Er schüttelte nur den Kopf. »Wasser reicht. Ist der Herr zu sprechen?«
»Da bist du um gut eine Stunde zu spät gekommen. Er hat auswärts etwas zu tun und wird sicher nicht vor dem Abend zurück sein. Du wartest einfach so lange und ruhst dich aus«, schlug Marlein von Linden vor.
Das Angebot, sich in einem Bett auszustrecken und zu schlafen, war verlockend. Trotzdem entschied Peter sich dagegen. Denn die Reize der Hübschlerin, die in Bochum wartete, zogen ihn noch stärker an.
»Nein, lieber nicht. Wenn es Euch recht ist, lasse ich das Schriftstück, welches ich überbringen soll, einfach hier und komme morgen zurück, um die Aufträge des Herrn entgegenzunehmen. Ich bin mit einem Lübecker gereist, der in Dortmund und Bochum Geschäfte machen will«, schwindelte Peter. »Er wollte morgen früh wieder in die Heimat aufbrechen und wir hatten verabredet, dass ich ihn auch auf dem Rückweg begleite. Wenn ich nicht in der Herberge bin, macht er sich womöglich Sorgen und lässt nach mir suchen. Aber ich will ihn nicht aufhalten.« Die Lüge ging ihm leicht über die Lippen.
»Wie du meinst. Hat Linhardt dir ausreichend Geld für die Übernachtung gegeben?«
»Ja, das hat er. Danke.« Peter zog nun den Vertrag mit dem Londoner Händler aus der Tasche und übergab seiner Herrin das Schriftstück. »Hier. Fünfzig Ballen Stoff zu vorzüglichen Konditionen. Euer Sohn hat erstklassige Arbeit geleistet, wenn ich das sagen darf. Ihr könnt stolz auf ihn sein.« Peter hustete und ihm wurde kalt. Er trank den Rest des Wassers und erhob sich schwerfällig. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, reite ich jetzt los. Ich muss wirklich etwas schlafen.«
Marlein von Linden nickte, sagte dann aber: »Nur noch einen kleinen Moment. Ich hatte ohnehin vor, nach Bochum zu fahren. Ein Schreiner dort fertigt wunderbar verarbeitete Stühle an. Ich wollte meinem Gatten einen für sein Kontor schenken. Er darf nichts davon erfahren. Ich gebe dir ein Schreiben mit den Maßen des Stuhls mit, das du dem Meister übergeben wirst. So spare ich mir den Weg, du musst morgen nicht erneut in die Stadt hinein und es besteht keine Gefahr, dass Jorge etwas von meinem Plan erfährt.« Sie schaute Peter verschwörerisch an. »Vorausgesetzt natürlich, dass du mich nicht verrätst.«
»Kein Wort kommt über meine Lippen, Herrin.«
Eine halbe Stunde später saß Peter erneut im Sattel. Es gelang ihm nur mit Mühe, wach zu bleiben. Die Gliederschmerzen wurden heftiger und sein Schädel schien zu bersten. Immer wieder nickte der Bote ein und drohte vom Pferd zu fallen.
Er schaffte es bis zum Hilinciweg. Kurz vor Linden konnte er nicht mehr weiterreiten. Schweiß rann aus allen Poren, sein Hemd war bereits klatschnass. Den Geruch, der von ihm ausging, nahm er nicht wahr. Er musste schlafen. Jetzt!
Mit letzter Kraft schleppte er sich über einen Waldweg auf eine kleine Lichtung unweit des Dorfes. Dort band er das Pferd locker an, legte sich ins frische Gras und murmelte mit matter Stimme: »Nur eine Stunde. Dann geht es mir bestimmt besser.« Und Peter sank in den Schlaf, aus dem er nie mehr erwachen sollte.
13
– Werden und Hattingen, 3. Mai 1531
Jorge von Linden meldete sich an der Pforte und der diensthabende Mönch brachte ihn in die Bibliothek. Dort warteten ein weiterer Benediktiner und ein hochgewachsener Mann, ganz in Schwarz gekleidet, dessen schlankes Gesicht ein sauber gestutzter Backenbart zierte.
Jorges Führer verbeugte sich still und ließ ihn mit den Männern allein.
Neugierig schaute Jorge sich um. An den Wänden standen raumhohe Regale voller Bücher und Schriftrollen, vor den Fenstern Stehpulte, Tische und Bänke. Es mussten Hunderte Bücher sein, die hier aufbewahrt wurden.
»Seht Euch nur um.« Der Benediktiner kam auf ihn zu und streckte ihm seine Hand entgegen. »Ich bin Johannes von Groningen, der Abt des Klosters. Und der Herr hinter mir ist Professor Konrad Heresbach, Berater des Herzogs von Kleve. Aber das wisst Ihr ja sicherlich.«
Jorge nickte.
»Ich lasse Euch gleich mit dem Professor allein. Meine Brüder werden euch etwas zum Essen und Trinken bringen. Aber zuvor möchte ich Euch zu Eurem Sohn Hinrick gratulieren.«
Jorge zog die Augenbrauen hoch.
»Er ist einer der gelehrigsten Schüler, die ich in dieser Bibliothek habe studieren sehen. Und das, obwohl er kein Novize oder Student ist. Ihr könnt stolz auf ihn sein.«
Jorge senkte beschämt den Kopf. »Danke, Vater.«
»Ihr braucht mir nicht zu danken. Ich hätte Euren Sohn gern in unserer Gemeinschaft gesehen, aber er hat dem Bruder Bibliothekar mehrmals zu verstehen gegeben, dass ein Leben als Mönch für ihn nicht infrage kommt. Nun, Gottes Fügung hat eben anderes mit ihm vor.«
Der Mönch sprach in Rätseln. Was, verdammt, war der Sinn dieses Treffens? Und was hatte Hinrick damit zu tun?
»Nun lasse ich Euch allein. Das Essen wird in der Kammer dort hinten angerichtet.« Der Abt zeigte auf eine Tür am Ende des Saales. »Da seid ihr ungestört.« Er nickte Heresbach zu und verließ gemessenen Schrittes die Bibliothek.
»Kommt«, bat der Berater des Herzogs und legte einen Arm um Jorges Schultern. »Folgen wir dem Hinweis und setzen uns in den Leseraum.« Auf dem Weg dorthin erklärte Heresbach: »Danke, dass Ihr meiner Einladung folgen konntet. Ich bin im Morgengrauen in Kleve aufgebrochen und muss heute noch nach Düsseldorf, in meinem Haus nach dem Rechten sehen und einige Geschäfte vorbereiten. Hätte ich Euch, wie es sich eigentlich gehört, in Hattingen aufgesucht, wäre mir zu wenig Zeit für meine Gespräche in Düsseldorf geblieben.«
Jorge, den die vertrauliche Geste des herzoglichen Beraters überraschte, erwiderte: »Keine Ursache. Euer Wunsch war für mich wie ein Befehl.«
Heresbach lachte auf. »Das dachte ich mir. Auch wenn es sich wirklich nur um einen Wunsch gehandelt hat.«
Sie betraten den Leseraum, der deutlich kleiner als die Bibliothek und mit einem schweren Eichentisch samt zwei Bänken möbliert war. Wein und Wasser, frisches Obst, Brot und eine Terrine gesottenes Fleisch, das verführerisch duftete, standen bereit.
»Kommt, setzen wir uns. Und dann greift zu.«
Nach nur wenigen Bissen legte Heresbach seinen Löffel und das Messer jedoch beiseite. »Sicher fragt Ihr Euch, warum ich um diese Unterredung gebeten habe.«
»Natürlich.«
»Es geht um Euren Sohn.«
Jorge antwortete nicht, sondern wartete darauf, dass He-resbach weitersprach.
»Ich habe Hinrick vor etwa zwei Wochen hier im Kloster kennengelernt. Er scheint mir ein aufgeweckter und zugleich ernsthafter junger Mann zu sein.«
»Das ist er«, bestätigte Jorge.
»Ich habe die Mönche zu ihm befragt. Sie bestätigten meine erste Einschätzung. Kurz: Hinrick wäre in meinen Augen der ideale Begleiter für den Sohn unseres Herzogs.«
Jorge verschluckte sich fast an dem Brotstück, welches er sich gerade in den Mund gesteckt hatte. »Mein Sohn an der Seite Prinz Wilhelms?«
»Was erschreckt Euch an diesem Gedanken?«
»Zunächst alles.«
»Es ist der Wunsch Eures Landesherrn.«
»Was mir, mit Verlaub, ziemlich egal ist.«
Wieder lachte Heresbach. »Jetzt glaube ich tatsächlich, dass die Gerüchte über Euch stimmen.«
»Welche Gerüchte?«, wollte Jorge wissen.
»Dass Ihr vorhattet, Herzog Johann den Zweiten zu verklagen.«
»Das ist kein Gerücht, sondern die Wahrheit. Aber glücklicherweise kam es nicht dazu.«
»Warum habt Ihr Euer Vorhaben aufgegeben, wenn ich fragen darf?«
»Der Herzog und ich haben uns, sagen wir, gütlich geeinigt.«
»Verstehe.« Das Grinsen Heresbachs wurde noch breiter. »Nun, der Herzog wird sich in keinem Falle über Eure Wünsche hinwegsetzen. Wenn Ihr nicht wollt, dass Euer Sohn in seine Dienste tritt, wird das auch nicht passieren. Es versteht sich, dass Ihr bei einer ablehnenden Entscheidung keinerlei Nachteile zu befürchten habt.«
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