Die Jungen wurden verschenkt, bis auf eines. Es fand sich niemand. Also blieb der kleine Kater bei uns. Ich nannte ihn Conny. Ein Typ, den ich toll fand, hieß so. Mein Conny war der ideale Kinderkater. Er ließ alles mit sich machen, war unser Spielgefährte, eine lebendige Puppe. Wir zogen ihm Puppenkleider an, fuhren ihn im Puppenwagen spazieren und lehrten ihn, auf zwei Beinen zu tanzen. Teddy war für uns abgemeldet. Um sie kümmerte sich zum Glück die Mutti.
Unser Haus, das ich mit seinen zweieinhalb Stockwerken fast für ein Hochhaus hielt, hatte ein begehbares Dach. Dort wurde die Wäsche aufgehängt, dort sonnten wir uns und beobachteten die Sterne für den Astronomie-Unterricht.
Teddy trieb sich ebenfalls oft auf dem Dach herum, manchmal kam sie uns dann auf der Straße entgegen. Irgendwann muss auch Conny versucht haben, vom Dach zu springen. Bei ihm ging es schief, er brach sich das Genick.
Mein süßer kleiner Spielgefährte, er hatte keine sieben Leben, nur ein einziges kurzes, kleines. Er hatte noch nicht gelernt, zu fallen. Lange Zeit war ich untröstlich.
Auf dem Dach: Elke und ich, 1959
Wie fast alle Mädchen meiner Klasse war auch ich in unseren Sport-, Chemie- und Physiklehrer Herrn Heckler verliebt. Der Grund war simpel: Hatten wir unser Pensum absolviert, setzte er sich auf den Tisch, schnappte seine Gitarre und sang Lieder wie: »Rote Lippen soll man küssen« oder »Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand«. Wir schmolzen dahin. Nicht nur ich kaufte mir eine Gitarre. Fünf Griffe – und mitgemacht! Unterrichtete unser Lieblingslehrer eine andere Klasse, hingen wir am Schlüsselloch, um ihn zu sehen.
Das erste Verliebtsein erlebte ich also gemeinsam mit zehn anderen Mädels. Dass wir so viele waren, störte nicht, im Gegenteil: Das schweißte zusammen!
Natürlich ging auch ich in den Leichtathletik-Kurs, den er leitete. Ich war anfangs total unsportlich, rannte im Sportunterricht gegen den Bock und dergleichen mehr. Aber doch nicht, wenn Lehrer Heckler dort stand! Diese Blamage! Das Wunder geschah, ich hatte Freude am Sport und feierte Erfolge.
Manchmal, wenn ich abends vom Leichtathletik-Training nach Hause kam und alle schon schliefen, dachte ich nicht daran, mir die dreckigen Füße zu waschen. Immerhin zog ich Socken über meine schwarzen Füße, um das Laken nicht schmutzig zu machen. Ich bin eben ein Fuchs …
Physik und Chemie waren, genau wie Mathe, nicht so mein Ding, aber ich konnte mich doch nicht vor ihm blamieren! Außerdem wollte ich nicht schuld daran sein, wenn am Ende der Stunde keine Zeit mehr blieb, dass er Gitarre spielte.
Ich war keine Leuchte, aber ich setzte mich auf den Hosenboden. Irgendwann war es dennoch mit dem Musizieren vorbei, der Direktor hatte es verboten.
Zu unser aller Entsetzen teilte uns unser Schwarm eines Tages mit, dass er heiraten wird. Wie konnte er nur! Wir sammelten und kauften einen Blumenstrauß. Gemeinsam gingen wir zu seiner Wohnung, legten den Strauß vor die Tür, klingelten und liefen davon. Ganz langsam. So holte er uns ein, nahm uns mit zurück und versorgte uns mit Kuchen.
Heute weiß ich, dass dieser Lehrer frisch vom Studium gekommen war. Ein totaler Gegensatz zu den Kriegsheimkehrern, außerdem war er nur acht Jahre älter als wir. Ein großartiger Lehrer! Wir lernten nicht fürs Leben, sondern für ihn. Seine Mittel heiligten den Zweck.
Als ich vierzig Jahre später endlich einmal zum Klassentreffen kam, fragte ich ihn, ob er wusste, dass wir alle in ihn verliebt gewesen waren. Seine Antwort: »Natürlich.«
Eine Klassenfahrt führte uns nach Berlin, zu den Hochhäusern in der Stalinallee. Wir waren tief beeindruckt von dieser großen, modernen Stadt. Das Hochhaus an der Weberwiese war das Ereignis für uns. In Vorbereitung auf die Fahrt nach Berlin hatten wir im Schulchor »Die Spatzen vom Alex« gesungen. Es handelt von ebendiesem Hochhaus und lief in unserem Liederbuch unter »Pionierlieder«:
»Es wächst in Berlin, in Berlin an der Spree
ein Riese aus Stein in der Stalinallee.
Es ist ja kein Luftschloss, das kann es nicht sein
und wächst doch bis hoch in den Himmel hinein.«
Der Text stammt von Erika Engel, die Musik von Emil Poletzky. Ich kann alle vier Strophen dieses Liedes noch heute singen. Und nun waren wir hier, im großen Berlin und bestaunten die hohen Häuser, vor allem natürlich das von uns besungene, welches bis in den Himmel ragte. Na ja, ich fand ja schon mein zweistöckiges Wohnhaus sehr hoch. Morgens um 7.00 Uhr klingelten wir beglückt an den Gegensprechanlagen der Häuser. So eine tolle, moderne Erfindung! Doofe Berliner, keiner antwortete uns …
Elke und ich waren selbstverständlich im Schulchor. Wir sangen sogar Solo, also im Duett, zweistimmig: »Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer …«
Außerdem mischte ich im Spielkreis der Jungen Gemeinde mit. An die Stücke, die wir spielten, kann ich mich nicht mehr entsinnen. Es waren auf jeden Fall nicht nur Krippenspiele. Wir gingen sogar auf »Tournee« in benachbarte Gemeinden. Ich spielte in einem Stück eine junge Braut, mein Mann hieß außerhalb der Bühne Peter.
Ich bewunderte ihn. Peter ging schon auf die Oberschule und war so ein lässiger Typ. Ich hätte mich in ihn verlieben können, aber ich wusste, er hatte eine Freundin, die ihn manchmal abholte. Eine, die schon einen Busen hatte. Keine Chance.
Viele Jahre später traf ich ihn im Casino des Fernsehfunks in Adlershof. Peter war unterdessen ein bekannter Grafiker und Karikaturist. Für eine meiner »Tele-Lotto«-Sendungen hatte er die Karikaturen gezeichnet. Wir tranken Kaffee, erzählten von damals. Als ich ihm anvertraute, dass ich mächtig in ihn verliebt gewesen war, er aber gar nichts davon bemerkt hatte, meinte er nur: »Können wir das nicht nachholen?« Witzig war er früher schon.
Ich war in der FDJ und im Gruppenrat unserer Klasse für die Kultur zuständig. Für Radio Schwerin arbeitete ich als Schülerkorrespondentin, später auch als Sprecherkind.
Mein »Chef« dort, Horst-Dieter Hofmann, war Leiter des Arbeitertheaters »Kolonne Links«. Was lag also näher, als dass ich auch dort mitspielte!
Ich glaube, es war 1957, als ich in der 7. Klasse eine zweite Schwester bekam. Erika, eine meiner Freundinnen, fehlte eines Tages in der Schule. Auf meine Frage hin erfuhr ich, dass ihre Mutti verstorben ist. Mit drei anderen Mädels ging ich nach Schulschluss zu ihr. Ihr Opa öffnete uns und wir versuchten, Erika irgendwie zu trösten.
Zu Hause belagerte ich meine Mutti. Ich erzählte, was passiert war, und forderte: »Mutti, Erika kommt in ein Heim, das geht doch nicht. Dann ist sie weg, sie ist doch meine beste Freundin. Bitte, lass sie bei uns wohnen, bitte, bitte!«
Erika zog bei uns ein, und für mich begann eine unvorstellbare Zeit. Mutti schlief jetzt unten, im Wohnzimmer, Elke zog in die kleine Kammer, das Schlafzimmer gehörte fortan Erika und mir. Wir machten alles, wirklich alles, gemeinsam. Natürlich saßen wir in der Klasse nebeneinander. Das allerdings fand irgendwann sein Ende. Man setzte uns auseinander, weil wir auch in der Schulstunde nicht aufhörten zu quatschen.
Verrückt war, dass Erika und ich eigentlich völlig unterschiedliche Interessen hatten. Erika war sportlich, spielte Hockey, war ein Mathe-Ass. Besonders Letzteres war ja bei mir so gar nicht der Fall, aber was soll’s. Schwestern teilen nun mal alles. Erika und ich lebten das Leben von Zwillingen, keine war mehr ohne die andere anzutreffen. Wir benutzten nur eine Schultasche, die wir abwechselnd trugen. Sooft es ging, erledigte Erika meine Mathe-Aufgaben. Ich schrieb dafür ihre Aufsätze.
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