Werbicks Option ist eindeutig, wenn sie auch eher nur indirekt aus seiner kritischen Stoßrichtung erschließbar ist: Er möchte, wie viele, etwa auch der Basler Bischof Kurt Koch, 276eher die Zulassungsbedingungen zum Priestertum verändern als umgekehrt die Basisrealität der Kirche dem aktuellen Priestermangel anpassen.
Werbicks Gründe für diese Option sind nachvollziehbar: Die Feier der Eucharistie müsse, so Werbick, weiterhin im Zentrum der kirchlichen Vergemeinschaftung stehen, die Eucharistie aber müsse konkret vor Ort realisierbar sein, und dazu brauche es eben, so der Priester der einzig legitime Vorsteher der Eucharistie bleibe, wovon Werbick ausgeht, genug geweihte Amtsträger. 277
Zudem wird deutlich, dass Werbick nicht nur Eucharistievorsitz und Priestertum koppelt, was ja nicht umstritten ist, sowie Eucharistieversammlung und Gemeindebildung, was ebenfalls weitgehend Konsens sein dürfte, wenn auch in der Realität schon durchaus nicht so selbstverständlich wie theologisch postuliert, sondern auch, umstrittener schon, Eucharistievorsitz, Gemeindeleitung und Seelsorge. „Mir scheint die seelsorgliche Prägung der Gemeindeleitung unaufgebbar“, so Werbick, weswegen „eine verantwortbare Gemeindegröße dadurch definiert“ wäre, „dass sie es dem Gemeindeleiter erlaubt, Seelsorger zu sein“ 278. Da scheint dann doch unübersehbar die alte Hirtenmetapher als strukturierendes Modell kirchlicher Basissozialformen durch: überschaubar, in einem zugleich eucharistisch, seelsorglich und irgendwie auch lebensweltlich homogen und dabei dann kommunial verdichtet.
Werbick stellt sich hier nun selbst den Einwand, ob dies nicht „doch ein recht priesterzentriertes Konzept“ sei,
das die haupt- und ehrenamtliche Mitarbeit von Laien in ihrer ekklesiologischen Bedeutung unterschätzt und sich zu sehr auf die Eucharistiefeier als Mittelpunkt von Sammlung und Sendung der Kirche vor Ort konzentriert? 279
Um dann und an die Kirchenleitungen zu plädieren, doch zuzugeben, dass die eigenen Planungen, die auf Vernetzung und überregionale Einheiten hinausliefen, Laien doch wieder nur als „ekklesiologische Ersatzleute“ betrachten. Werbick wirft den Kirchenleitungen also letztlich einen instrumentellen Umgang mit den Laien vor, was bisweilen, vielleicht sogar regelmäßig, zutreffen mag, aber den Vorwurf, sein Konzept sei priesterzentriert, nicht wirklich widerlegt.
Werbick bezweifelt im Übrigen nicht, dass die herkömmlichen Pfarrgemeinden „vielfach katholische Restmilieus“ darstellten, welche „sich schwer tun mit der Zugänglichkeit für die … ‚am Rande‘ “ 280, und er leugnet auch nicht, dass es einer spezifischeren „Profilierung der Gemeinden“ 281bedürfe. Aber seine Zielvorstellung läuft eben doch auf das berühmte „geschwisterliche Zusammenwirken von priesterlichen Amtsträgern, haupt-, neben- und ehrenamtlichen Laien in den Pfarrgemeinden“ 282hinaus und setzt, wie Werbick gleich zu Beginn schreibt, auf eine Seelsorge vor Ort, die unter anderem „durch eine Veränderung der Zugangsmöglichkeiten zum Weihesakrament“ 283weiterhin möglich sein sollte.
Was Ebertz wolle, das sei der Rückzug aus der Fläche, so Werbick. Warum er selbst in ihr bleiben will, wird eher in den Umrissen einer doch sehr herkömmlichen, priesterzentrierten Vorstellung der kirchlichen Basisstruktur deutlich – und vor allem im Druck auf die Veränderung der Zulassungsbedingungen zum Priestertum, den solch ein Festhalten ohne Zweifel ausübt.
3 Michael Ebertz’ Positionen
Was will nun aber Michael Ebertz? Sein Ausgangspunkt ist die soziale Realität entwickelter Gesellschaften. Klassische Pfarrgemeinden seien „Auslaufmodelle“ geworden, „an denen selbst die Lebensströme katholischer Kirchenmitglieder mehrheitlich vorbei fließen“ 284, insofern das Pfarrprinzip schlicht ungenügend geworden sei. 285Moderne Lebensverhältnisse hätten sich örtlich entbettet, der Übergang von lokalen zu nicht-lokal bestimmten Lebensformen sei schon lange im Gange. Kirchengemeinden seien daher „notorisch unterdifferenzierend“, „tendenziell communiofeindlich“, „mehr oder weniger geschlossene Gesellschaften“, in denen „Erfahrungsverdünnung“, und „Selbstrekrutierung“ 286herrsche.
Es sei „schon merkwürdig“, dass der „so offensichtlich negative Ausgang eines gewissermaßen historischen Experiments immer noch ignoriert“ würde und man einfach nicht wahrnehme, dass sich viele Menschen „schon längst nicht mehr in die pfarrheimlich verlängerten Wohnzimmer anderer begeben wollen“. Dies, weil sie sich dort „vereinsamt fühlen in der auf Frohsinn und Harmonie bedachten Pfarrcommunio“: zu „friedlich, höflich, friedhöflich“ 287sei es da.
Ebertz’ Argumentation changiert stilistisch zwischen soziologischer Exaktheit und essayistischer Polemik. Dass Wohnraum, lokaler, sozialer und kommunikativer Nahraum sowie politischer und kirchlicher Organisationsraum unwiderruflich auseinander getreten sind, während sie früher mehr oder weniger deckungsgleich waren, dass die entwickelte Gesellschaft strukturell Individualisierung erzwingt, dass Einschluss immer auch Ausschluss bedeutet, dass wir nichts mehr genießen und besser beherrschen, als unsere Spuren zu verwischen, all dies ist ebenso unbestreitbar wie im gemeindetheologischen Konzept wenig reflektiert. Vor allem: Es ist auch in der Kirche Realität geworden, eine in den konkreten pastoralen Handlungsstrategien vielfältig akzeptierte und berücksichtigte Wirklichkeit.
Ebertz polemisiert und argumentiert gegen „linke(.) wie rechte(.) Romantizismen“ 288, und das mit allem Recht. Was aber will er dagegensetzen? Ebertz empfiehlt, dem Luhmannschen Modell der funktionalen Differenzierung als Basisprinzip der modernen Gesellschaft zu folgen:
Es ginge darum, die Pfarreien in funktionale Knotenpunkte eines größeren und vielfältigen pastoralen Verbundsystems zur differenzierten ‚Sammlung‘ und ‚Sendung‘ für Gläubige und Glaubenwollende zu verwandeln, um deren Anknüpfungschancen zu erhöhen und ihrem komplexen Verhältnis von Territorialität und Mobilität Rechnung zu tragen. Dieses Verbundsystem hätte noch andere Knotenpunkte der Sammlung und der Sendung ,
wobei Ebertz dann auf diakonale oder kategorialpastorale Orte verweist. Es sei die Aufgabe dieser Knotenpunkte, „jeweils über sich hinaus- und gegenseitig aufeinander (zu) verweisen“ 289.
Ebertz setzt dabei eine Reihe von wichtigen und folgenreichen konzeptionellen Unterscheidungen „Ich setze … begrifflich und sachlich voraus“, so Ebertz,
dass nicht jede … Bestätigungs- und Plausibilitätsbasis … des Glaubens gleichzusetzen ist mit „Gemeinde“, „Gemeinde“ nicht gleichzusetzen ist mit „Ortsgemeinde“ und „Ortsgemeinde“ nicht identisch ist mit „Pfarrgemeinde“. 290
Ebertz verweist hier auf die diakonischen Orte, den Religionsunterricht und ähnliche nicht-gemeindliche pastorale Handlungsorte der Kirche. Es gelingt ihm so, die soziale Pluralität und damit die Gesamtheit kirchlichen Handelns in den Blick zu bekommen, eine gesamtpastorale Perspektive, die bei Werbick doch eher unterbelichtet bleibt, wie bei ihm generell die empirische Realität von Kirche hinter dem dogmatischen Diskurs (und den kirchenpolitischen Optionen) doch etwas verschwindet. Ebertz verweist immer wieder auf den „größere(n) pastorale(n) Verantwortungsraum mit einem breit gefächerten Panorama von Angeboten und Initiativen, die jeweils über sich hinaus- und gegenseitig aufeinander verweisen“ 291.
Er plädiert für Spezialisierung und Profilierung der Gemeinden und für eine sakramentale und diakonale Begründung der Identität christlicher Gemeinden, wie das II. Vatikanum sie konzipiert habe.
4 (Kirchen-)Politik und Pastoral(-theologie): Die Beobachtungen
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