Kurze Zeit später liess man ihn aber wissen, dass er im Frühjahr würde helfen müssen, mit dem Karst den Weinberg umzugraben, Jauche und Mist auszutragen und anderes mehr, worauf Heinrich erwiderte, dass er dies nicht zu tun gedenke. «Meine Lage wurde dadurch nichts besser», erinnert er sich, «weil ich mich weigerte, der gedungene Sklave zu sein, und ich war entschlossen, der Sache sobald als Möglich ein Ende zu machen. Amerika war nun entschieden mein Ziel, doch davon durfte ich einstweilen Niemanden etwas merken lassen.» 63
Obwohl er Grund hatte, die Lehre abzubrechen, befürchtete er, der Meister könnte noch die zweite Hälfte des Lehrgeldes von ihm fordern. «Ich war damahls noch Unerfahren», stellt er rückblickend fest, «sonst hätte ich, ohne viele Umstände zu machen, mein Bündel geschnürt und mich dann bestens empfohlen, da der Kontrakt von des Meisters seite verletzt wurde, nicht aber von mir.» 64Er legte sich einen Plan zurecht und schrieb dem Vater einen Brief, in dem er ihm die Situation darlegte und ihn bat, schriftlich von ihm zu verlangen, nach Hause zu kommen, um das von der Mutter geerbte Land zu übernehmen und selbst zu bewirtschaften. Er, der Vater, habe das Land nach dem Tod der Mutter an seine Kinder abgetreten, um davon befreit zu sein, und er könne mit Heinrich keine Ausnahme machen.
Die erste Antwort des Vaters fiel nicht nach Heinrichs Wunsch aus: «Mein Vater war kein Freund der Büchsenmacherei und hatte mir anfangs stark abgerathen, diese Profession zu erlernen, von welcher er ungefähr die selbe Achtung hatte, als wäre sie mit der Kesselflickerei auf einer Stufe. […] In seiner Antwort hiess es, ich hätte mir das Ding besser überlegen sollen, noch befor ich den Kontrakt unterzeichnet und das halbe Lehrgeld, Fünf und eine halbe Dublone, daran bezahlt. Jetzt solle ich womöglich zu bleiben suchen, Zwei und ein Viertel Jahre seien ja doch keine Ewigkeit etc.» 65Heinrich antwortete dem Vater aber postwendend, dass er die Lehrstelle mit oder ohne seine Hilfe verlassen werde, selbst auf die Gefahr hin, die andere Hälfte des Lehrgeldes noch bezahlen zu müssen. Bald darauf traf der gewünschte Brief des Vaters doch noch ein. Heinrich gab ihn dem Meister zu lesen, worauf dieser erklärte, er wolle mit ihm nach Bilten gehen und persönlich mit dem Vater und den Geschwistern reden.
Der Besuch auf dem Ussbühl wurde auf einen Sonntag Anfang 1843 festgesetzt. «Es war noch Finster, als wir den Weg nach Bilten antraten. Es war ein frostiger Februar-Morgen, in den Strassen gab es noch an vielen Stellen Schnee und Eiskrusten. Der Meister lief sehr rasch und war fast immer um ein bis zwei Schritte voraus und stürzte ein paar Mahl nieder, wobei er sich ein wenig Wehe that und welches ich, wäre ich geneigt gewesen, ein Bisschen abergläubig zu sein, als für mich ein gutes Zeichen hätte betrachten sollen.» 66Tatsächlich verlief der Besuch zu Hause ganz nach Heinrichs Wunsch, indem die Familie sich genau an seine Anweisungen hielt und Pfenninger schliesslich einsehen musste, dass die Sache nicht mehr zu ändern war.
Am folgenden Tag marschierte Heinrich mit Pfenninger zurück nach Stäfa, wo der Meister ihn noch einen grossen Haufen Holz sägen und hacken hiess. «Um keine Unzufriedenheit durch eine Weigerung hervorzurufen, gieng ich rüstig an die Arbeit, sägte mit verdopelter Kraft drauf los, und der grosse Haufe war Abends zum Erstaunen der ganzen Familie fertig, denn man hätte mir das gar nicht zugemuthet, dass ich soviel in einem Tag fertig bringen könnte. […] An Essen und Trinken wurde ich an diesem Tage behandelt wie während meiner Probewochen. Am nächsten Morgen hatte ich meine Kleider bald zusammen geschnürt und nahm endlich herzlichen Abschied, das heisst, ich verabschiedete mich herzlich Gern. Als ich Stäfa im Rücken hatte, fühlte ich wieder wie der Vogel in der Luft, und ich erreichte mein Vaterhaus bald [am] Nachmittag.» 67
Auf dem Ussbühl folgte eine schwierige Zeit, in der, so Lienhard, der Hausfriede nicht der beste war. Immer wieder versuchte er, dem Vater die Erlaubnis für die geplante Amerikareise abzuringen, denn ohne den väterlichen Segen wollte er das Elternhaus nicht verlassen. Aber der enttäuschte Vater, der seinem Sohn beim Abbruch der Lehre geholfen hatte im Glauben, dieser kehre nun endgültig nach Hause zurück, weigerte sich beharrlich, sein Einverständnis zu geben. Die alten Grundsatzdiskussionen nahmen ihren Fortgang, und das Reizwort «Amerika» gab Anlass zu vielen harten Auseinandersetzungen. Warum der Vater ihn nicht ziehen lassen wollte, war für Heinrich schwer zu verstehen: «Obschon ich entschieden der Ansicht war, dass mein Vater unter seinen Kindern mich damahls am wenigsten liebte (und dieser Ansicht bin ich jetzt noch), so glaube ich, dass er mich, gerade weil er mich doch auch lieb hatte, nicht so weit weg von ihm und der Heimath wissen wollte. Der Gedanke, was aus mir werden sollte, wenn ich unter fremden Leuten krank würde, schien ihn sehr zu quälen, und dass ich seinen derartigen Gedanken nicht gehörig Rechnung trug, schien ihm fast Räthselhaft.» 68
Auch spontane Einfälle brachten nicht den gewünschten Erfolg: «Unseren fortwährenden desshalbigen Verdriesslichkeiten müde, meinte ich einst, den Vater damit zu erschrecken und vielleicht gefügiger für meine Amerika-Pläne zu machen, als ich drohte, wenn ich nicht nach Amerika könne, so werde ich heirathen. Aber das war dem Vater eben gerade Wasser auf die Mühle, denn sogleich war er damit einverstanden: ‹Thue das›, sagte er, ‹das ist das Gescheidteste, was Du thun kannst!› Ich sah mein Irrthum sogleich ein und erwiederte ihm, dass ich dazu noch viel zu Jung sei.» 69
Dann kam ihm eines Tages unerwartet ein Bruder des Vaters zu Hilfe: «Nachdem Unkel Peter sich zu uns gesetzt und er einige Worte mit uns gesprochen hatte, wandte er sich plötzlich zum Vater mit der Bemerkung: ‹Bruder, Du zankst Dich immer mit deinem Jungen, nur weil er nach Amerika will. Lass ihm doch sein Willen, und lass ihn gehen! Wenn etwas Ordentliches aus ihm wirdt, wenn er einmahl Dort ist, so sollst Du darüber Froh sein; sollte er aber ein Daugenichts werden, so sei Du zufrieden, dass er so weit von Dir fort ist! Er hat eine gelehrige Hand, er wird wohl wie andere junge Leute dort auch sein Auskommen finden. Bruder Jakob und ich, wir Beide haben je ein Sohn in Amerika, und wir sind es zufrieden. Warum willst Du es denn deinem Heinrich absolut verwehren?›» 70Die Übermacht von Bruder und Sohn scheint Kaspar Lienhard für einen Moment aus der Fassung gebracht zu haben, denn «halb Drotzig, halb Unwillig» wandte er sich an Heinrich mit den Worten: «Nun, wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen! Wenn es Dir dort gut geht, so bin ich auch damit zufrieden!» 71
Reise nach Amerika 1843
Nach den erlösenden Worten des Vaters wollte Heinrich Lienhard keine Zeit mehr verlieren. Er wusste, dass sein Nachbar Jakob Aebli schon lange auf einen Begleiter wartete, mit dem er nach Neu-Schweizerland 72in Illinois reisen könnte, wo Verwandte von ihm lebten. Unverzüglich überbrachte ihm Heinrich nun die gute Nachricht, dass sein Reisepartner gefunden sei. Gemeinsam legten sie das Abreisedatum auf den 24. August 1843 fest und begannen mit den Reisevorbereitungen. Aeblis Bruder war in einer Advokatur tätig und organisierte ihre Fahrt bis Le Havre durch die Agentur Rufli in Sisseln, Kanton Aargau. Später sollte sich zeigen, dass dies nicht nötig gewesen wäre: «Ich war damahls wie die meisten Erstlinge oder Grünlinge in solchen Dingen noch sehr Unerfahren. So viel fanden wir indessen spähter heraus, dass wir die Reise von [zu] Hause nach Havre vollkommen so billig und in viel kürzerer Zeit per Post auf viel angenehmere Art hätten machen können.» 72
Die bevorstehende Reise von über zwei Monaten erforderte gute Planung, umso mehr, als sie sich bis nach Le Havre selbst verpflegen wollten und dies auf der Atlantik-Überfahrt von Zwischendeck-Passagieren ohnehin erwartet wurde. «Diese Ausrüstung, wenn sie nach damahliger Idee einigermassen für den Schiffsraum und [die] selbst Verköstigung hinreichend sein sollte, verlangte von 30 bis 60 Pfund Käse, dürre Zwetschgen und dito Kirschen von [zu] Hause aus. Der Käse wurde dann an der Französischen Grenze versiegelt (blumbirt); solch versiegelter Käse durfte erst auf dem Meer angeschnitten werden. Für Federbetten auf dem Meere hatte Jeder auch selbst zu sorgen, dann noch eine küpferne Kochpfanne durfte nicht fehlen. Zwei bis vier vollständige Kleideranzüge, ein bis zwei oder Mehr Dutzend Hemden, ein oder zwei Dutzend Nastücher und wo möglich dito baumwollene und wollene Strümpfe nebst einer Flinte und einer Pistole und vielleicht eine Büchse, um sogleich den vielen Hirschen, Bären, Pänter und Büffel nach Ankunft in Amerika den Gar ausmachen 74zu können, waren durchaus als Nöthig angesehen.» 75Für den Transport liessen sie sich jeder einen grossen, mit Metallbeschlägen verstärkten Überseekoffer anfertigen und mit gelber Farbe ihren Namen darauf malen.
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