Ich sitze still im Fond des stolzen Mercedes und bekomme Schüttelfrost, so kalt ist mir, meine Kleidung ist immer noch feucht, und vor allem weiß ich – ich will jetzt nichts mehr sehen, keinen einzigen, winzigen Buddha, auch wenn er der schönste der Welt ist. Den habe ich gesehen.
Wir beraten. Jakob möchte noch, bevor geschlossen wird, die tanzenden Mädchen in ihrer Höhle von Sigirya erwischen. Ich will nichts mehr. Raji schlägt vor, dass er Jakob dort am Tempel aussetzt, mich in unser nächstes Hotel bringt und wieder zurückfährt. Entgegen aller Sitten streichle ich ihm von hinten über die Schulter – was für eine großzügige Lösung.
Es ist schon fast dunkel, als ich im Hotel für diese Nacht ankomme und Raji ist zu Recht sehr stolz, was er für uns vorbereitet hat – ein Baumhaus. Das Hochklettern ist auch bei schlechter Beleuchtung ein Kinderspiel – weil es zwar schmale, aber normale Stufen sind. Und es ist alles da – das Bett aus Bambushölzern, rundherum mit einem Moskitonetz aus feiner, rosa Gaze, passende Handtücher, als Schwäne gefaltet, seidene Zierkissen in einem dunklen, schimmernden Rot auf dem dünnen Baumwollüberwurf, Bad, Toilette – wunderschön. Nur – der Blick in die dichten Bäume der Nacht bleibt mir verwehrt. Und schlotternd, wie ich da stehe, bitte ich um eine Decke und schnell bringt mir einer der freundlichen Angestellten ein zweites Laken. Eine der dünnsten Erscheinungsformen einer Decke.
Als alle aus dem Lufthaus verschwunden sind, reiße ich mir die feuchten Kleider vom Leib und werfe mich unter die heiße Dusche. Ja, sie ist heiß. Und ich stehe da und stehe da und denke nicht über die Wasserverschwendung der Welt nach. Ich erwärme mich und es dauert, bis die Wärme bis in die Tiefe meiner Knochen vordringt. Unter der sogenannten Decke versuche ich, sie recht erfolglos zu halten. Bis Jakob kommt und mir liebevoll von seiner immerwährenden Wärme verschwenderisch abgibt … Er erzählt, wie er die strengen Aufseher bestochen hat und so ein verbotenes Foto von den Tanzenden heimbringt.
Der dunkle Weg zum Abendessen ist links und rechts immer mal wieder mit einem kleinen Lämpchen beleuchtet. Die nassen Blätter der Palmen und Bananenstauden glänzen im wenigen Licht. Mich an der Pracht dieses wilden Dschungelgartens zu erfreuen, muss ich auf morgen verschieben.
Das Restaurant ist ein offener, mit Bananenblättern gedeckter Raum. Außer ein paar scheuen Jugendlichen, die zum Haus gehören, ist niemand da. Wir fragen einen von ihnen, was es zu essen gibt, und einer der Jungen bringt uns die Karte, die wir eingehend studieren und dann unsere Bestellung aufgeben wollen. Wir deuten auf ein paar Gerichte, eins nach dem anderen, das ist aber heute nicht da. Letztlich – keines ist da. Was ist da? Reis.
Also zwei Teller Reis mit jeweils drei Erbsen. Alles ist in Ordnung. Es zieht in diesem offenen Gebäude aus Bambusstreben und Palmendach. Normalerweise ist es ja heiß hier. Ich friere schon wieder.
Und in der Nacht ist es dann tatsächlich heiß und schwül. Ich huste unaufhörlich.
Die Stimmen der Tiere ziehen durch die Nacht. Ein ferner Elefant grüßt mit seinen sanften Füßen.
Am Morgen beim Frühstück storniere ich mit meinem kleinen Gerätchen unser einfaches Hotel in Flughafennähe und miete uns in ein edles Hotel am Strand nördlich von Colombo am Indischen Ozean inklusive Flughafentransfer ein. So kurzfristig gebucht, rattern die Sonderangebote nur so übers Display. Moderne Zeiten.
Bevor Raji uns dorthin bringt, hat er noch einen letzten Programm-Höhepunkt, den Höhlentempel von Dambulla. Ich bin noch gar nicht wieder aufnahmefähig, bin noch so erfüllt und durchsichtig, möchte noch mit den Eindrücken und Erfahrungen von gestern in ihrer Reinheit und ihrem Licht schwingen.
Und – ich halte mich offen, für das, was geschieht. Der Weg ist nicht weit bis zu den dunklen Höhlen mit Blumen der Betenden in den Händen, vor den Füßen der unzähligen stehenden, liegenden, sitzenden Buddhas in Räumen voller Wandmalereien an Decken und Wänden.
In mir bleibt eine gewisse leere Distanz, und das liegt gewiss nicht am Tempel.
Munter werde ich wieder, als mir ein junger, Robe tragender, schelmischer Mönch erzählt, dass Ende der neunziger Jahre ein Mönch hier in eine fünfzehnhundert Jahre währende Geschichte einbrach und zweiundzwanzig Frauen zu Nonnen weihte, obwohl der Buddhismus in Sri Lanka keine Frauenordination vorsieht. Bis ein Mutiger kommt und es sich anders einfallen lässt …
Auf dem offenen Vorplatz vor den kreuzgangähnlichen Eingängen zu den einzelnen Höhlen sitze ich noch eine Weile auf einem Mäuerchen im Duft von Jasmin, dessen Blüten hier den Göttern gereicht werden, und bin still im weiten, letzten Blick über die Ebene Sri Lankas.
Raji schenkt uns zum Abschied noch eine Tüte mit vier Mangos – im genau richtigen Reifegrad, um sie gleich zu essen, meint er.
Thomas Merton stand in einer heißen Nacht in Colombo am Strand, warme Wellen vor ihm leuchten unter dem Mond, und er erlebt ein neues, fremdartiges Gefühl hier draußen – nach Westen nichts bis Afrika. Und dort, nach Süden, nichts bis zur Antarktis. Wenn er hier war, ging er abends manchmal ins Galle-Face-Hotel und nahm einen Drink – ich trank Rum, der hier hergestellt wird, nicht ohne ein tiefes Gefühl von ‚Respekt vor dem Hotel‘ zu haben. Ein paar Tage später setzte er seine Asienreise fort und eine Woche später hielt er, schon in Bangkok, auf jenem großen Kongress, seinen Vortrag Marxismus und Perspektiven des Mönchtums. Neben dem politischen Aspekt teilt er – mehr oder weniger direkt – auch Aspekte seines Klosterlebens und meint, es ginge nicht um die Regeln, sondern um etwas Tieferes, die völlige innere Umgestaltung, die Offenheit für die schmerzliche Mühsal des inneren Sich-Wandelns. Wie immer spricht er ruhig, im offenen Geist und humorvoll. Er weiß, aus welcher Quelle Freude entspringt.
Es ist das einzige Mal, dass eine Rede von ihm gefilmt wurde. Er beendete sein Sprechen am Pult mit Ich verschwinde jetzt.
Geht in sein Zimmer, duscht und stirbt an einem Stromschlag. Eine Woche nach seiner Erfahrung in Polonnaruva.
Großer, tiefer Frieden stand in seinem Gesicht.
Das Galle-Face-Hotel muss so etwas wie unseres jetzt gewesen sein, nur viel größer und damals noch mit dem verblichenen Charme der Kolonialzeit. Wir sind in einem moderneren gelandet, das uns zwei Heruntergekommenen mit elegantem Glanz aus Spiegeln und Marmor empfängt.
Mir fällt der Künstler ein, den Merton in Kalkutta getroffen hatte und der meinte, jeder, der mein Haus betritt, bringt Gott herein.
So abgerissen, müde und hungrig wie ich bin, so unbewusst und ohne Liebe wie ich oft bin – bringe ich in diesen Luxustempel auch Gott herein? Daran habe ich noch nie gedacht. Ich sitze in vielen Foyers und sehe Gott hereinkommen, in unzählbarer, ungetrennter Vielfalt aus dem Meer unendlicher Möglichkeiten.
Ein Philosophieprofessor in Neu-Delhi hat einmal in einem Gespräch mit Merton einen alten, weisen Sufi zitiert: Zu sagen, ich sei Gott, ist nicht Stolz, sondern vollendete Bescheidenheit.
jerusalem
dorf des friedens
UND WIEDER SITZE ICH IN EINER LOBBY, der weiten Lobby eines Jerusalemer Pilgerhauses der französischen Assumptio- nisten, eines Männerordens, der den Regeln des Augustinus nachfolgt und dessen Anliegen heute ist, Christen der unterschiedlichsten Glaubensrichtungen zusammenzubringen. Sie haben dieses riesige Areal zu einem wunderbaren Hotel direkt vor dem New Gate zur Altstadt Jerusalems ausgebaut. Es ist der Königin des Friedens gewidmet. Mein Zimmer ist in einer Mischung aus venezianischen und altarabischen Möbeln eingerichtet, an zwei Seiten des Raums sind Rundbögen wie in der Kathedrale von Cordoba. Oben, auf der Dachterrasse mit Blick über die abendliche Altstadt, wirft sich ein leidenschaftlicher Koch in seinem Front-Cooking ins offene Feuer, und wenn man leichtsinnig ist, schaut man vorher besser nicht auf die Preise.
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