Schließlich kam der große Tag der Konfirmation: Ich in einem schwarzen Taftkleid, meine Locken gebändigt im Pferdeschwanz, im Dom von Schwerin. Alle Familienangehörigen waren da, die Orgel spielte, es war sehr feierlich.
Meine Konfirmation, in schwarzem Taft und mit Pferdeschwanz
Religionsunterricht und Christenlehre gehörten damit der Vergangenheit an. Deutsch, Geschichte, und Staatsbürgerkunde waren Fächer, in denen ich meiner Phantasie freien Lauf lassen konnte. Unser Klassenlehrer Herr Klosa, genau wie Herr Hoffmann ein älterer Herr, unterrichtete uns darin. Er forderte und förderte mich. Meine Aufsätze musste ich immer vor versammelter Mannschaft vorlesen, besonders in Staatsbürgerkunde erfand ich die tollsten Geschichten.
Diese erfundenen Storys habe ich leider allesamt vergessen. Ich weiß aber noch, dass ich zu aller Erheiterung Berichte vom letzten Ernteeinsatz schrieb, vom Kartoffelkäfersammeln oder vom Rübenverziehen. Darin vermeldete ich, dass Rosi sich vor den Käfern ekelte und wir das nutzten, um sie in die Flucht zu schlagen. Wer am meisten Kartoffelkäfer gesammelt hatte, war der Käferkönig und wurde gekrönt und überraschend getauft, indem er einen Topf Wasser über den Kopf gegossen bekam.
Wer beim Kartoffeleinsatz die meisten Körbe am Lkw ablieferte, durfte auf dem Lkw mitfahren. Letztlich fuhren fast alle mit. Unvergessen die Fahrten auf dem Pferdewagen, einer von uns durfte die Zügel halten. Der größte Anreiz war aber, dass wir am Abend auf dem Ackergaul reiten durften.
Ich malte alle Pannen, aber auch die erstaunlichen Begebenheiten in den buntesten Farben, und unter Lachen erkannten sich die jeweiligen Akteure wieder. Wenn ich die Figuren beschrieb, die wir, mich inbegriffen, auf dem dicken Gaul abgaben, erklang beim Vorlesen jeweils großes Gelächter.
Wunderschön waren die Abschlussabende am Lagerfeuer, mit Kartoffeln am Stock und Würstchen. Erzähle ich heute, dass wir im Ernteeinsatz waren, sagen die Leute oft entrüstet: »Ihr musstet bei der Ernte helfen? Das darf ja wohl nicht wahr sein!« Aber wir Zeitzeugen sind ja noch da, um kundzutun, wie viel Spaß wir bei dieser »Arbeit« hatten.
Mit der Unterstützung von Herrn Klosa schrieb ich auch Sketche, die dann unter meiner Regie einstudiert und von Mitschülern aufgeführt wurden. Darin ging es um den Schulalltag, um Freundschaften, ums Verliebtsein …
Meine Mutti setzte sich jedes Mal an die Schreibmaschine und tippte etliche Durchschläge für die Darsteller. Ich fand neulich einige dieser Manuskripte … o nein, wie grausig!
Letztes Jahr allerdings, beim Klassentreffen in Schwerin, erzählten Mitschüler von genau diesen Aufführungen und wie viel Spaß es ihnen gemacht hatte, meine Sketche zu spielen. Eine Klassenkameradin sagte sogar, dass sie sich damals von mir ein Autogramm geben ließ. Für den Fall, dass ich mal berühmt werde.
Anfang der achtziger Jahre war ich mit meinem Kinderprogramm in Schwerin. Wir traten im Alten Garten auf den Museumstreppen auf. Die halbe Klasse – alle, die noch in Schwerin lebten, saßen im Publikum. Eine mir unbekannte Frau ließ mich wissen: »Robert kommt auch gleich.«
Ich lächelte, ohne die geringste Ahnung, wer sie oder Robert waren. Dann stand er vor mir, ihr Mann Robert. Herr Klosa war es, der mich an jenem Tag mit großer Freude agieren sah. Ich umarmte ihn anschließend und bestätigte ihm, dass er einen großen Anteil an meinem Tun hat. Spielte ich in Schwerin, veranstaltete er fortan ein kleines Klassentreffen in seiner Wohnung.
Wenn Mutti nicht gerade einen meiner Sketche abtippte, arbeitete sie als Tbc- und Krebs-Fürsorgerin. Sie fuhr auf die Dörfer, setzte Spritzen und kümmerte sich um die Angelegenheiten der Kranken. Manchmal erzählte sie, dass es in einigen Haushalten so viele Kinder gibt. Da war zum Beispiel eine Familie mit sage und schreibe acht Kindern! Auf meine Frage hin, warum das gerade in den Dörfern so sei, meinte sie nur: »Da ist ja sonst nichts, kein Kino, kein Theater, manche haben nicht mal ein Radio – was sollen sie denn anderes machen?«
Mutti erlebte noch während ihrer Tätigkeit, dass in der DDR der Kampf gegen die Tuberkulose siegreich endete. Es blieben ihr die Krebspatienten.
Ich hatte nie auch nur im Geringsten das Gefühl, dass wir arm sind. Wenn die Klasse am Wandertag eine Radtour unternahm, war ich nicht die Einzige, die zu Hause blieb. Die Hälfte der Klasse besaß kein Fahrrad. Ich und einige andere konnten ja nicht mal fahren! Wir trafen uns zum Spielen oder gingen baden. Auf jeden Fall unternahmen wir gemeinsam etwas.
Mir fehlte es an nichts. Gut, ich fand es ja auch völlig normal, dass beim Essen, wenn es zum Beispiel Königsberger Klopse gab, die Mutti einen Klops nahm und Elke und ich je zwei bekamen. Was ich wirklich schätzte: dass wir zu Hause sehr wenig helfen mussten. In meiner Klasse gab es ein Mädchen, das musste daheim den ganzen Haushalt schmeißen. Wir halfen ihr manchmal dabei. Einmal fiel mir beim Abwaschen ein Teller runter. Sie bekam dafür von ihrer Mutter eine Ohrfeige. In diesem Moment begann ich Muttis Handlungen, die ich bis dahin immer als selbstverständlich angesehen hatte, zu schätzen.
Mutti in jenen Tagen
Wie unbeschwert ich alles mitnahm! Wir spielten sehr viel auf der Straße, eigentlich ständig. Besonders beliebt war Völkerball. Das funktionierte, weil so gut wie nie ein Auto vorbeifuhr. Auch Gummihopse spielten wir und Kreiseln. Letzteres mit einem kleinen Kreisel aus Holz, den wir mit einer Peitsche antrieben. Wir rollten den Kreisel in das Peitschenband ein, entrollten dieses mit Schwung und peitschten, dass er lustig tanzte. Das waren Freuden! Auch das Murmeln war beliebt, besonders bei demjenigen, der am Ende die meisten Glasbugger sein Eigen nannte. Das waren echte Besitztümer! Unser Springseil war ständig dabei, und wir hatten alle diese kunstvollen Figuren drauf.
Da wir um die Ecke vom Schweriner Schloss wohnten, ging es mit Puppenwagen, Kind und Kegel unter das Schloss, in die Katakomben. Dort hatten wir unsere vielen »Zimmer« und konnten herrlich Vater, Mutter, Kind spielen.
Um das Fahrradfahren zu üben, fuhr ich einmal zusammen mit einer Freundin nach Zippendorf. Auf dem Weg dorthin hielt meine Freundin im Wald ihr Rad fest. Ich stieg auf, die Pedale bewegten sich – ich fuhr, allerdings nur mit Festhalten. Da riefen ein paar Jungens durch den Wald: »Guckt mal, die lernt fahren!«, und alle lachten mich aus. Das war es dann für lange Zeit mit dem Radfahrenlernen …
Aber schwimmen konnte ich, dazu brauchte man schließlich nur sich selbst. In Zippendorf befand sich das Schweriner Strandbad. Auch die Seen um Schwerin und, wenngleich es verboten war, selbst der Schlossteich waren unser! Für Wasserratten wie mich war Schwerin ideal.
Unsere Nachbarin Frau Geik hatte ein Radio, das Westsender empfangen konnte. Wir Kinder durften manchmal bei ihr Kalle Blomquist – Meisterdetektiv hören. Die Erkennungsmelodie habe ich noch heute im Ohr. Das war wirklich nett, obwohl die Nachbarin ansonsten nicht nett war. Sie mochte keine Katzen! Wir hatten eine …
Sie war schwarz, mit weißem Medaillon. Ich taufte sie Teddy. Als sie Junge bekam, war mein Glück vollkommen. Wir schauten bei der Geburt zu, unvergessen! Dann zu sehen, wie die Katzenmutter ihre Kinder erzog, war ein unbeschreiblich schönes Erlebnis. Ein Sonnenstrahl fällt auf den Teppich – sofort werden alle Kätzchen von der Mama dorthin getragen. Unermüdlich griff sich Teddy die flüchtenden Kleinen. Sie packte sie am Genick und brachte sie auf den Sonnenstrahlfleck zurück. Manchmal langte es ihr, dann ging es: batsch, batsch, schon hatten die Kleinen ein paar Ohrfeigen sitzen. Ein Kätzchen wehrte sich. Es fauchte die Mama an. Das strengte das Kleine derart an, dass es schließlich umfiel.
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