Tendenzielle Aufhebung der Trennung von Pfarr- und Kategorialpastoral
Die alte Trennung von Pfarr- und Kategorialpastoral scheint immer weniger funktional zu sein für die Organisation pastoraler Prozesse. 263Sie separiert, was gerade in seiner Differenzierung sich wahrnehmen, kennen und bereichern müsste. Daher scheint eine differenzierte Struktur „dichter pastoraler Orte“ das Naheliegendste zu sein: ausstrahlungsstarke, erkennbare, niederschwellige Orte pastoraler Intensität, zu denen man kommen, zu denen man hin verwiesen werden, von denen man aber auch wieder gehen kann. Das einschlägige Stichwort heißt bekanntlich „Netzwerk“. 264Voraussetzung hierfür wäre natürlich das Ende jedes Sozialformegoismus.
Zuletzt aber bräuchte es eben dies: Vertrauen in das Volk Gottes und seinen kreativen Möglichkeitssinn.
KIRCHENPOLITIK UND PASTORALTHEOLOGISCHER DISKURS
Beiläufige Beobachtungen über ihren Zusammenhang am Beispiel einer Kontroverse zwischen M. N. Ebertz und J. Werbick
1 Das Problem
Jürgen Werbick und Michael N. Ebertz tauschten vor einiger Zeit die argumentativen Klingen zur viel diskutierten Frage nach der „Zukunft der Gemeinde“, beziehungsweise, ein wenig grundsätzlicher und eigentlich missverständlich formuliert, zur „Verörtlichung des Glaubens“. 265
Der Dogmatiker Werbick und der Soziologe und Pastoraltheologe Ebertz repräsentieren die beiden zentralen Referenzwissenschaften der Pastoraltheologie. Sie führen in ihrer kleinen, aber repräsentativen Debatte einen aktuellen, zudem ohne Zweifel relevanten pastoraltheologischen Diskurs von einigem Niveau. Die argumentativen Pfeile fliegen eindrucksvoll hinüber und herüber, allerdings aneinander vorbei: knapp sicherlich, aber eben unübersehbar. Diese Konstellation sich wechselseitig vielleicht noch berührender, kaum schneidender, vor allem aber nicht treffender Diskurse hat Gründe, die über den konkreten Kampfplatz und sein Thema hinausreichen.
Um diese Gründe, also um die Struktur der Auseinandersetzung und was sich an ihr ablesen lässt, soll es im Folgenden gehen. Denn in dieser Auseinandersetzung zeigt sich ein bislang kaum bearbeitetes Thema des theologischen, speziell des pastoraltheologischen Diskurses: seine eigene Situierung im Feld des Politischen, speziell der innerkirchlichen politischen Vektoren. Natürlich ist sich der pastoraltheologische Diskurs seiner eigenen politischen (Interventions-)Chancen und Risiken bewusst, 266doch eher selbstverständlich behandelt er seine eigenen politischen Strukturierungen, Abhängigkeiten und Bedingtheiten. Wiewohl der pastoraltheologische Diskurs als „Praxiswissenschaft“ zentral im Feld des (Kirchen-)Politischen situiert ist, gibt es (praktisch) keine „Kritische Theorie der Pastoraltheologie“. 267
An der vorliegenden und hier analysierten Diskussion zweier renommierter Theologen zu einem umstrittenen pastoraltheologischen Thema sollen diese politischen Strukturierungen, Abhängigkeiten und Bedingtheiten analysiert werden. Es kann vermutet werden, dass diese Auseinandersetzung geradezu paradigmatische Qualität für die pastoraltheologische Diskussion, zumindest jene zum Bereich der Kirchenbildung, besitzt.
Worum geht es inhaltlich? Schon das ist nicht so ganz klar und auf mindestens zwei Ebenen zu beantworten. Vordergründig geht es um die „Verörtlichung des Glaubens“, was aber auch schon nicht wirklich zutrifft, denn keiner der beiden Kontrahenten bestreitet die Notwendigkeit solcher „Verörtlichung“. Auch Ebertz betont, dass der Glaube auf „verörtlichte Begegnungen angewiesen ist“ und eben nicht „umgebettet werden“ könne „in ortlose Beziehungen etwa des neuen sozialen Raums der elektronischen Medien“ 268.
Mit seinem Plädoyer für eine „Verörtlichung des Glaubens“ trifft Werbick Ebertz also nicht wirklich, schon hier läuft etwas aneinander vorbei: Ebertz’ Gemeindekritik meint eben kein Plädoyer für rein virtuelle kirchliche Räume oder „Zwischenräume“, wie es anderswo 269bei ihm heißt. Man wird also trotz der vom Herausgeber der Zeitschrift geschickt inszenierten Blattdramaturgie unterscheiden müssen, worum es Ebertz und worum es Werbick geht. Das „Verörtlichungs“- oder „Was wird aus der Gemeinde?“-Thema scheint eher das Forum, der Ort, der Spielraum, auf dem und mit dem andere Themen ausgetragen werden: soweit eine erste Beobachtung. Aber welche Themen? Wie und warum?
2 Jürgen Werbicks Positionen
Worum es Jürgen Werbick geht, das wird gleich zu Beginn seiner Ausführungen und ganz besonders in seiner Replik auf Ebertz deutlich. Es formuliert sich speziell in dem, was er fürchtet: Werbick fürchtet, dass unter der Decke einer Communio-Ekklesiologie – der Terminus kommt bei Ebertz allerdings genau besehen gar nicht vor – und mit Hilfe des Netzwerk-Gedankens, also auf der Basis der Auflösung der traditionellen Pfarrei- und Gemeindestrukturen 270, „eine amtszentrierte (bzw. priesterzentrierte) Vollmachtsverteilung aufrecht“ erhalten wird, „die beim derzeitigen ‚Priestermangel‘ dazu führen muss, dass die Netze reißen und die Gemeindemitglieder wie die überlasteten Amtsträger sich allein gelassen fühlen“ 271, wie es in der Replik heißt. Werbick fürchtet also, wie es zu Beginn geheißen hatte, dass all die neuen gemeindetheologischen Überlegungen, jene von Ebertz, aber auch anderer, dazu dienen, „die Frage der Ämter und Aufgaben in der Kirche (zu) umschiffen“ 272.
Werbicks Argumentation ist also primär amtstheologisch und kirchenpolitisch motiviert. Werbick graut es vor einem amtstheologisch begründeten „Zelebrationstourismus“ 273und er befürchtet, sicher nicht ohne Grund, den ideologischen Umgang mit den Laien, die als „ekklesiologische Ersatzleute“ instrumentalisiert würden, „wenn die priesterliche ‚erste Garnitur‘ nicht mehr zur Verfügung steht“ 274. Mit anderen Worten: Werbick wittert hinter allen Modellen, die „Vernetzung“, großflächige Seelsorgeräume oder überhaupt die bischöfliche Diözesankirche favorisieren, als Motivation wie Resultat das zähe Festhalten an der alten klerikalen Zwei-Stände-Kirche, wie sie vorkonziliar tatsächlich Konzept und Realität war und nachkonziliar in der Praxis durchaus noch nicht überwunden ist. Wer könnte in dieser Intention Werbick widersprechen?
Am Schluss seiner Replik fragt Werbick dann auch unmissverständlich die Entscheidungsträger der Kirche, also die Hierarchie, ultimativ und alternativ:
Bejaht sie den „Ersatz“ der priesterlichen Gemeindeleitung durch Laien-Ämter und den weitgehenden „Ersatz“ der Eucharistiefeier vor Ort durch andere liturgische Formen wie auch deren sakramentalen Charakter, oder betrachtet sie dies alles als Notfall – zu dem man freilich selbst entscheidend beigetragen hat, weil man gemeindeleitenden Charismen den Weg zum priesterlichen Amt versperrt – und sucht sie nach Wegen, die diesem Notfall abhelfen könnten? Tertium non datur – es sei denn, man hält die Verörtlichung des Glaubens in Zeiten einer umfassenden Virtualisierung für weitgehend entbehrlich. 275
Es geht Werbick also um das, was man „Gemeindeleitungsdilemma“ nennen könnte, also um die unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht auflösbare Entscheidungslage, entweder die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt unverändert zu lassen, dann aber auf Grund des eklatanten Priestermangels die sakramentale, vor allem eucharistische „Versorgung“ des Volkes Gottes zu gefährden, zudem die Priesterrolle immer ausschließlicher auf Sakramentenspendung zu reduzieren und de facto den Umbau der gewohnten priesterlichen Rolle zu akzeptieren, insofern immer deutlicher gemeindeleitende Funktionen, offen oder unter der Hand, an Laien abwandern, oder aber die Zulassungsbedingungen zum Priestertum zu ändern, was mit einiger großer Wahrscheinlichkeit die Priesterzahlen wieder steigern und es wohl ermöglichen würde, die gegenwärtige pastorale Struktur aufrecht zu erhalten.
Читать дальше