Jeder Mann und jede Frau muss – wie Wunibald Müller betont – seine/ihre Prägung entdecken und zu dieser Prägung auch stehen. 31Besonders die katholische Kirche wird mit gleichgeschlechtlich geprägten Menschen in Zukunft anders umgehen müssen als bisher: vor allem dann, wenn es sich um Paare handelt, die wechselseitig Verantwortung übernehmen und folglich in einer durchaus eheähnlichen Beziehung leben.
Zurück zur Gewissensbildung: Ob jedes der oben genannten Bewertungskriterien in einer (gleich- oder gegengeschlechtlichen) Paarbeziehung erfüllt ist, wird nicht immer leicht zu beurteilen sein. Es kann da auch Irrtümer und Selbsttäuschungen geben. Sensibilität, selbstkritische Feinfühligkeit, gewissenhaftes Nachdenken sind also angesagt. Aber diese Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit sollten nicht umschlagen in übertriebene, in krank machende Ängstlichkeit.
Schließlich dürfen wir nicht vergessen: Zur Realität des Lebens und jeder Partnerbeziehung gehört auch die Möglichkeit des Versagens und des Schuldigwerdens. Aber auch in diesen Fällen wird es – bei gutem Willen aller Beteiligten – gangbare Wege geben, Wege zu einem neuen Beginn. Denn bei Gott ist Barmherzigkeit und reiche Erlösung (vgl. Ps 130,7)! Freilich sollten auch wir barmherzig sein. Paarbeziehungen – und überhaupt Beziehungen jeglicher Art – können nur gelingen, wenn wir bereit sind, einander von Herzen zu vergeben und immer wieder einen neuen Anfang zu wagen.
9. Zur eschatologischen Perspektive
So viel dürfte nun klar sein: Es geht mir in meinen Ausführungen nicht primär um die Kirchenkritik und schon gar nicht um einen ›Ausverkauf der Werte‹. Die Kirche ist ja keine politische Partei, die eine Wahl gewinnen will und deshalb ihre Angebote an aktuellen Umfragewerten orientiert. Vielmehr hat die Kirche von Christus her eine Sendung, einen Auftrag für das Heil der Welt – unabhängig von wechselnden Meinungen und wechselnden Mehrheiten unter den Menschen.
Ich bin ein katholischer und zugleich ein ökumenisch denkender Christ, dem die christlichen Kirchen in der Welt von heute sehr wichtig sind. Dabei geht es mir nicht um eine Anbiederung ans allgemeine Bewusstsein, nicht ums ›Moderne‹ um des Modernen willen, nicht um die wohlfeile Anpassung an den (üblicherweise negativ gewerteten) ›Zeitgeist‹. Nein, es geht um den befreienden Geist der Botschaft Jesu, um die Vertiefung und Verlebendigung des kirchlichen Eheverständnisses bzw. um eine realistischere, d. h. menschlichere Einstellung der kirchlichen Institutionen zur – ehelichen oder nichtehelichen – Partnerliebe.
Es geht mir, gerade im Blick auf ›heikle‹ Themen und ›heiße Eisen‹, ganz und gar nicht um Polemik, sondern um die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Geistesströmungen, um das Anschauen von offenen Fragen, um anthropologische Einsichten und theologische Argumente. Es geht mir vor allem um die Liebe, die größer ist als alles andere und die, wenn sie echt ist und in Gott ihren Ursprung hat, niemals aufhören wird (vgl. 1 Kor 13,1–8).
Und um es nochmals ganz klar zu sagen: Wenn im Folgenden sehr viel, ja deutlich überwiegend von der Liebe zwischen Mann und Frau die Rede ist (einfach auch deshalb, weil die Mehrzahl der Menschen heterosexuell geprägt ist), so ist dies nicht in einem ausgrenzenden Sinne gemeint. Es darf ja angenommen werden: Was ich über die Beziehung von Mann und Frau schreibe, ist zumindest teilweise übertragbar auch auf gleichgeschlechtliche Beziehungen.
Mein Thema, das ich im Folgenden entfalten werde, ist (weitgehend unabhängig von der jeweiligen sexuellen Prägung) die elementare Bedeutung der Geschlechterbeziehung im irdischen Dasein, sei es nun in der Ehe oder in einer anderen Lebensform. Mein Thema ist die tiefe, unendlich facettenreiche Liebe – ohne die das Leben nur schrecklich wäre. Und mein Thema ist zugleich die eschatologische Hoffnung: die Hoffnung, dass die gesamte Lebensgeschichte jedes einzelnen Menschen – einschließlich seiner echten Liebesbeziehungen – auch über den Tod hinaus eine Zukunft in der Ewigkeit Gottes hat.
Wie schon in früheren Büchern 32interessiert mich auch diesmal die Frage: Ist die Partnerbeziehung, die gewachsene und gereifte Liebe zwischen zwei Menschen, etwas nur Irdisches, mit dem Tode Abgeschlossenes und Beendetes? Oder könnte es ein ›Danach‹ geben, eine jenseitige Erfüllung, eine von Gott geschenkte Vollendung auch der intimen Freundschaften und der Partnerbeziehungen?
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