Das Normative bestimmt die Strategie!
Das Normative umfasst die Unternehmungsverfassung, die Unternehmungspolitik und die Unternehmungskultur.
Knut Bleicher hat die Dreiteilung eingeführt und die normative, strategische und operative Perspektive herausgehoben (Bleicher 2011). Während die normative Perspektive die Unternehmungsverfassung, -politik und -kultur umfasst, wird die Strategie in der Literatur durch die Bereiche Struktur, Organisation und Programme umschrieben und das operative Geschehen erfolgt durch Prozesse, Handlungen und Aktionen (
Tab. 1.1).
Tab. 1.1: Normative, strategische und operative Perspektive
Diese Dreiteilung wird – treffen die obigen Aussagen und Analysen zu – zu einer Zweiteilung zusammenwachsen. Auf der einen Seite wird die Werteorientierung sein und auf der anderen Seite werden Gestaltung und Lenkung zusammenfallen (
Tab. 1.2).
Da die Kultur in den letzten Jahrzehnten sich differenzierter gestaltet (immer mehr Zusammenschlüsse, Diversität, Internationalität etc.), ist die Frage, wie diese unterschiedlichen Kultureinflüsse gestaltet werden sollen. Die Ethik in ihrer Differenzierung in gesellschaftliche, unternehmerische und individuelle Konzeptionen kann diese Funktion übernehmen, um eine Zusammenführung, Integration oder Begleitung unterschiedlicher kultureller Einstellungen zu erreichen. Die Ethik ist dabei handlungsorientiert zu verstehen und von der Moral klar abzugrenzen. Moral als das zu bezeichnen, was alle billig und rechtdenkenden Menschen tun, ist zu wenig, um reflektorischen und handlungsorientierten ethischen Ansprüchen und Denkmodellen zu genügen.
Deshalb ist Bildung und Wissen, Reflexion und internationaler Gedankenaustausch so wichtig.
Tab. 1.2: Werteorientierung und Gestaltung und Lenkung
Normative PerspektiveStruktur- und Handlungsebene
Ad (2) Die Strategie versagt
(2a) Normativ versus Empirie
Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU-Politiker, Bundestagspräsident a.D.) hat in einer Rede im Februar 2019 (100 Jahre Weimarer Republik mit dem Thema »Innovationen und Schwierigkeiten einer jungen deutschen Republik und Demokratie« am 08.02.2019) darauf hingewiesen:
»… Verfassungen … haben … normative Vorstellungen über die Gestaltung einer Gesellschaft …: Die Würde des Menschen ist unantastbar.«
Das ist ein normativer Satz!
»Empirisch ist dieser Satz geradezu paradox. Wollte unsere Verfassung erlebte Erfahrungen wiedergeben, müsste der erste Satz lauten: Die Würde des Menschen ist antastbar.«
Weiter formuliert er:
»Dieser Satz Die Würde des Menschen ist unantastbar gibt nicht einen empirisch gesicherten Sachverhalt wieder, sondern er leitet aus der genau gegenteiligen Erfahrung unserer Geschichte einen Geltungsanspruch her, der sich, wenn nötig, auch gegen die Wirklichkeit stemmen soll. Das ist zutiefst kulturell, religiös begründet und begründbar und ohne diesen Erfahrungszusammenhang nicht plausibel nachvollziehbar. Die Präambel unseres Grundgesetzes ist deshalb eine konstitutionelle Wegweisung, die ihre feierlich vorangestellten Leitgedanken ethisch begründet.«
Was heißt das: Die Bedeutung des Normativen steht vor der Empirie.
Aus der Empirie, die durchaus erhoben werden kann, lässt sich ein Sollen nicht ableiten. Ein Sollen muss begründet werden. Das haben David Hume (1711-1776) und andere herausgearbeitet.
Wie oft wurden doch Befragungen durchgeführt: An der Hochschule Osnabrück unter der Wissenschaftlichen Leitung von Prof Dr. Winfried Zapp mit einer Vollerhebung an niedersächsischen Kliniken oder beim Deutschen Verein für Krankenhaus-Controlling e.V. (DVKC) bundesweit, wie auch an vielen anderen Instituten. Die ersten Ergebnisse waren doch in den Studien erschreckend gleich:
Manche Krankenhäuser meinten eine Deckungsbeitragsrechnung zu haben, manche hatten dabei gleichzeitig geantwortet, über keine Kostenstellen oder keine Kostenartenrechnung zu verfügen. Aber eine Kostenartenrechnung ist Grundlage für alle anderen Rechnungen und wenn ein Krankenhaus darüber nicht verfügt, kann es auch eine Deckungsbeitragsrechnung nicht vorweisen können.
Nicht die Ergebnisse von Befragungen entscheiden, sondern die begründete Analyse ist entscheidend. Die Empirie versagt, wollten wir daraus ableiten, welches Rechnungssystem eingesetzt werden soll.
Das Management muss deshalb analysieren, begründen und entscheiden, ob eine Deckungsbeitragsrechnung oder Balanced Scorecard, ob eine Portfolio-Analyse oder Prozesskosten-Rechnung oder alles eingeführt und angewendet wird. Eine Befragung hilft da wenig, sondern die Normative Grundausrichtung und Vorgehensweise ist wesentlich: Eine Entscheidung muss begründet werden, vor dem Hintergrund, dass dadurch die Unternehmung optimal wirtschaftet! Und: Das Management muss dann die getroffene Entscheidung umsetzten – oder soll dann auch wieder eine Befragung durchgeführt werden?
Da aus der Empirie, die erhoben wurde, sich ein Sollen nicht ableiten lässt, muss ein Sollen begründet werden. Deshalb benötigen qualifizierte Ökonomen ethische Grundsätze.
Humes Formulierungen – auch als Sein-Sollen Problem dargestellt – weisen darauf hin, dass aus einem »Ist« kein »Sollen« abgeleitet oder begründet werden kann (Hume 2004). Eine ähnliche Ansicht – aber davon zu unterscheiden – ist der auf George Edward Moore (1873 – 1958) zurückgehende naturalistische Fehlschluss, der aus vorgefundenen und deskriptiv beschreibbaren Eigenschaften gute Eigenschaften ableitet (wie z.B. »Der Stärkere setzt sich durch«, Moore 1966, S.65). Humes Formulierungen vernachlässigen zunächst die Eigenschaft und Erfordernis des Guten, sondern bestreiten grundsätzlich eine Übertragung von einem vorgefundenen Ist auf ein zu forderndes Sollen (Hume 2004).
Die Realität und die Erfassung des Tatsächlichen werden nicht geleugnet, aber sie kann nicht aus diesem heraus zu einer Forderung erhoben werden, sondern muss begründet werden.
Die Erfassung der Wirklichkeit wird mit unterschiedlichen Verfahren, Methoden und Modellen untersucht: Die Bilanz strebt die Abbildungen tatsächlicher Gegebenheiten mit Bewertungen aus der Fachsprache des Rechnungswesens an. Diese Nomenklatur kann bei der Abbildung der Patienten- oder Mitarbeiterzufriedenheit nicht angewendet werden – hier sind andere Untersuchungsmethoden einzusetzen. Je nach Situation sind deshalb differenzierte wissenschaftstheoretische Instrumente zu wählen.
Durch die Abbildung der Realität wird das weitere Vorgehen nicht vorweggenommen. Bei Soll-Aussagen ist deshalb auf Erklärungen und Begründungen zu achten und diese sind zu hinterfragen. Neben der Erkenntnis des Ist und der Formulierung eines Sollens ist auch der Wille zum Handeln wesentlich. Erst durch ein Handeln – verstanden als Tun oder Unterlassen – werden die begründeten Soll-Aussagen umgesetzt.
Wenn im Folgenden von der Empire gesprochen wird, geht es darum, die Wirklichkeit mit unterschiedlichen Methoden zu erfassen, abzubilden und zu analysieren. Die normative Ausrichtung wiederum beschreibt eine Haltung, die das Sollen als Grundlage betont. Die Empirie kann somit helfen, zu erheben, inwieweit das Sollen auch im Ist erkennbar wird.
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