Tanjas Mundwinkel verzogen sich zu einem unmerklichen Lächeln. In ihren Augen stand leiser Spott.
«Werden Sie Ihre Korrespondenz dann selber schreiben?»
«Nein. Aber eine stundenweise Aushilfskraft wird genügen.»
«Aha.» Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: «Ich habe gerne bei Ihnen gearbeitet, Herr Kellenberger. Aber Ihre Mitteilung kommt mir nicht ganz ungelegen.»
«Wieso?»
Tanja lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Sie war immer selbstbewusst gewesen; jetzt empfand der Anwalt sie als provokativ. «Ich hatte auch im Sinn, mich gelegentlich zu verändern.»
«So.»
«Ja. Es sieht so aus, als ob ich wieder heiraten werde.»
Kellenberger schluckte. Matter. Der Strolch hat sie völlig in der Hand, jetzt sowieso mit dem vielen Geld. Und Vollmacht über sein Konto hat er ihr auch noch gegeben. «Wer ist denn der Glückliche?»
«Ich schicke Ihnen eine Anzeige, wenn es so weit ist», sagte Tanja und lachte. «Er ist älter als ich.» Es klang wie eine Entschuldigung.
Und sieht aus wie eine Witzfigur, dachte Kellenberger. Was Geld nicht alles fertigbrachte.
Matters Lachen klang ihm wieder in den Ohren, und er sah seine wässrigen Augen über der Stupsnase mit den ungepflegten Nasenlöchern vor sich. Und jetzt zitierte der Kerl ihn noch nach London, wieder mit der verdeckten Drohung eines Nach- und Strafsteuerverfahrens. Er sagte: «Ich wünsche Ihnen, dass er reich ist und Sie glücklich macht.» Und dass ihn der Teufel holt, setzte er in Gedanken hinzu.
«Danke», erwiderte Tanja. Dann fuhr sie fort: «Wir können das Ganze auch abkürzen. Ich würde gerne die beiden kommenden Wochen als Ferien beziehen. Danach helfe ich Ihnen noch, die pendenten Akten aufzuarbeiten, wenn es Ihnen recht ist. Dafür sollten weitere zwei Wochen genügen.»
«Einverstanden», sagte Kellenberger. Er hatte plötzlich die Nase voll. Sollte sie sich doch dem Banditen an den Hals werfen. «Sie erhalten selbstverständlich ein ausgezeichnetes Zeugnis.»
Tanja verabschiedete sich, und Michael Kellenberger wandte sich wieder seiner Akte zu. Er sehnte sich nach einem kühlen Bier und beschloss, das Abendessen im «Goldenen Sternen» einzunehmen. Nur jetzt nicht ins leere Haus zurückkehren. Die Vergangenheit würde ihn mit ihren klebrigen Fingern einholen, Helen ihm seinen Fehltritt während ihrer dritten Schwangerschaft wieder vorwerfen, den Abort im vierten Monat; die Verachtung seiner Töchter, Reue über verpasste Gelegenheiten, dann die Angst vor Versagen im Beruf, und jetzt der Pfusch mit den Steuern – alles würde ihn heimsuchen wie ein Ausschlag, der sich nie ganz auskurieren ließ. Und die Vorstellung der Stille, die ihn umhüllen würde wie ein schweres Laken, wenn er im Wohnzimmer eine Zeitung las, erfüllte ihn mit sanftem Schrecken.
Als er sich zum Weggehen bereitmachte, läutete das Telefon. Es war zehn vor sieben. Für einen geschäftlichen Anruf war es zu spät, und seine paar Freunde und Bekannten riefen ihn – wenn überhaupt – zu Hause an. Er hob ab.
«Ja», sagte er, leicht ungeduldig.
Eine Frauenstimme sprach. «Herr Dr. Kellenberger?»
«Ja, wer spricht?»
«Sind Sie allein? Können Sie sprechen?»
«Ja.» Jetzt wurde er neugierig.
«Mein Name ist Sylvia Matter», sagte die Frauenstimme. «Kann es sein, dass Sie meinen Mann kennen, Herbert Matter?»
«Allerdings!», entfuhr es Kellenberger. Dann fiel ihm ein, dass auch sie zu Matters Opfern zu zählen war. Freundlicher fuhr er fort: «Was veranlasst Sie, mich anzurufen?»
«Ich möchte nicht am Telefon weiterreden. Wann kann ich Sie allein sprechen?»
«Geben Sie mir wenigstens ein Stichwort.»
«Vaduz.»
«Ich bin heute Abend frei. Wenn Sie mich in meinem Büro besuchen wollen, können wir ungestört reden.»
«In zwanzig Minuten bin ich bei Ihnen.»
8
Michael Kellenberger führte seine Besucherin in sein kleines Konferenzzimmer. Sylvia Matter trug einen grünen Hosenanzug. Ihr Haar war braun gefärbt mit einem Stich ins Rötliche, kurz geschnitten und straff nach hinten gekämmt. Darunter traten starke Backenknochen hervor, und trotz eines sorgfältigen Makeups waren bei beiden Augen Krähenfüsse sichtbar, und tiefe Falten zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln hinab. Die grauen Augen blickten streng, und das breite Gesicht wirkte gehetzt und müde. Der Anwalt schätzte sie auf Mitte vierzig.
Sie saß kerzengerade auf der Kante ihres Stuhls, die Unterarme auf den Tisch gestützt, und suchte nach einem Anfang. Sie sagte: «Danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen.»
Kellenberger lächelte schwach. «Das fiel mir leicht, als ich Ihren Namen und Ihr Stichwort hörte.»
«Sie haben meinen Mann bei einer Bank in Vaduz eingeführt und ihn bei einer geschäftlichen Angelegenheit beraten. Das stimmt doch?»
Der Anwalt schüttelte den Kopf. «Ja und nein. Ja, ich habe Herrn Matter bei der Universal Bank eingeführt; und nein, ich habe ihn nicht als Mandanten beraten. Wäre er mein Klient, wäre unser Gespräch bereits beendet. Warum kommen Sie zu mir, Frau Matter?»
Die Frau gab sich einen Ruck. «Mein Mann hat mich vor ein paar Tagen Hals über Kopf verlassen. Dabei vergaß er einen Umschlag mit Papieren der Bank aus Vaduz. Neben einem Brief der Direktion – darin werden Sie erwähnt – lagen drei Gutschriftanzeigen über fast vier Millionen Franken im Umschlag. Wir haben nicht so viel Geld, Herr Dr. Kellenberger. Ich möchte wissen, was los ist. Ich hatte gehofft, dass Sie mir dabei helfen. Unsere Ersparnisse betragen etwas über hunderttausend Franken. Und wir haben einen vierzehnjährigen Sohn, dem ich nicht erklären kann, weshalb sein Vater verschwunden ist. Das ist das Schlimmste an der ganzen Geschichte.»
«Steht auf den Belegen, woher die Zahlungen kommen?», fragte Kellenberger, weil ihm nichts anderes einfiel.
«Ja. Von einem Dr. Hubert Huber und einem Paul Regenass, beide aus Basel, ich habe sie im Telefonverzeichnis gefunden, und einer Plus-Minus AG.»
«Hm.»
Wie auf Knopfdruck spulte Kellenbergers Erinnerung den Film seiner Begegnungen mit Herbert Matter ab: die beiden Gespräche im Büro bei der Steuerverwaltung am Fischmarkt, die kurze Sitzung hier im selben Konferenzzimmer, in dem jetzt seine Frau nach Antworten suchte. Dann der Schock, dass seine Assistentin mit Matter gemeinsame Sache machte. Er fragte:
«Wissen Sie, warum Ihr Mann Sie verlassen hat? Eine andere Frau?»
Sylvia Matter schluckte. «Er hat gesagt, er halte es nicht mehr aus, er brauche endlich seine Freiheit. Ob eine Frau im Spiel ist? Ich weiß es nicht. Aber man kann es wohl nicht ausschließen, nach zwanzig Ehejahren, nicht wahr?»
«Nein, das kann man nicht.»
Der Anwalt versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er war froh, dass Matters Frau zuerst zu ihm gekommen war. Die Namen Regenass und Huber sagten ihm nichts. Aber offensichtlich waren sie ebenfalls erpresst worden. Wenn Sylvia Matter sie aufsuchte, flogen die Gaunereien ihres Mannes höchstwahrscheinlich auf. Es war unverkennbar, dass sie vor den großen Geldbeträgen Angst hatte.
Wenn sie Anzeige erstattete, ließen sich auch die Steuerhinterziehungen – er nahm an, dass Huber und Regenass sich in derselben Lage befanden wie er – nicht mehr geheim halten. Er begriff, dass seine Besucherin mit äußerster Sorgfalt zu behandeln war.
«Darf ich fragen, woher Sie meinen Mann kennen?», wollte sie wissen.
Kellenberger nickte. «Er ist für die Bearbeitung meiner Steuererklärungen zuständig.» Die Höflichkeit der Frau stand in krassem Gegensatz zur forschen Aufdringlichkeit ihres Mannes.
«Und wie kommt es, dass Sie ihn bei einer Bank in Vaduz einführten?»
«Er hat mich darum gebeten.»
«Um was geht es bei seinen Geschäften?» Die Frau zögerte, dann setzte sie leise hinzu: «Ich kann nicht glauben, dass alles mit rechten Dingen zugeht.»
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