Darstellung finden Sie in seinem lesenswerten Buch „Teamlife“ (Krueger, 2001).
10 REGELN DER FÜHRUNG (NACH: KRUEGER, 2001)
1 Visionen
2 Ausgearbeitete Pläne
3 Energie
4 Das gute Beispiel sein
5 Klare Rollenverteilung
6 Offene Kommunikation
7 Schnelle Konfliktlösung
8 An Grenzen führen
9 Den Respekt der anderen erwerben
10 Natürlichkeit
5 Gehirngerechtes Coaching
Um verstehen zu können, wie Sie Ihr Coaching gestalten müssen, damit es den Anforderungen des menschlichen Gehirns gerecht wird, ist es zunächst sinnvoll, ein Bild von der Funktionsweise unseres Gehirns zu gewinnen. Dazu ist es zuallererst notwendig, sich mit der Wahrnehmung als Prozess der Informationsaufnahme zu beschäftigen.
5.1 Wahrnehmung als Vereinfachung der Welt
In jedem Augenblick Ihres Lebens dringt eine Unmenge von Sinneseindrücken auf Sie ein. Ständig senden Ihre Augen, Ohren, Ihre Haut, Ihre Nase, Ihre Geschmacksknospen und Ihr Gleichgewichtsorgan Tausende von Reizen an Ihr Gehirn. Wollten Sie diese Eindrücke alle bewusst wahrnehmen und verarbeiten, wären Sie heillos überfordert.
Deswegen ist unser Wahrnehmungssystem so eingerichtet, dass es schon auf der einfachsten Ebene, also z. B. direkt auf der Netzhaut des Auges, die Informationsmenge drastisch reduziert. Bevor überhaupt ein Impuls beim Gehirn ankommt, sind schon mehrere Prozesse der Zusammenfassung und Auswertung vorangegangen. Auch im Gehirn finden auf der unterbewussten Ebene weitere Vorgänge statt, die die Welt für Sie vereinfachen, damit Sie sich am Ende auf das für Sie Bedeutsame konzentrieren können.
Machen wir uns das an zwei Beispielen deutlich. Wenn ich Sie jetzt auffordere, sich auf das Gefühl in Ihrem linken Ohr zu konzentrieren, dann fällt Ihnen das leicht. Aber mal ehrlich: Haben Sie eine Sekunde zuvor dieses Gefühl wahrgenommen? Wohl kaum. Und wie ist es mit dem Wärmegefühl im rechten Oberschenkel? Oder mit dem leisen Geräusch Ihrer Halogenlampe? Sie sehen, wenn Sie sich auf das Lesen des Buchs konzentrieren, blenden Sie ganz viele andere Sinneseindrücke aus. Und das ist gut so. Denn diese Sinnesreize befinden sich in einem normalen Toleranzrahmen. Anders wäre das, wenn Ihre Füße ganz kalt wären oder Sie plötzlich einen Schmerz im Ohr empfänden.
Bedeutsame Reize mit einem starken Aufforderungscharakter dringen umgehend zu uns durch. Sie müssen wir beachten. Das andere aber können wir vernachlässigen, da es derzeit für uns unwichtig ist.
Ein anderes Beispiel: Was sehen Sie in Abbildung 2 Antworten Sie spontan und ohne nachzudenken.
Abb. 2: Das optische Quadrat
Fast alle Menschen antworten auf diese Frage: ein Quadrat. Genau, das ist es auch. Oder etwa nicht? Wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie vielleicht, das nur vier Striche abgebildet sind. Warum sehen Sie dann ein Quadrat? Weil es für Sie mehr Sinn macht! Was bedeuten für Sie schon vier Striche, die irgendwo im Raum herumstehen?
Ein Quadrat aber ist eine wesentlich interessantere Form. Sie kann vielerlei Bedeutungen haben, etwa die eine Hälfte eines Spielfelds, eine Schachtel, ein Rahmen ... Wir organisieren unsere Wahrnehmung also nach dem Kontext, nach ihrer möglichen Bedeutung im Zusammenhang.
Die Psychologen sagen dazu: Wir formen unsere Wahrnehmung nach „Gestalten“. So ist es auch mit der Sprache, wenn Sie diesen Text lesen. Sie sehen direkt die Worte und nicht die einzelnen Buchstaben. Weil die Worte einen Sinn für Sie haben, eine „Gestalt“ ergeben.
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