„Hm, ja schon, aber polnisch und sächsisch hört man bei uns ja auch viel“, versuchte sie zu sagen.
Max lachte. „Erinnerst du dich nicht, dass du zu Joey nach Leipzig gezogen bist?“
„Leipzig?“ Sie schüttelte den Kopf und Tränen traten ihr in die Augen.
„Erinnerst du dich an eure Hochzeit?“, wollte er dann wissen. Wieder sah Leni ihn groß an und er deutete auf den Ring an ihrem rechten Ringfinger. Sie lächelte und sagte: „Jo.“
„Ja, Leni, er ist dein Mann.“ Sie nickte glücklich lächelnd und er zeigte ihr auf seinem Handy ein Bild von ihrer kirchlichen Trauung vor wenigen Monaten. Sie schaute es lange an und zog die Stirn kraus. Er merkte, wie es in ihr arbeitete und ließ es für diesen Tag gut sein.
„Ich denke, wir sollten jetzt schlafen oder was denkst du?“
Sie sah ihn zunächst erstaunt an und wollte dann wissen, ob er in dem Bett von Jo schlafen werde.
„Wenn es für dich okay ist, dann bleibe ich heute Nacht hier. Ich weiß ja nicht, wie lange der Familienrat tagt.“ Als sie nickte, schrieb er seinem Bruder eine kurze Nachricht, nicht dass der doch noch auf die Idee kam, mitten in der Nacht in der Klinik aufzutauchen.
Leni schlief schlecht in dieser Nacht. Sie machte sich Gedanken, warum Max bei ihr war und nicht ihr Mann. Zudem war es ihr irgendwie unangenehm, dass Max mit ihr in einem Zimmer schlief. Aber ganz alleine sein wollte sie wiederum auch nicht. Um auf andere Gedanken zu kommen, versuchte sie, sich an die Hochzeit und ihren Umzug nach Leipzig zu erinnern. An die standesamtliche Trauung in Freiburg konnte sie sich jetzt erinnern, vor allem daran, wie sehr Johannes sich gefreut hatte, als sie ihm nach der Trauung ins Ohr geflüstert hatte, dass sie schwanger sei. Aber alles andere lag noch ziemlich im Nebel.
Am nächsten Morgen war das Pflegepersonal zunächst ziemlich erstaunt, als sie einen fremden Mann in dem zweiten Bett vorfanden. Max erklärte, dass sein Bruder aus familiären Gründen mit den Eltern zu Hause bleiben musste und dass er sich deshalb um seine Schwägerin gekümmert habe. Während Leni frisch gemacht wurde, ging er in die Cafeteria, um zu frühstücken. Als er zurückkam, war gerade die Physiotherapeutin mit ihr beschäftigt und er bewunderte ihre Fortschritte und den Eifer, mit dem sie bei der Sache war. Wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft war es nicht so einfach, sie auf die Füße zu stellen, um ein paar Schritte mit ihr zu laufen, aber als Max dann mithalf, ging es schon ganz gut. Als er ihren zarten Körper so nah spürte, wurde ihm wieder bewusst, wie sehr er diese Frau liebte und er fragte sich, wie schon so oft, warum er sie seinem Bruder überlassen hatte.
Nach der Therapie war Leni ziemlich erschöpft und machte für einen Moment die Augen zu. Max konnte nicht anders, er streichelte zärtlich ihre Wange.
„Jo?“ Leni öffnete die Augen und sah verwundert in die dunkeln Augen ihres Schwagers.
„Entschuldige Leni, ich wollte dich nicht stören“, sagte Max leise. „Hör zu, Leni, ich kann einfach nicht mehr anders, ich muss dir jetzt etwas gestehen“, begann er geheimnisvoll. Sie schaute ihn erstaunt an und fragte: „Was denn?“
Es nahm ihre Hand in seine und sprach etwas verlegen weiter: „Ja also, Leni, es ist so, ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt“, er sah sie mit großen bittenden Augen an. „So, jetzt ist es draußen“, meinte er erleichtert.
In dem Moment kam Johannes zur Tür herein und hörte, wie Leni seinem Bruder beteuerte, dass sie ihn zwar möge, aber nur Jo liebe und niemand anderen. Er räusperte sich und trat ans Bett, wo Leni ihn strahlend begrüßte und einen Kuss verlangte, den er ihr lächelnd gewährte. Leni wollte noch etwas zu Max sagen, aber sie brachte die Worte nicht raus, was sie fürchterlich aufregte und plötzlich ließ sie ein lautes, deutliches „Scheiße“ vernehmen, worauf die beiden Brüder sie erst erstaunt ansahen und dann fingen alle drei an zu lachen.
„Einige Wörter klappen doch schon ganz gut“, feixte Max, der es bedauerte, dass sein Bruder im falschen Moment ins Zimmer gekommen war. Kurz danach wurde Lenis Frühstück gebracht und Johannes half ihr geduldig beim Essen. Kaum hatte sie fertig gefrühstückt, wurde Leni mit dem Rollstuhl abgeholt und zur Logopädin gebracht.
„Was hast du Leni erzählt?“, wollte Johannes von seinem Bruder wissen, als die beiden allein im Zimmer waren.
„Nichts, warum? Also, weißt du, beichten musst du schon selber, das nehm ich dir ganz sicher nicht ab. Ich habe ihr gesagt, dass Mutti und Vati da sind, um mit dir zu besprechen, wie es in Zukunft mit euch weitergehen soll.“
Johannes nickte zustimmend.
„Außerdem hab ich versucht, ihr Gedächtnis aufzufrischen, aber sie kann sich nicht an ihren Umzug nach Leipzig erinnern, sie lebt geistig immer noch in Freiburg.“
Johannes fragte weiter: „Und vorhin, als ich gekommen bin? Was hast du ihr da gesagt?“
Max schob seine Hände in die Hosentaschen und schaute verlegen auf seine Schuhspitzen. „Na ja, sie sah so süß aus, als sie so friedlich dalag und geschlummert hat, da konnte ich einfach nicht anders. Ich hab sie gestreichelt und ihr gesagt, dass ich sie liebe. Es ist nun mal so und das weißt du auch. Sie hat mir vom ersten Augenblick an gefallen und ich versteh wirklich nicht, warum sie sich ausgerechnet in dich Griesgram verliebt hat.“
„Vielleicht weil ich zuverlässiger bin“, meinte Johannes nachdenklich. „Du musst wissen, Lene ist rasend eifersüchtig. Die hat mir vorgestern Abend ganz schön die Hölle heiß gemacht, nachdem Sarah so intensiv mit mir geflirtet hatte. Außerdem hat sie …“, er stockte, denn intime Dinge wollte er vor seinem Bruder ganz sicher nicht ausplaudern. „Jedenfalls ist so ein Casanova wie du nicht der Richtige für sie, da müsste sie ja ständig Angst haben, dass du fremdgehst.“
Max hatte immer noch die Hände in seinen Hosentaschen versenkt und hob leicht die Schultern. „Weißt du, ich denke mit einer Frau wie Leni braucht man doch gar nicht fremdzugehen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, ihr treu zu bleiben“, meinte er und sah seinen Bruder verträumt an.
Johannes lachte: „Vergiss es, Bruderherz, du und Treue, das sind zwei Welten, du weißt doch gar nicht was das ist.“
„Aber jetzt sag schon, was hat sie vorgestern Abend gemacht?“ Max war jetzt natürlich total neugierig.
„Ich denke, das geht nur Lene und mich was an. Sie würde mich steinigen, wenn ich darüber sprechen würde. Du weißt, wie sie ist und ich mag auch nicht über unser Intimleben sprechen.“
„Du hast sie doch nicht etwa in diesem Zustand gevögelt?“
„Nein, natürlich nicht!“, entrüstete sich Johannes, war aber nicht bereit, weiter über dieses pikante Thema zu sprechen und überließ es der Phantasie seines Bruders, sich auszudenken, was da wohl geschehen war.
„Also hat sie dir einen runtergeholt oder vielleicht sogar einen geblasen?“ Max wollte nicht so schnell aufgeben.
Johannes gab keine Antwort, sondern grinste seinen Bruder nur vielsagend an.
„Mannomann, was hat sie mit dir gemacht? Sie hat dich ja total umgekrempelt. Das hätte es bei dir früher nie im Leben gegeben, dass dir eine Frau in dieser Umgebung an die Hose geht.“ Max hatte mal wieder seinen Spaß. Es gab für ihn nichts Schöneres, als seinen steifen Bruder aufzuziehen.
„Hör zu, Max, ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagte Johannes nach kurzem Schweigen. „Mutti und Vati warten auf dich, die wollen wieder nach Hause zurückfahren.“ Er gab seinem Bruder den Autoschlüssel und verabschiedete sich nachdenklich von ihm.
„Verdammte Scheiße, warum muss er Lene ausgerechnet jetzt mit seinen Gefühlen belästigen?“, brummte Johannes grimmig vor sich hin, während er seinem Bruder vom Fenster aus nachschaute und auf die Rückkehr seiner Frau wartete.
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