Damit wären wir zurück beim Klubhaus. Golfer gehören von Natur aus zu den neugierigsten Geschöpfen Gottes. Man sieht dies schon daran, dass Golfer auch beim zufälligen Vorbeigehen stets den Bällen hinterher blicken, die andere Golfer schlagen. Noch neugieriger sind sie, wenn es um die neusten Geschichten geht, um Klatsch und Tratsch und Gerüchte.
Das Klubhaus ist der Dorfplatz der Neuzeit. Darum sitzen manche Golfer auch Stunden nach ihrer Runde noch immer wie angewurzelt da. Wenn der Platz längst dunkel ist, ist das Klubhaus immer noch hell erleuchtet. Stimmengewirr und Zigarrenrauch hängen in der Luft. Alle erzählen Geschichten. Jeder weiß eine Geschichte. Alle haben ein Glas in der Hand.
Und keiner trinkt San Pellegrino.
Erst vier Stunden an der frischen Luft, dann gutgelaunt beisammen – dann, ja dann.
Christine, eine Golfkollegin, ist derzeit gut drauf. Sie hat einen Neuen. Sie fand ihn auf dem Platz.
Die Geschichte lief ab, wie solche Geschichten eben ablaufen. Die beiden spielten zufällig eine Runde zusammen, fanden sich sympathisch, spielten nach einigen Tagen eine zweite Runde, fanden sich noch sympathischer, tranken ein paar Gläser im Klubhaus, fanden sich nun extrem sympathisch und endeten schließlich dort, wo Erwachsene enden, wenn sie sich nach ein paar Gläsern extrem sympathisch finden.
Damit wir uns richtig verstehen: Christine wie ihr Neuer waren zuvor durchaus glücklich und treu in ihrer festen Beziehung.
Erfahrene Akteure in unserem Milieu kennen das: Der Golfplatz ist nicht nur ein beliebter Spielplatz. Der Golfplatz ist auch ein beliebter Balzplatz.
Man sieht das schon daran, dass es in keiner anderen Sportart so viele Dating-Sites gibt. Die heißen dann singlegolfclub.net, golfkontakte.deund golfersdates.com. Es gibt Dutzende dieser Kontakt-Seiten im Internet, die dem balzenden Golfer den Annäherungsschlag und das Einlochen leichter machen.
In anderen Sportarten gibt es das nicht. Ich habe im Netz zum Beispiel vergeblich eine Kontaktseite für Hammerwerfer und Hammerwerferinnen gesucht. Auch für Dressurreiter und Dressurreiterinnen gibt es das nicht.
Nur, ist das verwunderlich? Ist es verwunderlich, dass der Golfer und die Golferin auf dem Fachgebiet des zwischenmenschlichen Körperkontakts besonders talentiert sind? Nein. Erst sind Golfer und Golferinnen zusammen vier Stunden an der frischen Luft unterwegs, was mannigfaltig die Sinne belebt. Dann sitzen sie bei gedämpftem Licht und bei einem schönen Wein ähnlich lang und ebenso fröhlich im Klubhaus zusammen. Dann schließt das Klubhaus. Dann wissen sie nicht, wohin.
Dann passiert, was Christine und ihrem Neuen passierte. Sie enden dort, wo Erwachsene enden.
Der Golfer steht von seinem Naturell her nicht für Werte wie Beharrlichkeit und Treue. Er steht eher für Werte wie Neugierde und Flatterhaftigkeit.
Wenn in seiner näheren Umgebung eine neue Golfanlage eröffnet wird, dann juckt es den Golfer sofort in den Fingern. Er gibt erst Ruhe, wenn die Neue erobert ist. Genauso rutscht der Golfer nervös auf dem Stuhl herum, wenn er davon hört, dass auf Kreta oder auf Mauritius eine tolle, neue Golf-Destination entstanden ist. Er scheut keinen Aufwand, bis sie erobert ist.
Echte Golfer sind Eroberer. Besonders schön haben wir dies kürzlich bei einem Golf-Wochenende erlebt, zu dem uns eine Freundin begleitete. Auf der Runde und danach im Klubhaus bezirzte ein Golf-Gigolo sie aufs heftigste. Sie lächelte zurück. Am Schluss bot der Golf-Gigolo unserer Freundin an, sie nach Hause zu fahren.
Danke, sagte sie lächelnd, sie schätze das Angebot sehr, aber sie wohne 400 Kilometer entfernt. Der Golf-Gigolo zuckte nicht mit der Wimper, holte den Autoschlüssel aus der Tasche und bat sie auf den Nebensitz.
Echte Golfer fahren links
In einer bestimmten Bevölkerungsstatistik liegen Golfer vorn. Es gibt nirgendwo mehr Exzentriker.
Nehmen wir Heiner zum Beispiel, ein Mitglied in meinem Klub. Er hat immer nur ein einziges Eisen in der Tasche, ein Eisen sieben. Damit spielt er die ganze Runde durch. Überdies ist er nie ohne seinen Schäferhund auf dem Platz unterwegs. Der Schäferhund findet seine Bälle auch im Gebüsch.
Oder nehmen wir Carl, ebenfalls Mitglied in meinem Klub. Ich habe ihn noch nie ohne Zigarre gesehen. Er raucht Zigarre auf dem Platz, er raucht Zigarre auf der Klubhausterrasse, er raucht während des Essens und er raucht Zigarre – kein Witz – auch unter der Dusche. Dazu streckt den linken Arm weit von sich.
Ich könnte eine Menge weiterer Beispiele aufzählen, beschränke mich aber auf Manuela. Sie spielt nur als Leopardin. Das Leopardenmuster geht von Haarband bis Golfschuh, inklusive Gürtel mit einem Leopardenkopf. Manchmal ist das Leopardenmuster klassisch schwarz-gelb, manchmal auch rosa-blau.
Heiner, Carl und Manuela, denkt nun der Nichtgolfer, haben einen Knall. Ich sage, nein, das sind typische Golfer. In keiner anderen Sportart gibt es so viele Exzentriker.
Ich habe außer Golf in meinem Leben einige Sportarten wettkampfmäßig und in Klubs betrieben, Fußball etwa, dann Handball, Tennis, Leichtathletik, Skeleton, Schwimmen und Ski. Ich habe nirgendwo und nicht im Entferntesten so viele sympathische Verrückte angetroffen wie beim Golf.
Ich könnte noch Reto aufführen, der zwischen zwei Loch jeweils seine kurzfristigen Börsenaufträge an seinen Broker durchtelefonierte. An einem Golfnachmittag, sagt er, habe er mal eine halbe Million verloren. Erwähnenswert wäre auch Lukas, der ehemalige Offizier, der langsam erblindet und pro Jahr 180 Turniere spielt.
Warum zieht Golf ungewöhnliche Typen dermaßen an? Es liegt zuerst einmal an der Übungsanlage selbst. Seien wir ehrlich: Im Grunde ist es schon reichlich bizarr, mit irgendwelchen Metallteilen einen Gummiball quer durch die Natur zu schubsen und ihn am Schluß in ein Loch im Erdreich zu versenken. Da muss man erst mal drauf kommen. Das allein schon fasziniert eher extravagante Naturen.
Dann ist Golf zu Recht elitär. Elitär heißt nicht, dass sich hier eine gesellschaftliche Oberschicht treffen würde. Elitär heißt vielmehr, dass man auf dem Platz jenes Gut investieren muss, von dem alle zuwenig haben, nämlich Zeit. Man trifft sich vor der Runde zu einem Aperitif, spielt dann vier bis fünf Stunden, trifft sich erneut zum Aperitif, geht gemeinsam essen und macht ein, zwei schöne Flaschen auf. Dann folgen die Zigarren – außer bei Carl, da waren sie schon vorher dabei.
Ein seltsamer Sport, gelebt in einem speziellen Ambiente sozialer Netzwerke. Es ist klar, dass dies eher unkonventionelle Typen anzieht. Echte Golfer sind selten 08/15. Im übertragenen Sinne könnte man sagen: Echte Golfer fahren links.
Noch kurz zu meinem persönlichen Fall: Ich spiele mit einem gewöhnlichen Schlägerset, ich habe keinen Schäferhund dabei, ich bin kein Kettenraucher von Zigarren, ich verkleide mich nicht als Leopard und rufe auf dem Platz meinen Broker nicht dauernd an. Ich bin völlig normal.
Besser gesagt: Ich bin völlig abnormal.
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