„Ich bezweifle, ob man das Zauberkünste nennen kann“, versetzte Weißhaar bescheiden. „Ich bin zwar kein Gelehrter, wie du richtig bemerkst, doch haben wir einen Gelehrten unter uns.“
„Wer? Iss sehe keinen! Meinst du den smarten Jungen?“
Kuno Weißhaar wies auf Äffchen.
„Das ist ja kein Menss!“
„Aber ein Plédo-Affe! Er kann sprechen und dürfte dir weiterhelfen!“
„Ja“, sagte Erfinder-Äffchen, „ich habe auch schon ein paar Ideen für eine Diät! Ich denke schon, dass ich dir helfen kann!“
Da war der Schlangenmenschenkönig Schlankerli gar hocherfreut und geleitete die Gefährten den Hügel hinauf zu der Schlangenburg, deren hohe Zinnen in der Abendsonne gleißten. Der König ging ihnen voraus und die Gefährten bewunderten seinen anmutigen, federnden Gang, in dem sich Schlankerli schlangenlinienförmig vor ihnen herbewegte.
Auf der Schlangenburg bekamen die Freunde Gemächer zugewiesen, erhielten freie Kost und Logis, und Äffchen bemühte sich Diäten nach eigenem Rezept herzustellen. Als Gegenleistung hatte der König den Dreien freies Geleit, Lebensmittel und eine ausgezeichnete Landkarte versprochen. Erfinder-Äffchen entwarf und mixte einige Tinkturen, von denen Schlankerli Durchfall bekam. Aber auch nach einigen Tagen wollte der König nicht abnehmen, wie das tägliche Wiegen auf einer Waage bewies. Jeden Morgen schaute er von Neuem in den Spiegel und sagte: „Ssön, ssön, ssööön, jedoss nisst sslank genug!“
Er war sehr unzufrieden. Darum wurden die Freunde unter dem Vorwand, dass für neue Diener Platz zu schaffen sei, von einem Tag auf den anderen in weniger freundliche Gemächer geführt und dies wurde solange fortgesetzt, bis sich ganz unmerklich die Glasscheibe vor der Türe und die Vorhänge vor den Fenstern in Gitter verwandelt hatten. Als die Freunde es bemerkten, war es schon zu spät und sie waren seitdem in ihren Zellen gefangen. Die Ratgeber Schlankerlis drangen darauf, dass eine Entscheidung getroffen werden müsse, aber Schlankerli unternahm nichts. Er ließ sich zwar von Äffchen keine Tinkturen mehr zubereiten, aber er zögerte andererseits mit einer Bestrafung. In seinen Mußestunden ließ sich der König auf Idans Flöte Lieder vorspielen, woran er sich sehr ergötzte.
Eines Tages musste Schlankerli auf Drängen seiner Berater eine Versammlung einberufen, auf der das Problem mit den Fremden geregelt werden sollte.
„Noss immer saben die Reisenden siss nisst als nütssliss erwiesen!“, wurde ihm vorgehalten.
„Lasst uns noss ein wenig warten!“, beschwichtigte Schlankerli. „Der Bursse sspielt so ssön!“
„Wir saben genug gewartet. Das Gesetss besagt, dass diese ssterben müssen!“, erwiderte der Ratgeber des Königs. „So ist es gesetssliss besslossen!“
„Absolute Sseiße“, lispelte Schlankerli. „Iss mösste den Menssen besalten! Sseiß Gesetss!“
„Es lässt siss nun mal nisst ändern! Das Gesetss ist alte Tradission! Auss ein König muss siss danass rissten!“
„Äußerst bessissen! Kann man das nisst umgehen?“
„Leider keine Ssance! Menssen, die nisst nütssliss sind für Sslangenmenssen, müssen ssterben!“
„Aber er singt doss so ssön!“
„Sosswürden meinen, er sspielt!“
„Freiliss meinte iss das! Wie sollte iss es sonst meinen! Also, wenn er so ssön sspielt, ist das nisst ein Grund, ihn ssu ssonen?“
„Leider gar nisst! Flötensspielen ist als nütssliss noss nisst anerkannt. Das Gesetss sat kein Versständnis für die Kunst!“
„Dann mösste iss wenigstens das Insstrument des Menssen besitssen!“, erwiderte Schlankerli trotzig. „Dies wird mein einssiger Trost sein!“
Noch am gleichen Abend eilte Schlankerli in das Verlies des kleinen Idan, um sich die Flöte geben zu lassen. „Du und deine sswei Genossen müssen leider ssterben“, sagte er, „drum gib mir dein Musikinsstrumen!Musikinsstrument! Du wirst’s nisst mehr braussen! Vielleisst finde iss sspäter einen anderen Menssen, der mir damit vorsspielen kann! Wäre sonst ssade drum!“
„Aber warum müssen wir denn sterben?“, rief Idan entgeistert.
„Weil ihr nisst von Nutssen für uns seid! Ihr sabt auf unsere Kosten gelebt und könnt nisst bessahlen dafür, darum auss die Sstrafe!“
„Aber ... aber wir könnten arbeiten, um für das Essen, das ihr uns gegeben habt, aufzukommen“, sagte der kleine Idan.
„Nisst nötig! Wir wüssten nissts, was ihr arbeiten solltet! Können wir alles besser! Das Problem ist, dass ihr Fremde seid! Fremde, die in unser Land eindringen, müssen ssterben! Es sei denn, dass sie von Nutssen sind! Aber das seid ihr nisst!“
„Aber ich könnte dir täglich auf meiner Flöte vorspielen!“
„Damit sab iss auss versusst, unser Gesetss ssu beugen. Jedoss geht das leider auss nisst! Kunst ssählt leider gar nissts!“
„Gnade, Gnade!“, schrie der kleine Idan und sank auf die Knie. „Ich will nicht sterben! Bitte schone unser Leben! Wir wollen das Land verlassen und auch bestimmt nicht wiederkommen!“
„Leider kann iss auf diese Wünsse nisst Rücksisst nehmen! Es ist sson Gnade, dass ihr morgen sterben dürft! Früher gab es erst lebenslängliss – und dann erst den Tod! Jetsst aber bitte – das Insstrument!“
Idan war einige Schritte zurückgewichen, aber Schlankerli verlängerte seinen Arm durch die Gitterstäbe, erhaschte die Flöte aus seiner Hosentasche und zog die Hand schnell zurück.
„Aber was soll denn aus unseren Eselchen werde?“,werden?“, rief Idan und Bäche von Tränen rannen ihm über die Wangen.
„Keine Sorge! Die werden versorgt! Die dürfen siss paaren. Und ersst ihre Kinder werden an Sslangen verfüttert!“
„Und unser Sabut, unser kleiner Mammutfresser?“, heulte Idan. „Er wird sterben, wenn wir ihm nicht Mammutfleisch besorgen!“
„Das ist leider nisst unser Problem“, erwiderte Schlankerli. „Warum habt ihr ihn nisst dort gelassen, wo er wohnt?“ Mit diesen Worten entfernte sich der König und ließ den kleinen Idan allein.
Also war es beschlossene Sache. Nichts konnte an dem unerbittlichen Schicksal ändern, das die drei Freunde erwartete. Die Hinrichtung war für den folgenden Tag geplant und noch am Abend hörte man bis zu der Schlangenburg herauf das laute Hämmern und Sägen der Zimmermannsleute, die die Galgen vorbereiteten. Dann, nach einer langen, schrecklichen Nacht, nahte endlich der Morgen, ein überaus trauriger Morgen.
Zu hilflosen Bündeln zusammengeschnürt wankten die Gefährten zum Ort ihrer Hinrichtung. Ihre Hälse steckten in Schlingen und waren in kurzem Abstand mit einem Strick verbunden, der sich zwischen ihren Füßen befand und deren Bewegungsfreiheit einschränkte. Eine zweite Schlinge, ebenfalls um den Hals geknüpft, war mit den hinter dem Rücken gefesselten Händen verbunden. Derart wohl verschnürt konnten sie sich nur in tapsenden Schritten und in gebückter Haltung fortbewegen. Es war ein langer Weg, denn der Burgplatz, auf dem die Hinrichtung stattfinden sollte, lag ziemlich weit unten und der kleine Idan kam durch die grausamen Fesseln behindert nur äußerst langsam voran. Ein wenig schneller war Äffchen, aber auch dieses war durch seine gebückte und gebundene Haltung äußerst behindert. Nur Kuno Weißhaar ging aufrecht. Sein Hals war zu kurz, als dass man eine Schlinge hätte darum legen können, ebenso waren die Arme zu kurz, als dass man die Hände auf seinem Rücken hätte übereinander fesseln können. Seine Füße waren nur mit einer einzigen Fessel verbunden, die ihm einen bequemen Spielraum ließ, gerade soviel, dass er nicht davonlaufen konnte. Ebenso ließen die Fesseln auf seinem Rücken ihm einen gewissen Spielraum. Es schien den Unglückseligen, als sollte ihre Reise enden, bevor sie richtig begonnen hatte. Endlich, nach langem, mühevollem Weg, hatten sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht. Dem kleinen Idan stiegen Tränen in die Augen, als er die hohen Galgen auf dem Burgplatz sah. Sie waren mit stattlichen Halsschlingen ausgerüstet. „Wie wollen sie mich hängen?“, fragte Kuno Weißhaar. „Mein Hals ist zu kurz!“
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