Verantwortung übernehmen wird oft verstanden als «antworten können», «legitime Erwartungen erfüllen» oder «die Einheit von Handlung und Haftung sicherstellen». Wir wählen mit unseren Denkmustern einen etwas anderen Zugang, indem wir den reflektierenden Praktikern einen normativen Rahmen bereitstellen.
Verantwortungsvolles Führen zeigt sich für uns darin, dass eine Führungskraft die Denkmuster beachtet und ganz im Sinne praktischer Weisheit und mit gesundem Menschenverstand in der Praxis zur Anwendung bringt.
Unsere Arbeitshypothese lautet, dass sie in ihrer Führungspraxis bessere Resultate für sich und andere erzielen, wenn sie mit den Denkmustern operieren und ihre Aufmerksamkeit damit lenken.
Fünf Denkmuster charakterisieren verantwortungsvolle Führung:
— Die optimale Vereinfachung von Komplexität
— Die Perspektive der russischen Puppen
— Die Einheit von Freiheit und Verantwortung
— Im Zentrum der Mensch
— Die ganzheitliche Erfolgsmessung
Denkmuster 1: Die optimale Vereinfachung von Komplexität
Komplexität erkennen, abbilden und bewältigen – diese drei Phasen durchlaufen reflektierende Praktiker, wenn sie mit schwierigen Problemstellungen konfrontiert sind. Dabei müssen sie folgende Fragen beantworten:
— Ist das Problem tatsächlich komplex?
— Lassen sich in der Komplexität Muster erkennen, und welches ist die optimale Vereinfachung der Problemsituation?
— Wie können die eigenen Optionen der Problembewältigung erweitert werden?
Ausgangspunkt ist die Unterscheidung von einfachen, komplizierten und komplexen Problemen. Einfache Probleme sind durch eine geringe Anzahl von Einflussgrößen und Beziehungen charakterisiert, sie lassen sich analytisch lösen. Der Großteil der täglichen [22] Führungsaktivitäten fällt in diesen Bereich. Bei komplizierten Problemen steigt die Zahl der Einflussgrößen und der Beziehungen an. Die Art der Verknüpfung bleibt aber über die Zeit unverändert. Logistische Probleme gehören beispielsweise in diese Kategorie, mit der notwendigen Ausdauer findet sich letztlich eine optimale Lösung. Bei komplexen Problemen ändern sich im Zeitablauf nicht nur die Einflussgrößen und Beziehungen, sondern auch das Verknüpfungsmuster ist dynamisch. Die Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft gehört in diese Kategorie, genauso wie Wertschöpfungsprozesse von Unternehmen, bei welchen die Grenzen zwischen Lieferanten, Unternehmen und Kunden neu gezogen oder gar erfunden werden müssen.
Die Unterscheidung von komplizierten und komplexen Problemen ist nicht nur ein Sprachspiel, sondern Voraussetzung für einen kompetenten Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit.
Diese Zusammenhänge sind in Abb. 1.4 Abbildung 1.4 Einfache, komplizierte und komplexe Probleme Je nachdem, ob ein Problem als kompliziert oder als komplex identifiziert wird, kommen unterschiedliche Denkweisen und Methoden zum Zug. Als verhängnisvoll erweist es sich [23] im Unternehmensalltag, wenn komplexe Probleme mit dem für komplizierte Probleme vorgesehenen Instrumentarium angegangen werden, sei es aus mangelndem Verständnis für Komplexität oder aus sturem Festhalten an gewohnten Methoden. Dass hiervon auch die akademische Welt nicht verschont bleibt, sei nur am Rande erwähnt. Eine exakte Identifikation und Akzeptanz von Komplexität ist aber für das weitere Vorgehen unerlässlich. Wenn sich komplexe Problemsituationen als Folge der dynamischen Entwicklung der Teile und ihrer Verknüpfungen nicht vollständig erfassen lassen, stellt sich natürlich die Frage, wie man sich überhaupt ein Bild machen kann. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass eine reduktionistische Betrachtungsweise – indem man das Ganze in seine Teile zerlegt und diese analysiert – nicht funktionieren kann, denn es gilt: «Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile.» Oder noch konkreter, das Ganze ist «etwas anderes» als die Summe der Teile. Das gilt auch im Zeitalter des «Big Data». Mehr und detailliertere Daten zu den einzelnen Teilen führen nicht zwangsläufig zu einem besseren Verständnis des Ganzen. Oder um es noch deutlicher auszudrücken, wir erleben heute mit «Big Data» oft einen Rückfall in das überwunden geglaubte reduktionistische Denken: «Der Glaube, dass komplexe Systeme verstanden werden können, indem man sie in ihre Teile zerlegt, deren Daten erfasst und diese isoliert studiert» (BRIDLE, 84). Dies führt dazu, dass unter Zeitdruck stehende Führungskräfte Komplexität nicht mehr durch eigene Denkleistung erfassen, sondern diese Aufgabe an Automaten delegieren. Und diese schaffen wiederum zusätzliche Komplexität, womit eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Mehr denn je ist deshalb eigenes vernetztes Denken gefordert, wie in Kapitel 4 ausführlich zu zeigen sein wird.
festgehalten.
Abbildung 1.4 Einfache, komplizierte und komplexe Probleme
Je nachdem, ob ein Problem als kompliziert oder als komplex identifiziert wird, kommen unterschiedliche Denkweisen und Methoden zum Zug. Als verhängnisvoll erweist es sich [23] im Unternehmensalltag, wenn komplexe Probleme mit dem für komplizierte Probleme vorgesehenen Instrumentarium angegangen werden, sei es aus mangelndem Verständnis für Komplexität oder aus sturem Festhalten an gewohnten Methoden. Dass hiervon auch die akademische Welt nicht verschont bleibt, sei nur am Rande erwähnt. Eine exakte Identifikation und Akzeptanz von Komplexität ist aber für das weitere Vorgehen unerlässlich.
Wenn sich komplexe Problemsituationen als Folge der dynamischen Entwicklung der Teile und ihrer Verknüpfungen nicht vollständig erfassen lassen, stellt sich natürlich die Frage, wie man sich überhaupt ein Bild machen kann. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass eine reduktionistische Betrachtungsweise – indem man das Ganze in seine Teile zerlegt und diese analysiert – nicht funktionieren kann, denn es gilt: «Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile.» Oder noch konkreter, das Ganze ist «etwas anderes» als die Summe der Teile.
Das gilt auch im Zeitalter des «Big Data». Mehr und detailliertere Daten zu den einzelnen Teilen führen nicht zwangsläufig zu einem besseren Verständnis des Ganzen. Oder um es noch deutlicher auszudrücken, wir erleben heute mit «Big Data» oft einen Rückfall in das überwunden geglaubte reduktionistische Denken: «Der Glaube, dass komplexe Systeme verstanden werden können, indem man sie in ihre Teile zerlegt, deren Daten erfasst und diese isoliert studiert» (BRIDLE, 84). Dies führt dazu, dass unter Zeitdruck stehende Führungskräfte Komplexität nicht mehr durch eigene Denkleistung erfassen, sondern diese Aufgabe an Automaten delegieren. Und diese schaffen wiederum zusätzliche Komplexität, womit eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Mehr denn je ist deshalb eigenes vernetztes Denken gefordert, wie in Kapitel 4
ausführlich zu zeigen sein wird.
«Big Data» birgt die Gefahr des reduktionistischen Denkens und der Ablösung der eigenen geistigen Kreativität durch Automaten.
Das Verhalten von komplexen Situationen und Systemen lässt sich grundsätzlich nicht prognostizieren. Führungskräfte müssen sich somit in einer Welt zurechtfinden, die außer ihrer Geschichte wenig Anhaltspunkte für ein künftiges Handeln bereithält. Und gerade die Geschichte erweist sich oft als schlechte Ratgeberin. Technologien lassen sich recht gut voraussehen, sie sind meist dem Bereich des Komplizierten zuzuordnen. Anwendungsmöglichkeiten sind aber immer wieder überraschend, weil sie sich eben aus der Komplexität ergeben.
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