Postmans Sorge galt der medialen Unterhaltung und dabei insbesondere dem Fernsehen. Einige Jahre später wurde er für unser Thema, die Nachrichten, noch einschlägiger. Postman hielt einen Vortrag, den er sich selbst zitierend Informing Ourselves to Death nannte. Darin warnte er unter anderem davor, die Menschen könnten im Überfluss an Information ertrinken (POSTMAN 1990).
Wandel der Öffentlichkeit
Es gibt an den Massenmedien viel zu kritisieren, genauso wie an der repräsentativen Demokratie und den Volksparteien. Die Ära der einen geht zu Ende, die Zukunft der anderen ist ungewiss. Politische Interessen organisieren sich weniger statisch. Sie finden bewegungsartig zusammen, ob nun bei ›Podemos‹, Emmanuel Macrons ›En Marche!‹ oder ›Fridays for Future‹ (vgl. FRANCESCHINI 2019). Und manchmal versuchen auch Volkstribune das Erbe der Volksparteien anzutreten. Dafür stehen so unterschiedliche Namen wie Matteo Salvini, Donald Trump oder Sebastian Kurz.
Wenige Medien mit großer Reichweite und wenige Parteien mit großer Wählerschaft, das hat eine Zeit lang zusammengepasst. Dieses Zusammenspiel erbrachte Diskussion und Durchsetzung von Entscheidungen, Kommunikation und Kontrolle von Macht. Die Bilanz kann sich zumindest im historischen Vergleich sehen lassen. Eva Menasse würdigte die alte, über Massenmedien hergestellte Öffentlichkeit in einer Art Nachruf:
»Als sie entstand, war sie verdächtig, weil sie einem Niveauverlust Vorschub zu leisten schien. Da hatten wir noch Sorgen, müsste man inzwischen sagen. Denn möglicherweise war diese sogenannte abstrakte, massenmediale Öffentlichkeit das Beste, was in einer zusammenwachsenden Welt zu bekommen war, einen historischen Moment lang, in jenem Wimpernschlag, bevor die Digitalisierung alles durchdrang. Das Beste im Sinne von: größte Verbreitung bei niederschwelligem Zugang. […] Die alte Öffentlichkeit gibt es nicht mehr. Sie wird nicht irgendwann erledigt sein, sie ist es schon. Die Digitalisierung, die wunderbare Effekte auf viele Lebensbereiche hat, hat auf ihrem Urgrund, der menschlichen Kommunikation, eine alles zerstörende Explosion verursacht. Für die ehemalige Öffentlichkeit, die, mit all ihren Fehlern und Schwächen, einmal die informelle Macht der Demokratie war, hat es den Effekt, den es auf die Wirtschaft hätte, wenn jeder sich zu Hause sein eigenes Geld drucken könnte« (MENASSE 2019).
Die neue, digitale Öffentlichkeit ist noch eine große, bunte, interessante und gefährliche Baustelle. Anknüpfend an die zunächst mit dem Internet verbundenen Hoffnungen schrieb Michael Seemann 2017 in seinem Blog ctrl+Verlust :
»Die Demokratisierung der Öffentlichkeit durch das Internet ist und bleibt die radikalste Revolution unserer Zeit. Doch wie bei jeder Revolution ist es naiv zu glauben, dass sie nur positive Effekte kennt. Meinungsfreiheit von einem abstrakten Recht zu einer tatsächlichen Praxis zu machen, war ein enormes Sozialexperiment mit unvorhersehbaren Folgen. Und wir schwenken gerade erst in die Periode ein, in der uns die ersten Untersuchungsergebnisse vor den Latz geknallt werden. Beim Auswerten der Daten dann der Schock: Enzensbergers Medientheorie entpuppte sich mehr als Milton Friedmann, denn Marx. Jedenfalls gleicht die Demokratisierung der Medienöffentlichkeit in ihrer Praxis mehr einer Deregulierung des Wahrheitsmarktes. Die Ergebnisse zeigen im Einzelnen genau dieselben Auswirkungen, die wir von jeder Marktderegulierung kennen: Kostendruck bei den Marktführern, das Auftauchen von neuen Wettbewerbern und schließlich die Ausnutzung von Lücken im System durch ›bad actors‹« (SEEMANN 2017).
Wir wissen (noch) nicht, wie Demokratien mit der digitalen Öffentlichkeit als neuem Betriebssystem funktionieren können. Was wir dagegen wissen ist, dass es ungebrochen viele Bedrohungen gibt für unsere Freiheit und für die der Information. Die freiheitliche Demokratie war nie eine häufige Regierungsform und im 21. Jahrhundert scheint sie weltweit betrachtet auf dem Rückzug. International wie national werden Desinformationsund Propagandakampagnen unternommen.
Wir erleben einen Informationsdschungel, in dem ein Teil der Gesellschaft die Übersicht verloren hat. Der Soziologe Ulrich Beck hat einmal bemerkt, die politische Macht habe, wer über die Zulassung von Themen zur Öffentlichkeit entscheide (BECK 2014). Heute ist die Veröffentlichung an sich kein begrenzender Faktor mehr. Man müsste wohl präzisieren, dass die Macht in den Händen derer liegt, die über die Zulassung zur Aufmerksamkeit entscheiden.
Krise der Nachrichten kommt zur Unzeit
Nach den Jahren der gesellschaftspolitischen Euphorie über die Chancen der Digitalisierung zeigt sich in den 2020er-Jahren vielleicht eine skeptisch-ängstliche Übertreibung in die andere Richtung. Ob das so ist, werden wir eines Tages im Rückblick beurteilen können. Wichtig ist, dass diese Phase des ›Techlashs‹ genutzt wird, damit am Ende weder Huxleys noch Orwells Prophezeiungen wahr werden, damit es nicht zu einer ›Infokalypse‹ kommt. Diesen Begriff hat der Technologieforscher Aviv Ovadya geprägt. Er meint damit, »a catastrophic failure of the marketplace of ideas«, eine Situation, in der entweder niemand mehr irgendetwas glaubt oder in der alle auf Lügen hereinfallen (OVADYA 2018).
Insbesondere im Westen haben wir es noch in der Hand, die neue digitale Phase menschlich und freiheitlich zu gestalten. Anders ausgedrückt: US-Unternehmen wie die fünf aus der GAFAM-Gruppe (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) können Gegenstand demokratisch legitimierter Regulierung bis hin zur Zerschlagung werden. Man sollte daher trotz allem froh sein, dass sie nicht aus Peking oder Petersburg gesteuert werden.
Egal wie es mit Big Tech weiter geht, eines ist klar: Die FAZ oder die New York Times werden nicht allein deshalb in die Zukunft kommen, weil sie lange erfolgreich Papier bedruckt haben. Fernsehsender und Radiostationen werden sich nicht auf ihre lineare Ausstrahlung verlassen können, selbst wenn diese schon digitalisiert ist und Streaming genannt wird. Die Informationsanbieter müssen sich das Vertrauen neu verdienen. Die Lorbeeren von früher und der gute Name können dabei etwas helfen, mehr nicht.
In jedem Fall kommt die Krise der Nachrichten zur Unzeit, denn wir brauchen sie heute eigentlich lebendiger, vielfältiger und stärker denn je. Wir brauchen auch in den wichtigen Fragen einen Bestand an gemeinsam geteilter Information, selbst wenn die Bewertung sich deutlich unterscheiden mag. Es besteht kein Grund, unseren westlichen Informationsjournalismus zu idealisieren. Doch mit ihm verhält es sich ähnlich wie mit der Demokratie: Sie wird gerne als die schlechteste Staatsform bezeichnet – mit Ausnahme aller anderen.
Es lohnt also, die Probleme und Schwächen unserer Nachrichten genauer anzuschauen. Das Ziel ist, diesen wichtigen journalistischen Bereich zu stärken. Im Übrigen gilt für die Krise der Nachrichten, was der österreichische Wissenschaftler Gernot Wagner mit Blick auf die Klimakrise gesagt hat: »Für Pessimismus ist es zu spät« (GAULHOFER 2017).
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