Sein Bruder grinste. »Der Geruch ist krass, oder? Wir müssen noch mal zurückkommen, wenn es dunkel wird, und sie beobachten.«
»Das erlauben Mama und Papa nie«, prophezeite Lennart. »Aber cool wär‘s schon.«
»Na sag ich doch.« Zufrieden beugte Jannik sich über den Plan und holte ein paar Stifte aus seinem Rucksack.
Lennart beschloss sich ein wenig umzugucken, so lange sein Bruder damit beschäftigt war, Fledermäuse in einer Baumhöhle zu zeichnen. Er hatte gerade ein Nest hoch oben im Geäst entdeckt, da hörte er etwas, das so gar nicht in die Stille des Waldes passen wollte: das Geräusch eines Motors. Überrascht blieb Lennart stehen und lauschte, das Motorbrummen brach ab. Stimmen wehten zu ihm herüber und eine Autotür klappte. Doch dann schüttelte er den Kopf und musste über sich selber lachen. Das war bestimmt nur der Förster, der hier im Wald seinen Job machte. Schnell lief Lennart zurück zu den drei Kiefern, wo sein Bruder gerade Stifte und Karte in den Rucksack räumte.
»Fertig«, sagte Jannik und stand stöhnend auf. »Mist, mein Fuß ist eingeschlafen.« Er trampelte heftig auf der Stelle, um das Kribbeln zu vertreiben, doch plötzlich hielt er entsetzt inne – ein markerschütternder Schrei gellte durch den Wald.
Die Grünen Piraten – Anschlag auf die Baumriesen
Die Brüder sahen sich erschrocken an.
»Was war das?!«, flüsterte Jannik.
»Komm, wir gucken nach. Vielleicht braucht jemand Hilfe.« Lennart spurtete los in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Sein Bruder warf sich den Rucksack über die Schulter und humpelte ihm nach.
Plötzlich blieb Lennart mit dem Fuß an etwas hängen und schlug der Länge nach hin, mitten in die überall wuchernden Brombeerranken. Fluchend richtete er sich wieder auf und zupfte sich einen Dorn aus der Hand. Hinter ihm steckte ein kleiner, rot markierter Holzpflock im Boden.
»Sie können doch nicht die Tür zuschlagen, wenn meine Finger noch dazwischen sind!«, schallte jetzt eine weibliche Stimme durch den Wald. »Sind Sie verrückt?!«
Jannik hatte aufgeholt und schob sich zwischen den Büschen durch.
»Pass auf, hier steckt so ein Pfahl im Boden«, warnte Lennart ihn und deutete auf den Holzpflock. Dann winkte er seinem Bruder ihm zu folgen und huschte weiter in die Richtung, aus der er gerade die Frauenstimme gehört hatte.
Nach ein paar Metern tauchte ein unbefestigter Waldweg vor ihnen auf, tiefe Spurrillen hatten sich in den lehmigen Boden gedrückt.
»Ach, guck mal einer an, den Jeep kennen wir doch!« Jannik zeigte auf ein klobiges schwarzes Gefährt, das ein Stück weiter zwischen den Bäumen sichtbar wurde.
Lennart verdrehte die Augen. »So klar, dass der feine Herr Bürgermeister nicht den Besucherparkplatz nehmen kann. Der braucht echt immer ’ne Extrawurst. Komm, wir müssen näher ran, ich möchte zu gerne wissen, was der Klotzmeier hier macht.«
Bürgermeister Erwin Klotzmeier war immer auf der Suche nach einem guten Geschäft und dabei kümmerte es ihn nicht weiter, wenn die Umwelt Schaden nahm. Die Grünen Piraten waren ihm schon mehrfach auf die Schliche gekommen, doch Klotzmeier verstand es immer, sich herauszureden und am Ende gut dazustehen.
Die beiden Jungs pirschten sich an das große Auto heran und warfen ein Blick hinein. Der Innenraum war leer, aber durch die Scheiben konnten sie in einiger Entfernung vier Personen zwischen den Bäumen ausmachen, die wild gestikulierten.
»Klotzmeier hat sich ja richtig in Schale geworfen«, wunderte sich Jannik.
Der kleine, dicke Bürgermeister, den sie bisher nur im Anzug kannten, trug jetzt nagelneue grüne Gummistiefel und darüber eine knallgelbe Regenjacke.
»Sieht aus wie ein Gartenzwerg, oder?« Grinsend spähte Lennart durch die Autoscheiben.
»Aber wer sind die anderen?« Jannik holte ein Mini-Fernglas aus seiner Hosentasche und betrachtete den bärtigen Mann und die rothaarige Frau neben Klotzmeier. Beide waren bestimmt einen Kopf größer als der Bürgermeister. Dann schwenkte er nach rechts auf einen drahtigen Mann mit braungelockter Kurzhaarfrisur, der genau in diesem Moment in ihre Richtung deutete. Hastig nahm Jannik das Fernglas herunter. Ob der Mann sie bemerkt hatte? Vielleicht einen Lichtreflex auf den Linsen?
»Und?«, fragte Lennart.
Sein Bruder schüttelte den Kopf. »Also, außer Klotzmeier kenn ich keinen von denen.«
Leise traten die Jungs den Rückzug an. Sie hatten nicht die geringste Lust, dem Bürgermeister vor die Füße zu laufen und bahnten sich ihren Weg zurück durch die Brombeerbüsche, bis sie wieder auf den Pfad stießen, der an den drei Kiefern vorbeiführte.
»Was meinst du, was die hier machen?«, fragte Jannik.
Lennart zuckte mit den Schultern. »Bei Klotzmeier vermute ich ja immer das Schlimmste, aber mir fällt grade nichts ein, was der hier anrichten könnte.«
Mit einem Mal summten ihre Handys.
Lennart war schneller: »Nachricht von Pauline. Kommt sofort ins Hauptquartier, habe etwas unglaublich Tolles dabei!«
»Das muss aber noch einen Moment warten.« Jannik blieb stehen und drehte sich zu seinem Bruder um. »Ich will erst noch zu dem Storchennest auf der alten Eiche.«
»Nicht dein Ernst, oder?! Das kannst du doch einfach so einzeichnen, du weißt ja, wo die Storcheneiche steht«, maulte Lennart. »Wir haben Opa Hermann oft genug geholfen, die Bienenkästen dort hinzubringen.«
Jannik und Lennarts Opa war Imker und im Frühjahr stellte er immer zwei seiner Bienenbeuten* in der Nähe von Bauer Hamachers Rapsfeld auf. Die Bestäubung der Bienen sorgte für einen höheren Ertrag beim Raps und Opa Hermanns Bienen produzierten dank des Nektars der gelben Blüten megaleckeren Rapshonig. Jannik lief schon das Wasser im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte.
Am Rand von Bauer Hamachers Acker stand eine riesige uralte Eiche, in deren höchster Astgabel ein Storchenpaar sein Nest gebaut hatte.
Seit Jannik denken konnte, kamen die beiden Weißstörche im Frühjahr nach Bieberheim und zogen hier ihren Nachwuchs auf.
»Ich möchte aber jeden Fund in meiner Karte noch mal überprüfen, bevor ich ihn einzeichne«, erklärte Jannik. »Damit auch alles stimmt.«
Lennart verdrehte die Augen. »Ok, wenn’s schnell geht, meinetwegen.«
Die Jungs mussten eine ganze Weile durch den Bieberheimer Forst laufen, bis sie wieder an die Stelle gelangten, wo sie ihre Fahrräder im Gebüsch abgestellt hatten. Dann fuhren die beiden den Feldweg hinunter, den sie sonst auch zum alten Bieberheimer Hafen nahmen, und bogen wenig später rechts in einen unbefestigten Weg ein, der an einem Meer aus gelben Rapsblüten entlangführte. Schon von Weitem konnten sie die ausladenden Äste der mächtigen Eiche sehen, die am Feldrand stand und ganz oben, wie eine Krone aus Zweigen, thronte das Storchennest.
»Wow, ist das riesig!«, rief Jannik begeistert. Er hatte sein Rad in den Grasstreifen am Weg gelegt und steuerte auf den Baum zu. »Wusstest du, dass Storchenpaare immer zum selben Nest zurückkehren? Zum Überwintern fliegen die meisten nach Afrika und wenn sie dann im Frühjahr zurückkommen, wird das Nest ausgebessert und neues Nistmaterial draufgeschichtet. Deshalb wächst der Horst von Jahr zu Jahr in die Höhe.«
»Hä? Wovon redest du? Ich kenn keinen Horst.« Lennart war hinter seinem Bruder her getrottet und hatte dabei seine Nachrichten gecheckt. Jetzt sah er verwirrt von seinem Handy auf. Pauline hatte auf seine Nachfrage, was sie denn Tolles mitbringen würde, nicht reagiert.
Читать дальше