Bedingungslos muss es sein, wenn man auf einen neuen Gedanken kommen will. Sonst spinnt man nur den alten weiter. Der spinnt sich weiter bis zu einer Ideologie.
Bedingungslos ist der Moment des Schöpferischen bei gleichzeitig voller eigener Präsenz.
Kann man die Bedingungslosigkeit zu einem Bestandteil des Volkseinkommens machen?
Praxis der Bedingungslosigkeit
Von der «Zukunftsstiftung Soziales Leben» in Deutschland wurden Menschen mit einem Förderbetrag unterstützt, der keine Auflagen hatte. Der Betrag war 500 Euro pro Monat. Er wurde über drei Jahre ohne Ergebniserwartung und ohne Bedingungen ausgezahlt. Nur mit einem Interesse begleitet am anderen Menschen. Das war sehr schwierig, weil man bei einem Zuspruch von Geld doch immer in Versuchung ist, nach der Effizienz zu fragen. Ist das denn auch sinnvoll? Lohnt sich das? Eine Sache oder ein Projekt zu fördern, ja, aber wie fördert man einen Menschen? Eben nur bedingungslos. (Dabei ist jede Förderung einer Stiftung letztlich nichts anderes als Einkommen für Menschen.)
Da diese Stiftung weniger eine Antragsstiftung war, sondern auf Menschen zuging, die im weitesten Sinne gemeinnützig tätig waren, die ihrer Intention nachgingen und dies nicht in erster Linie profitorientiert, kam es auch dazu, dass jemand sich fragte: Wofür bekomme ich jetzt dieses Geld? Bei einem Antrag oder Auftrag ist das klar. Aber hier, zu was verpflichte ich mich da, wenn ich von denen Geld annehme, das keine Gegenleistung fordert? Ist das eine Verpflichtung zu etwas, was ich nicht weiß? Ist das wie bei der Mafia oder einer Sekte? Wird man da als ganze Person eingekauft?
Diese Befürchtung haben manche auch beim bedingungslosen Grundeinkommen. Eine unausgesprochene Loyalitätsverpflichtung. In reichen Golfstaaten, wo es ein frei gegebenes Einkommen für die Landeskinder gibt, ist es das. Es ist wie ein Familieneinkommen.
Jemand, der von der Stiftung gefördert wurde, erzählte, dass er diesen Einkommensbetrag ohne Verpflichtung nach einigen Monaten wie ein Brennglas auf die Selbstverantwortung erlebt habe. Weil da nichts war, was ihm die Verantwortung abnahm, wie bei einem Auftrag. Und da, sagte er, merkt man erst, wie viele Handbremsen man angezogen hat, wie viele Gründe man hat, nicht wirklich das Optimale aus sich und den eigenen Fähigkeiten zu machen. Zu bemerken, dass man diese Gründe nicht haben muss, das dauert eine Weile.
Wie kommt das Neue in die Welt? Das war eine Frage in der Stiftung. Das Bedingungslose schafft einen freien Raum, in dem das Neue in die Welt kommen kann. Was war nun das Neue? Einige der Geförderten machten das weiter, was sie vorher gemacht hatten. Aber – sagten sie: besser. Weil so ein bedingungsloser Betrag nicht nur Geld ist, sondern einen besonderen Zuspruch transportiert: eine «Wärmequalität». Manche der Geförderten gingen auf die Bedingungslosigkeit gar nicht ein. Sie nahmen das Geld als Erleichterung dankend an.
Schenken ist bedingungslos, wenn es Schenken ist, dann gibt man bedingungslos.
Dass man nicht einfach etwas schenken kann, das denken viele. Dass man sehen kann, ist geschenkt. Die Augen sind geschenkt. Dass man denken und empfinden kann, ist geschenkt. Das Schenken der Natur ist ein anderes als das Schenken bei Menschen. Bei Menschen ist es eine individuelle Beziehung.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Geschenk. Es ist für alle aus einer allgemeinen gesellschaftlichen Übereinstimmung. Es bezieht sich auf die Lebensgrundlage. Es ist eine gesetzliche Regelung zu einem Zweck. Der Mensch ist nicht ein Mittel für etwas, sondern er selbst ist der Zweck. Er ist das, worum es geht. Von ihm geht es aus, und zu ihm geht es hin. Ein Grundeinkommen kann eine Voraussetzung bilden, nicht ein Ergebnis.
Ein Recht auf das Bedingungslose?
Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Schenken, aber es enthält einen Aspekt davon. Es ist kein individueller Vorgang zwischen Zweien. Es garantiert die Lebensgrundlage aus demokratischer Übereinkunft. Das heißt, es ist ein demokratisch-rechtliches Einkommen. Es geht in die Richtung eines «sozialen oder wirtschaftlichen Bürgerrechtes», wie es Prof. Peter Ulrich sagt, emeritierterOrdinarius für Wirtschaftsethik an der Universität in St. Gallen. Ein Recht auf ein Einkommen, ja. Aber darauf, dass es bedingungslos ist? Ein Recht auf Freiheit? Kann es das in der Form für alle gleich und ohne Ansehen der Person geben?
Wenn man etwas bedingungslos gibt, sagen einige Kritiker, dann muss ein persönlicher direkter Zusammenhang da sein. Ein bedingungsloser Einkommensbetrag ist ein Eingriff in die Biografie. Dadurch ändern sich die Bezüge und die Lebenssituation eines Menschen. Das ist verantwortungslos, wenn es nicht eingebettet ist in ein persönliches Verhältnis und eine persönliche Begleitung.
Ohne es so zu nennen, ist das auch die Kritik der vielen, die fürchten, dass dann viele nicht mehr arbeiten. Man kennt die Leute ja nicht und man müsste ein Grundeinkommen auch denen gönnen, von denen man gar nichts hält. Bedingungslosigkeit setzt Vertrauen voraus. Das kann man nicht allen geben. In der allgemeinen Ordnung braucht es Rechte und Pflichten, die das Verhalten regeln. Etwas derart Bedingungsloses ist da ein Sprengsatz.
Care-Arbeit
Das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert Feministinnen und Gleichstellungsbefürworter: Die einen fürchten das Grundeinkommen als Quasilohn der Care-Arbeit und verbinden damit die Rückkehr zu alten Rollenbildern. Die anderen sehen das Grundeinkommen als Fortschritt auf dem Weg zur Gleichstellung. Dabei wird übersehen, dass ein Grundeinkommen keine Lösung für irgendein bestimmtes Problem ist.
Care-Arbeit heißt Sorgearbeit und meint Hausarbeit, häusliche Pflege und Betreuung von Kindern, von kranken und betagten Menschen. Diese Arbeit, bei der sich Menschen um Menschen kümmern, macht in der Schweiz laut Berechnungen der Schweizer Ökonomin Mascha Madörin mehr Arbeitsstunden aus als die Erwerbsarbeit. Care-Arbeit wird zum größten Teil von Frauen geleistet, und sie ist zum größten Teil unbezahlt. Care-Arbeit macht den bezahlten Arbeitsanteil in der Gesellschaft, die Erwerbsarbeit, erst möglich. Sie ist der unbezahlte Teil der Wirtschaft. Allerdings wird sie von denen, die sich für ihren wirtschaftlichen Erfolg loben, oft ignoriert.
Es ist skurril: Care-Arbeit macht mehr als die Hälfte des notwendigen Arbeitsvolumens in der Gesellschaft aus und wird nicht gesehen, wenn über Arbeit debattiert wird. Sie wird auch übersehen, wenn über fehlende Arbeitsanreize bei einem Grundeinkommen spekuliert wird. Sie ist Arbeit um des anderen Menschen willen. Heilende Arbeit, bildende Arbeit, seelische, erzieherische Arbeit. Ohne sie wird niemand groß, die «Arbeitskräfte» kommen nicht aus dem Nichts. Mit der Diskussion um das Grundeinkommen ist diese Arbeit vermehrt in den Blick geraten, sichtbarer geworden, da ja – vereinfacht – auch Hausfrau oder Hausmann ein Grundeinkommen erhielten. Aber die möglichen Folgen sind umstritten.
Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung?
«Wir müssen Care-Arbeit auf andere Weise ermöglichen, als diejenigen Menschen, die sie erledigen, mit dem Existenzminimum abzuspeisen. Und genau das ist der Fall, wenn das Grundeinkommen als Ermöglichung von häuslicher Care-Arbeit betrachtet wird», sagt die Innovatorin Nadja Schnetzler aus Biel. «Die Sorge vieler Feministinnen ist, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen auch ein Rückschritt sein könnte, weil die Gefahr besteht, dass es als Quasilohn für häusliche Care-Arbeit angesehen wird. Frauen haben sich Gleichberechtigung und Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts hart erkämpft. Männer legen bis heute im Beruf einen viel größeren Wert auf Status und Einkommen, während es Frauen vor allem wichtig ist, dass sie etwas tun, was für sie und für andere sinnvoll ist. (…) Männer entscheiden sich aus diesem Grund wesentlich seltener als Frauen dafür, ihre Erwerbsarbeit aufzugeben oder zu reduzieren, wenn es zum Beispiel notwendig wird, für Kinder, die älter werdenden Eltern oder Schwiegereltern zu sorgen», so Nadja Schnetzler. «Frauen würden mehrheitlich das tun, was zu tun ist, und sich mit dem Grundeinkommen zufriedengeben, während Männer Status und Verdienst folgen. (…) Ein Grundeinkommen könnte zu einer Zweiklassengesellschaft führen, weil es das Dilemma nicht aufhebt, dass Menschen sich zwischen Geld, Karriere und öffentlichem Einfluss auf der einen und Sorgearbeit auf der anderen Seite zu entscheiden haben.»
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