Falls Sie jetzt denken, dass Ihnen das alles noch nicht hilft, dass Sie genauere Anweisungen brauchen oder dass es eben nicht so einfach sein kann – dann lesen Sie weiter. Es gibt eine gute Nachricht: Wenn es Burn-out gibt, ist er auch heilbar.
Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen.
Paracelsus
Die Wahrheit in sich selbst zu entdecken,
gilt mehr als alles auf der Welt.
Quelle unbekannt
Sind wir ein Volk der Erschöpften? Brennt gerade eine ganze Gesellschaft aus? Kaum etwas beherrscht seit Jahren die Management-Presse und Vorträge für Führungskräfte stärker als das Thema Burn-out. Es gibt spezielle Therapieangebote und längst haben sich Kurkliniken und Rehaeinrichtungen darauf eingestellt. Ich werde die Symptomatik auch im weiteren Verlauf Burn-out nennen, weil sich diese Formulierung bei uns eingebürgert hat. Treffend ist der Begriff in jedem Fall: Er meint ja nichts anderes, als dass die Batterie leer ist. Besser als ›Nervenzusammenbruch‹ klingt er allemal.
Als ich mich mit einem ehemaligen Klassenkameraden und Chirurgen über das Buchprojekt unterhielt, meinte dieser scherzhaft, er habe schon viele Menschen operiert, zusammengebrochene Nerven jedoch habe er noch nie gesehen.
Mehr als die Hälfte der Beschäftigten klagt über Termin- und Leistungsdruck, jeder Fünfte der befragten Arbeitnehmer fühlt sich überfordert. »Es war ein schleichender Prozess, der in einem Selbstmordversuch endete, wo ich völlig aufgegeben hatte und das Gefühl hatte, nichts mehr leisten zu können«, so ein Betroffener in einer Sendung bei Phoenix zum Thema Burn-out. Burn-out ist eben keine Infektionskrankheit, die mit plötzlichem hohen Fieber und einem schlimmen Ausschlag beginnt. Es handelt sich vielmehr um eine Störung des ganzen Menschen. Man kann Burn-out eher als eine Art fortschreitenden ›Krebs des Motivations- und Sinnsystems‹ bezeichnen, der sich schleichend entwickelt und oft lange unbemerkt oder fehlinterpretiert und von den Betroffenen oftmals hartnäckig ignoriert wird.
Zur Problematik Burn-out findet man zahlreiche Seminarangebote, die man unter der Rubrik Work-Life-Balance zusammenfassen kann. Wen man auf solchen Veranstaltungen allerdings selten antrifft (und wenn, dann als eher unaufmerksame ›Teilnehmer‹), sind die Gefährdeten selbst. Raten Sie mal, was diese während des Seminars und in jeder Pause machen – sie checken ihre E-Mails und verschicken SMS. Haben sie ihr Smartphone nicht ausgeschaltet, sondern auf ›leise‹ gestellt, dauert es nach dem ersten Vibrieren im Durchschnitt sieben Sekunden, bis nachgeschaut wird.
Burn-out ist in. Umso mehr, nachdem sich auch Prominente wie Tim Mälzer, Maria Carey, Ralf Rangnick, Sven Hannawald und Matthias Platzeck dahingehend ›geoutet‹ hatten. Ein illustrer Kreis, dem man gerne angehören möchte. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber ich habe erlebt, wie sich Betroffene nach ihrer Kur damit brüsteten, ausgebrannt gewesen zu sein. Ottmar Hitzfeld, der seinen Burn-out im Jahre 2004 verschwiegen hatte, mag hier eine Ausnahme sein. In einem Beruf, in dem es kaum erlaubt ist, Schwäche zu zeigen, ist das vielleicht verständlich.
Eine gigantische Burn-out-Industrie ist entstanden. Viele Unternehmen wie der Otto-Versandhandel in Hamburg bieten ihren Mitarbeitern Kurse in Gesundheitsmanagement an – aus gutem Grund. Die deutsche Volkswirtschaft verliert nämlich jährlich ca. 300 Milliarden Euro durch krankheitsbedingte Ausfälle am Arbeitsplatz! Inzwischen ist längst klar, dass die Kosten aufgrund der Überalterung der Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts in Zukunft noch weiter ansteigen werden. Berechnungen haben ergeben, dass sich jeder Euro, der in die betriebliche Gesundheitsprävention investiert wird, auf der volkswirtschaftlichen Ebene mit fünf bis 16 Euro auszahlt. Die Zahl der Krankschreibungen mit der Diagnose Burn-out stieg allein in den Jahren 2004 bis 2011 um das 1400-Fache. Gleichzeitig explodierten die Arzneimittelverkäufe innerhalb von drei Jahren auf fünf Milliarden Tagesdosen mehr als zuvor. Sie haben richtig gelesen! Die Kosten wachsen ins Unermessliche, gleichzeitig werden wir immer kränker. Im Jahre 2013 überholten Männer erstmals Frauen in Bezug auf den Arzneimittelkonsum. Herz-Kreislauf-Medikamente, darunter vor allem Blutdrucksenker, machen bei Männern fast die Hälfte aller Verschreibungen aus. Fast 50 Prozent mehr Rezepte als noch vor zehn Jahren wurden ausgestellt – möglicherweise ein Zeichen dafür, unter welch massivem Druck besonders Männer stehen, den sie dann wiederum medikamentös senken müssen.
Hier läuft also ganz offensichtlich einiges schief. Ein paar Wochen Kur, aus der man als derselbe Mensch herauskommt, als der man hineingegangen ist, oder auch erhöhte Medikation führen zu nichts; das sind die falschen Stellschrauben für Veränderungen.
Von diesen Wundpflastern gibt es noch weitere. Es werden innerbetriebliche Sportgruppen gegründet, andere Firmen engagieren einen Koch, der demonstriert, wie man sich gesund ernährt – all dies wohl wissend und ohne ein Rechengenie sein zu müssen, dass die Kosten hierfür weitaus geringer sind als die Ausgaben für Langzeiterkrankte oder gar ganz ausgefallene Mitarbeiter, die in aufwendigen und kostspieligen Verfahren ersetzt werden müssen. Als prophylaktische Maßnahme sind diese Angebote sicher sinnvoll, ungeachtet meiner Vermutung, dass Sie bei solchen Kursen nur Mitarbeiter als Teilnehmer finden, die nicht zu der Burn-out gefährdeten Gruppe gehören. Diese leben nämlich ohnehin bewusster. Die tatsächlich Burn-out-Gefährdeten werden wahrscheinlich keine Zeit haben, da gerade ein wichtiges Projekt ansteht, bei dem sie unersetzlich sind. Wer gelernt hat, dass sich sein Wert als Person aus seinen Leistungen speist, und dies verinnerlicht hat, bietet mit diesem Stück seines Weltbildes ein weites Feld für weitere Burn-out begünstigende Faktoren.
Da aufgrund der demografischen Entwicklung gute Arbeitskräfte nicht ohne Weiteres zu bekommen sind, ist es natürlich wichtig geworden, für die vorhandenen Mitarbeiter zu sorgen. Ob bei all diesen Maßnahmen (die zwar gut gemeint sind, aber genau wie Pillen ebenfalls nur die Symptome behandeln oder sie wie ein Wundpflaster zudecken) auch die Frage gestellt wird, ob man in seinem Unternehmen am richtigen Platz ist oder ob man noch einen Sinn in seiner Arbeit sieht, wage ich zu bezweifeln.
Das Ganze erinnert mich an die Geschichte von einem Mann, der nachts unter einer Straßenlaterne etwas suchte. Ein hilfsbereiter Passant erkundigte sich, was er da suche. »Meinen Schlüssel«, bekam er zur Antwort. Wo er den denn verloren habe. »Hinter dem Haus«, erklärte der Mann und auf die Frage, warum er denn dann hier nachschaue, meinte er: »Weil es hier heller ist.«
Wenn ein Mensch seine Kreativität für Themen einsetzen muss, die ihn persönlich nicht wirklich berühren, wird seine innere Persönlichkeit nicht daran beteiligt. Das frustriert auf Dauer. Bekannt ist, dass Menschen, die ihren Beruf als Berufung erleben – denn davon leitet sich das Wort Beruf ab – hohen Anforderungen viel besser standhalten. Der sogenannte Sinn im Leben hat eine immens hohe Bedeutung. Wer einen Sinn in seiner Arbeit gefunden hat, braucht keinen Motivationscoach. Motivieren kann man sich ohnehin nur selbst. Motivation, die von außen kommt, ist von kurzer Dauer – da muss man sich viele Male auf einen Stuhl stellen und »tschakka« rufen …
Dass man ohne diesen Sinn im Leben nicht gesund bleiben kann, hat die medizinische Forschung längst herausgefunden. Ein japanischer Forscher untersuchte mehr als hundert Fälle von Spontanremission, also Krankheiten, die medizinisch austherapiert waren und dennoch verschwanden. Drei Faktoren vermochte der Forscher als Gründe zu isolieren – einer davon war der Sinn im Leben; dazu kamen noch der innere Glaube an die Gesundung und ein unterstützendes Umfeld. Diese Spontanremissionen waren schulmedizinisch nicht zu erklären – und doch löste sich die Krankheit auf.
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