Weichenstellungen
Als Erikas Berufswahl ansteht, denkt niemand an eine Zukunft im Geschäft. Dass sie als Vertreterin der sechsten Generation in die Firma eintreten könnte, wird niemals auch nur erwogen. «Aber ich wusste genau, ich wollte in die Handelsschule.» Ein glücklicher Entscheid. In der Handelsschulabteilung der Töchterschule im ziemlich neuen Gottfried-Keller-Schulhaus an der Hottingerstrasse fühlt sie sich ausserordentlich wohl. «Nach der Sekundarschule war das eine Erfrischung, die ihresgleichen suchte. Endlich hatten wir richtig gute Lehrer – die siezten uns! Die nahmen uns für erwachsen! Das machte mir enorm Eindruck. Sie stellten aber auch Ansprüche. Dass es eine reine Mädchenschule war, empfand ich als grosse Erleichterung. Plötzlich konnte man über alle möglichen Themen diskutieren, ohne von den Buben gestört zu werden. Es herrschte eine super gute Stimmung.»
Erika Hug begeistert sich unter anderem für ein Fach, das bei den meisten Schülerinnen verpönt ist: «Wir hatten eine absolut tolle Buchhaltungslehrerin. Die meisten hatten Angst vor ihr, ich nicht. Zwei oder drei von uns waren gut in diesem Fach, und wir verstanden uns prima mit ihr. Die andern quälten sich mit der Buchhaltung herum.»
Nach dem Diplom verbessert sie ihre Sprachkenntnisse, Englisch in Cambridge, Italienisch in Perugia, und tritt danach ihre erste Stelle als Buchhalterin an. «Es war eine kleine Firma für Hörgeräte, nicht sehr sexy. Aber es waren lustige Leute, und es gefiel mir, dass ich die Buchhaltung ganz selbständig machen konnte, inklusive Abschluss, zusammen mit der Revisionsstelle.»
Mit 23 zieht sie von zu Hause aus. «Ich fand eine kleine Dachwohnung an der Hofackerstrasse mit toller Aussicht, direkt in den Schülergarten. Ich hatte immer Wohnungen mit Ausblick. Ich finde es schlimm, wenn man nur eine Hauswand vor der Nase hat.» Sie, die immer gerne gemalt hat, bildet sich zur Werbeassistentin weiter, da kommen ihre künstlerischen Interessen und gestalterischen Fähigkeiten zum Zug. Und sie lernt neue Leute kennen, Maler, Bildhauer, Künstler. Durch einen Schauspielerfreund erweitert sich ihr Bekanntenkreis zusätzlich um Theaterleute, Schriftstellerinnen, Redaktoren. Für sie geht buchstäblich eine neue Welt auf. Man trifft sich in den angesagten Beizen des Niederdorfs, jeder kennt jeden. «Es war unerhört anregend, ein intellektuelles Aufwachen: ‹Das musst du lesen!› und ‹Jene Ausstellung musst du gesehen haben!› Nächtelang haben wir diskutiert. ‹Und was findest du dazu?›, wurde ich gefragt und war baff, dass sich jemand ernsthaft für meine Meinung interessierte.»
Von dieser Welt fühlt sich Erika Hug angezogen. Sie malt und zeichnet selber, beteiligt sich an Ausstellungen, mit Erfolg: «Ich habe mal im Helmhaus gehangen», sagt sie nicht ohne Stolz. In jener Ausstellung werden die prämierten Werke von jungen Zürcher Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Sie erwägt, ob sie die Kunst zum Beruf machen soll. Es gibt so vieles, was sie interessiert: «Man kann auch Filme machen, oder Musik, oder Literatur. Ich musste eine Entscheidung fällen.»
Diese führt nicht tiefer in die Künstlerwelt und lässt doch das Gestalterische nicht ausser Acht. Erika Hug belegt an der Hochschule St. Gallen ein zweijähriges Seminar zur Werbeleiterin, das sich bald als sehr brauchbar erweisen wird. «Das war eine andere Liga als die Werbeassistentin, es ging auch um Marketing, Strategie, Führung.»
Einstieg ins Geschäft von unten und oben
Adolf Hug ist drauf und dran, die Firma zu verkaufen. «Als ich sah, wie er sie verkaufen wollte, war ich entsetzt», erinnert sich seine Tochter. «Dann kannst du sie genauso gut verschenken, sagte ich. Ich sah schon die Aasgeier kreisen.» Darauf sagt der Vater etwas, was er noch nie gesagt hat: «Aber dann musst du in die Firma kommen.» Sie nimmt die Herausforderung an. Das bedeutet nun endgültig die Abkehr von einem Berufsweg als Künstlerin, «aber Musik und Musikinstrumente verkaufen, damit konnte ich mich schon identifizieren». So steigt sie am 1. September 1973 gleichzeitig von unten und von oben ins Musikhaus Hug ein: Sie arbeitet sich in den Musikverlag und in die Werbung ein und nimmt Einsitz in den Verwaltungsrat.
Die Werbung entpuppt sich als ausgezeichnete Möglichkeit, die Firma gründlich kennen zu lernen und Einfluss zu nehmen. Schon im folgenden Jahr übernimmt sie die Werbeleitung und kümmert sich um das Erscheinungsbild. Musik verbindet Tradition und neuste Technik, sie ist ästhetisch und kreativ, das macht Erika Hug im Auftritt des Musikhauses sichtbar, angefangen beim Namenszug. Sie verwendet dafür abwechselnd Lettern einer klassischen Serifen- und einer strengen Groteskschrift. Das Firmenlogo erscheint an jeder Filiale, in jedem Inserat, auf jedem Briefkopf, auch die Grafik der Musikalien und die Innengestaltung der Verkaufsräume passen dazu. Corporate Identity heisst das in der Sprache der Werber. Bis heute ist das ein Bereich, der Erika Hug fasziniert und den sie mitprägt: «Alles, was Sie sehen, trägt meine Handschrift.»
1979, nach dem Tod ihres Vaters, tritt Erika Hug in die Geschäftsleitung ein. Die Durchsetzung auf der Chefetage ist kein Spaziergang. «Der Direktor, den mein Vater eingestellt hatte, agierte gegen mich, das wäre nicht nötig gewesen. Ich suchte mir Unterstützung im Verwaltungsrat und musste mich schliesslich von diesem Direktor trennen. Auch von einigen andern Leuten, das war sehr belastend. Eigentlich wurde es erst gut, als ich die führenden Leute selbst eingestellt hatte. Man muss sich in der eigenen Firma behaupten können, sonst wird das nichts.»
Das traut man ihr ohne weiteres zu. Gross, sportlich, kurz geschnittenes Haar, markante Brille, heller Hosenanzug – diese Frau weiss, was sie will. Aber sie relativiert: «Zäh war ich zwar immer, aber mein Selbstbewusstsein habe ich eigentlich erst im Alter bekommen.» Ob es für Frauen schwerer sei, sich durchzusetzen? «Ganz klar ja», sagt Erika Hug, «in der Schweizer Wirtschaft sind die Frauen nach wie vor nicht integriert. Das hat mit der Kinderbetreuung zu tun. Wie sollen sich die Frauen in Ruhe auf ihre Karriere konzentrieren, wenn sie sich um ein oder zwei Kinder kümmern müssen? Ich konnte mich ganz aufs Geschäft einlassen, weil ich keine Familie hatte.»
In den Achtzigerjahren begibt sie sich auf Reisen, um Geschäftsbeziehungen zu knüpfen, «das hat mein Vater nicht mehr gemacht». Sie reist allein in die USA und nach Fernost. Aus Südkorea bringt sie eine Generalvertretung für Klaviere mit. Von Japan ist sie begeistert: «Die haben ja einen Geschmack! Ein Farben- und Formgefühl, einmalig! Wenn man als ausländischer Geschäftspartner ankommt, ist alles hervorragend organisiert und blitzsauber.» In Japan sind die weltweit grössten Produzenten von Musikinstrumenten wie der Pianohersteller Yamaha beheimatet. Aber Erika Hug bringt auch praktische Ideen mit nach Hause. «Yamaha hat an der Ginza in Tokio einen Laden. Das ist ein sehr teures Pflaster, da muss man jeden Quadratmeter ausnutzen. Die Musiknoten hatten sie im Kellergeschoss. Zu meiner grossen Verwunderung standen die Noten dort wie Bücher im Regal, mit einem festen Umschlag versehen.» Das leuchtet ihr sofort ein: «Im Yamaha-Laden bedienten sich die Kunden selbst, und die Noten brauchten sogar noch viel weniger Platz. Wie umständlich und unübersichtlich dagegen unser System: Wir hatten damals im Hauptgeschäft drei Stockwerke voll Musiknoten, auf Brettchen gestapelt. Das Personal holte den Stapel aus dem Lagerraum, knallte ihn vor dem Kunden auf die Theke zum Durchblättern und musste ihn danach wieder in Ordnung bringen und wegräumen.» Als sie, zurück in Zürich, ihren Fachleuten die japanische Einrichtung schildert, wehren diese ab: «Aber das geht doch nicht! Wir haben das immer so gemacht! Wir sind doch der Huuug!» Um es kurz zu machen: Erika Hug setzt sich durch, die Notenabteilung wird beträchtlich verkleinert und für die Kundschaft zugänglich gemacht.
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