„Aber sag mal“, führte Susanne das Gespräch weiter, „wie war das mit Leni? Du hast sie doch kennengelernt bevor du das mit Jessica angefangen hast und nach Hamburg gezogen bist?“
„Ja natürlich, ich habe sie ja in Freiburg auf der Baustelle kennengelernt, als sie mir trotzig ins Gesicht geschaut und mir erklärt hat, dass ich als Kunde zwar der König, sie aber die Kaiserin sei“, er lächelte, als er an ihre erste Begegnung dachte. „Sie war so süß. Und als sie mir dann ihre Pläne erklärte, wie wir meine Wünsche und ihre Vorstellungen einigermaßen unter einen Hut bringen könnten, da hat sie mir echt imponiert und ich habe zu allem ja und amen gesagt.“ Er grinste verlegen. „Dann hab ich sie aber aus den Augen verloren und ich hatte auch keinen Kopf dafür, denn das war ja kurze Zeit nach dem Unfall und außerdem hatte ich angefangen, meine Doktorarbeit zu schreiben“.
„Aber ich dachte, ich hättet dann im selben Haus gewohnt?“, warf Susanne ein.
Johannes erzählte seinen Eltern von dem Schlabberlook, den sie in ihrer Freizeit trug und von der Party, auf der Leni sich zu erkennen gab. „Das war echt peinlich“, endete er.
Die Eltern grinsten sich an, denn sie konnten sich gut vorstellen, wie unbehaglich ihr so korrekter Sohn sich gefühlt haben musste. Außerdem hatte Max natürlich gleich nach seiner Rückkehr aus Freiburg die Geschichte im Familienkreis zum Besten gegeben. Sie sahen ihn erwartungsvoll an.
„Ja, also, ich hatte mich fast den ganzen Abend mit Tobias, also dem Bruder von Lene, unterhalten und zugeschaut, wie Max sie angebaggert hat. Ich wollte sie vor ihm warnen und habe sie deshalb zum Tanzen aufgefordert, was sie mir ziemlich frostig gestattete. Sie war wohl immer noch sauer wegen des Ärgers, den ich ihr und dem Bauleiter gemacht habe.“ Sein Blick wurde weicher, als er leise fortfuhr: „Kaum hatte ich sie im Arm, da hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich diese Frau ewig im Arm halten und streicheln und liebkosen möchte. Ich hatte so ein Verlangen nach Zärtlichkeit, das hat mich fast umgehauen. Und als ich in ihre schönen, grünen Augen sah, merkte ich, dass sich auch bei ihr etwas getan hatte. Sie war plötzlich nicht mehr abweisend, sondern sah mich verwirrt an. Meine Gefühle haben mich so überwältigt, dass ich damit nicht umgehen konnte und mir fiel nichts Dümmeres ein, als sie zurückzuweisen.“ Er schüttelte den Kopf über seine eigene Dummheit. „Max hat Recht, ich bin ein Idiot. Ich habe einfach nicht die Kurve gekriegt, aber ihm habe ich verboten, sie anzufassen“, wieder grinste er verlegen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ja, und dann kam Jessica. Wie ihr wisst, habe ich sie und ihren Vater auf einem Kongress in Hannover kennengelernt und der Alte hat mich immer wieder während der drei Tage in Gespräche verwickelt und mich dann wohl für geeignet als Schwiegersohn befunden. Jedenfalls hatte er Jessica befohlen, mich zu verführen, was ihr auch bestens gelungen ist. Sie sah ja super aus und wenn eine Frau mich so richtig umgarnt, da werde ich schwach.“ Er hob entschuldigend die Schultern. „Ihr habt sie ja kennengelernt und gemeint, dass sie gefühlskalt ist. Das Problem ist, dass sie lesbisch ist. Da ihr Vater aber unbedingt einen Nachfolger für die Kanzlei haben wollte, hatte sie sich auf das Spiel eingelassen. Aber sie hat sich jedes Mal vor dem Sex betrunken. Das hat echt keinen Spaß gemacht und außerdem konnte ich Lene nicht wirklich vergessen.“ Er machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser, das Susanne mittlerweile eingeschenkt hatte.
„Den Rest wisst ihr ja. Max hat Lene gedrängt, zu mir nach Hamburg zu fahren, mir ist er mächtig auf die Füße getreten und hat mich eindringlich gebeten, es nicht wieder zu versauen und sie auch wirklich zu treffen.“ Er lächelte bei dem Gedanken an ihr Treffen in Hamburg und die schöne erste Nacht, die sie zusammen verbracht hatten. Wieder entstand eine lange Pause.
„Wie war das eigentlich, warum hat Tante Elisabeth sich damals das Leben genommen?“, wechselte Johannes dann plötzlich das Thema.
Die Eltern zögerten, bevor Paul antwortete: „Meine Schwester war psychisch krank und sollte in eine Anstalt eingewiesen werden und da hat sie sich vor einen Zug geworfen. Warum willst du das wissen?“
„Mein Therapeut hat mich gefragt, ob es in unserer Familie psychische Erkrankungen gibt oder gegeben hat. Ich war ja noch klein, als das mit Tante Elisabeth passiert ist und deshalb war ich mir nicht sicher, was die Ursache war. Ich hab nur so Gerüchte gehört, von wegen gemütskrank, konnte mir aber nichts darunter vorstellen. Meint ihr, das ist erblich?“, wollte er dann wissen.
„Keine Ahnung“, antwortete Susanne, „das muss dir dein Arzt doch sagen können.
„Hm, ja klar, ich werde ihn auf jeden Fall das nächste Mal fragen. Ich dachte nur an die Kinder, ich hoffe inständig, dass die gesund sind.“
Susanne nickte. „Ja, das hoffen wir auch. Aber wenn es wirklich vererbbar ist, dann gilt das ja auch für die Kinder von Gabi und falls Max doch mal Nachwuchs produzieren sollte, betrifft es ihn ebenfalls. Ihr habt ja alle denselben Vater.“ Sie seufzte tief und meinte dann: „Hoffen wir das Beste. Das Wichtigste ist jetzt erst mal, dass du deine Probleme endlich in den Griff bekommst und dass Leni wieder gesund wird.“
Währenddessen dachte Leni weiter darüber nach, was wohl mit ihr sein könnte und hatte Angst, dass sie behindert bleiben würde. Sie versuchte, Max zu erklären, dass sie jetzt fleißig ihre Übungen machte und auch das Sprechen ging schon ein wenig besser. Außerdem versuchte sie ihre Schließmuskeln zu kontrollieren, damit sie bald keine Windeln mehr brauchte.
Max sah sie erstaunt an, als sie nach einer Pflegerin klingelte und sie erklärte ihm, dass sie aufs Klo müsse. Als die Pflegerin ins Zimmer kam und Leni es ihr gesagt hatte, wollte die ihr eine Bettpfanne bringen. Dies lehnte Leni aber vehement ab, denn das wäre ihr doch wirklich zu peinlich gewesen. Also bat die Pflegerin Max um Hilfe und gemeinsam brachten sie Leni in das angrenzende kleine Badezimmer. Max hatte diskret das Badezimmer wieder verlassen und Leni schickte die Pflegerin ebenfalls vor die Tür. Sie saß dann stolz wie eine Königin auf dem Thron und freute sich, dass sie dieses Mal ihren Stuhlgang beherrscht hatte.
Die Pflegerin lobte sie anschließend, indem sie meinte: „Na Dornröschen, Sie machen jetzt aber mächtige Fortschritte“, was Leni dankbar lächelnd zur Kenntnis nahm.
Nachdem sie wieder in ihrem Bett war, bemühte sich Max, sie abzulenken, indem er versuchte, rauszufinden, an was sie sich erinnern konnte. Der Dialog war wegen ihrer Sprachstörung schwierig, aber er gab nicht so schnell auf. Er fragte sie nach ihrem Namen.
„Leni, also Helene Kaiser.“
„Und weiter, das ist doch nicht dein ganzer Name.“
Sie sah ihn verwundert an und versuchte es nochmal: „Helene Marie Kaiser.“
Max zeigte auf ihren Ehering: „Nun?“ Aber Leni verstand nicht, was er ihr sagen wollte.
„Du heißt doch Helene Kaiser-von Moeltenhoff. Hast du das etwa vergessen?“
Leni schaute betrübt und kramte in ihrem Gedächtnis, dann lächelte sie.
„Hm ja“ sie versuchte Max zu erklären, dass sie seinen an ihren angehängt hatte, weil Johannes so unglücklich war, als sie ihm gesagt hatte, dass sie ihren Namen behalten wollte.“
Max hatte große Mühe sie zu verstehen, aber da er die Geschichte weitgehend kannte, nickte er.
„Gut und was bist du von und Beruf?“ Sie strahle ihn an und versuchte, das Wort Architektin auszusprechen. Als er sie aber fragte, wo sie wohne, antwortete sie prompt: „In Freiburg.“
„Überleg mal, Leni, wo sind wir hier?“
Sie sah ihn mit großen Augen an und zuckte die Schultern. „Ich dachte, in der Uniklinik,“ stammelte sie. Max schüttelte den Kopf. „Ist dir nicht der Dialekt des Personals aufgefallen?“
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