„Du, Andi, bist enttäuscht?“
„Ja, Trainer, hab schon geglaubt, dass ich spielen würde.“
„Na, warte es mal ab, du wirst dich nachher bedanken, dass du nicht gespielt hast.“
Was redet der für einen Blödsinn?, hab ich mir gedacht. (Andreas Herzog)
Doch spätestens nachdem Herzog auf der Ersatzbank Platz genommen hatte, wusste er, was Hickersberger gemeint hatte. 103.000 frenetische Zuschauer empfingen die beiden Mannschaften – und bei jeder Angriffswelle der eigenen Mannschaft auf Rot-Weiß-Rot fingen die Fans an zu pfeifen.
„Ich hab schon Ohrensausen gehabt auf der Ersatzbank“, gibt Herzog heute lachend zu. Dennoch kam er in den letzten 20 Minuten zum Einsatz – gegen einen „übermenschlichen“ Gegner: „A Pressing, du bist immer von drei Spielern Sprint attackiert worden, keine Chance, einen Gegenspieler zu überspielen.“
Ob die Russen damals gedopt waren? Auf jeden Fall hinterließ diese Begegnung bei unserem noch jungen Protagonisten Spuren, ähnlich vielleicht wie die ersten Matches in der Rapid-Kampfmannschaft, in denen er mitspielen durfte, aber häufig dem Ball nur hinterherrannte. Umso höher jedoch der erwähnte Lerneffekt und so gesehen auch ein Zeichen. Denn wie heißt es so schön: Intelligente Menschen reflektieren sich und ihr Tun. „Nach dem Schlusspfiff bin ich gleich zum Trainer hin und habe gesagt: ‚Herr Hickersberger, jetzt versteh ich, was Sie gemeint haben‘“, erinnert sich Herzog zurück.
Wir hatten an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass Andi Herzog in erster Linie immer offensiv dachte – als junger Mann sowieso und als heutiger Trainer umso mehr. Schnell in die Spitze, mit dem genialen Pass oder einem intuitiven Dribbling, unbekümmert und mit der nötigen Portion Verrücktheit. Defensive Gedanken, absichern, mauern oder den Ball lange durch die eigenen Reihen spielen zu lassen, um dann zum Torwart zurückzupassen, waren ihm regelrecht zuwider und widersprachen seinem Fußballernaturell. Doch wie es im Leben meist so spielt: Immer dann, wenn man möglicherweise zu sehr in Extremen denkt, wird man eines Besseren belehrt. Denn letztlich macht es immer die Balance aus. Oder um im Bild zu sprechen: Würde die Sonne immer scheinen, gäbe es nur noch Wüsten.
Ein Lerneffekt der besonderen Art fand für den gerade einmal 21-jährigen Herzog am 25. März 1989 im Wiener Praterstadion statt. Vor 23.000 Zuschauern traf das Nationalteam im Nachbarschaftsduell und Freundschaftsspiel auf Italien – mit Größen wie Walter Zenga, Paolo Maldini, Roberto Donadoni oder Gianluca Vialli. Aber auch die rot-weiß-rote Seite konnte sich sehen lassen: Neben Herzog standen auch Herbert Prohaska, Andreas Ogris und Toni Polster auf dem Platz.
Da waren wir, glaube ich, in Lindabrunn kaserniert, und der Josef Hickersberger kommt zu mir her und sagt: „Na, Andi, morgen geht’s gegen den De Napoli.“ (Andreas Herzog)
De Napoli kickte in dieser Zeit als defensiver Mittelfeldspieler für den SSC Neapel hinter Diego Maradona, machte für ihn „quasi die Drecksarbeit“ – wie es Herzog heute noch gerne ausdrückt.
I war halt a junger Spieler noch und hab mehr auf die offensiven Spieler, die halt wirklich Qualitäten gehabt haben, Maradona, Careca und so, aufgeschaut und gedacht: Die sind ja eh a Wahnsinn. Und hab den Defensivspielern eigentlich nie richtig Aufmerksamkeit gschenkt, geschweige denn ihnen gegenüber Respekt gehabt. (Andreas Herzog)
Und nun sollte sich Herzog laut Hickersberger ausgerechnet auf De Napoli vorbereiten. Hin und wieder hatte er sich ihn im Fernsehen angeschaut, wenn De Napoli mit Napoli im Europacup spielte. Doch für Aufsehen hatte dieser bei Herzog nicht gesorgt. Und so fiel seine Antwort auf Hickersbergers Hinweis, er möge sich auf den Defensivspieler der Italiener vorbereiten, recht flapsig aus: „Trainer, der ist ja eh a Hundskicker“, meinte er damals.
Heute spricht Herzog von jugendlichem Übermut und der Tatsache, dass er früher einfach nicht abschätzen konnte, wie wichtig auch ein defensiver Spieler ist, der praktisch jeden Zweikampf gewinnt, gefährliche Situationen vorher schon bereinigt – und somit der Offensive den Rücken freihält. Doch bekanntlich kommt Hochmut ja vor dem Fall. Und so kam es, wie es kommen musste: Herzog konnte im Spiel selbst „keinen Stich“ gegen De Napoli machen.
Ich hab mich nie durchsetzen können, ihn einfach nicht überspielen können .
Nach dem Spiel kam Hickersberger erneut auf mich zu und sagte: „Na, ist a schöner Hundskicker, der De Napoli.“
„Na ja, Trainer, so schlecht ist er doch nicht.“ (Andreas Herzog)
Er schmunzelt, wenn er diese Geschichte erzählt, verbunden mit dem Lerneffekt, eben auch die Defensive zu würdigen und nicht nur – wie als junger Spieler – auf die Offensive zu schauen.
Kleinlaut trat er nach dem Spiel Hickersberger entgegen, er spricht zudem von einem Augenöffner und der wichtigen Erkenntnis für die weitere Karriere, wie sehr gerade auch er als offensiver Denker und Lenker ganz schön abhängig war von der eigenen Defensive. Fortan zollte er den eigenen Verteidigern Respekt und lernte, auf sie zuzugehen, ihnen eben zu vermitteln, dass er nur durch sie glänzen kann.
Und drum möcht i mi im Nachhinein bei all meinen Kollegen, die hinter mir die Drecksarbeit erledigen haben müssen, entschuldigen, dass sie heutzutage künstliche Kniegelenke und künstliche Hüftgelenke haben vom Grätschen und vom Reinhauen. (Andreas Herzog)
In diesen Tagen spürte Andreas Herzog zudem, dass sich die Dinge geändert hatten. Wurde er bisher in den Printmedien immer als „Sohn von Burli Herzog“ beschrieben, trat er plötzlich aus dem Schatten seines Vaters heraus. Für viele Kicker prominenter Fußballväter übrigens eine schier unüberwindbare Hürde – und ein entscheidender Moment in der Karriere eines jeden Jungprofis, wenn er es schafft, sie zu überspringen.
Weißt, ich war am Anfang immer der Sohn vom Burli Herzog, und dann bin i in die Nationalmannschaft gekommen, und auf einmal steht „Andreas Herzog (sein Vater Burli spielte früher auch)“. Wie ich des des erste Mal gelesen hab, hab i gewusst, okay, jetzt hab i es geschafft. Jetzt ist es nicht mehr Burli Herzogs Sohn Andreas. Verstehst den Unterschied? (Andreas Herzog)
Andi Herzog zwischen Mutter und Vater und zwei italienischen Fans und Freunden bei der WM 1990
KAPITEL 12:
„SCHEISS DI NIX!“ – ITALIEN, WIR KOMMEN!
RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992
Am 15. November 1989 fand ein wahrlich historisches Länderspiel für Andreas Herzog statt. Es sollte das 13. Match seiner damals noch jungen Nationalmannschaftskarriere sein – und ihm bis heute in tiefer Erinnerung bleiben, denn an diesem Abend ging es im Wiener Praterstadion gegen eine Auswahl der DDR. Dem einen oder anderen aufmerksamen Leser wird die Tragweite dieser Veranstaltung bereits beim Anblick des Datums, spätestens aber mit dem Hinweis auf das Spiel gegen die Deutsche Demokratische Republik klar. Beispiellos geschichtsträchtig – denn nur sechs Tage zuvor war die Mauer in Berlin gefallen und damit der jahrzehntelang aufrechterhaltene Wall zwischen Ost und West. Doch für Herzog sollte dieses Spiel auch aus einem anderen Grund von historischer Bedeutung sein.
Wenn wir gewinnen, san wir fix bei der WM – und ein paar Tage zuvor ist die Mauer gefallen in Berlin. Und es war für uns natürlich schon a Thema in den Medien, aber nicht so ein dramatisches Thema wie bei den DDR-Spielern, die waren mit den Gedanken schon ganz woanders. (Andreas Herzog)
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