Armin Himmelrath, Sarah Neuhäuser
Amokdrohungen und School-Shootings
Vom Phänomen zur praktischen Prävention
ISBN Print: 978-3-0355-0036-3
ISBN E-Book: 978-3-0355-0101-8
1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 hep verlag ag, Bern
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Schulanschläge und ihre Androhung sind schreckliche Taten. Doch so hilflos Schulen, Lehrer, Eltern und Mitschüler auf den ersten Blick scheinen, sind sie nicht.
In der ausgiebigen Beschäftigung mit Menschen, die ihrer direkten Umwelt mit massiver Gewalt und Tod drohen, wurde uns immer wieder deutlich vor Augen geführt, welche terrorisierende Wirkung ein Amoklauf, ein School-Shooting, ein Anschlag in einer Schule hat und wie beängstigend allein schon die Drohung mit einem solchen Schulanschlag ist. Keine Frage, mit einer Amokdrohung oder -tat möchte man als Lehrerin oder Lehrer, als Schüler oder Elternteil, als Schulpsychologe oder Polizist niemals konfrontiert werden. Warum dann dieses Buch?
Wir haben uns in unseren Berufsfeldern aus ganz unterschiedlicher Sicht schon lange mit dem Thema schwerer zielgerichteter Gewalt in Schulen und Bildungseinrichtungen beschäftigt: Sarah Neuhäuser als Psychologin, Armin Himmelrath als Bildungs- und Wissenschaftsjournalist.
Bei Sarah Neuhäuser war es der Satz: „Es ist nicht die Waffe, die tötet, sondern der Wille dahinter“, der aus ihrer Sicht trotz seiner Kürze ein umfangreiches und hochbrisantes Thema besser nicht hätte auf den Punkt bringen können. Dieser Satz motivierte sie zu einer Forschungsarbeit, die es so bisher im deutschsprachigen Raum nicht gab: die Untersuchung aller Schulanschlagsdrohungen in Deutschland zwischen 2005 und 2010. Es war eine wissenschaftliche Herausforderung, unterschiedliche Theorien und Methoden zu kombinieren – ganz zu schweigen von der Datenerhebung in den Bundesländern, die nach unterschiedlichsten Kriterien erfolgt und aus Sicht der Forscherin zunächst kaum miteinander verglichen werden konnten. So entstand eine inter- und intraindividuelle Betrachtung der Prozesse, die schweren zielgerichteten Gewalttaten immer vorausgehen und die nunmehr einen genaueren und fundierten Blick auf diejenigen erlaubt, die mit einer Amoktat drohen. Ziel war die Verbesserung der Früherkennungsstandards: Potenzielle Gewalttäter an Schulen können nunmehr beschrieben und Regelmäßigkeiten in ihrem Vorgehen festgestellt werden. Die dabei entstandene Pilotstudie, die die wissenschaftliche Basis des Buches bildet, befasst sich auch mit der Konkretisierung von Realkennzeichen der Amokandrohungen, vergleichbar mit der Methode bei suizidalen Äußerungen von potenziellen Selbstmördern. Dies ermöglicht nahezu sicher, die realen von den Pseudo-Suizidenten zu unterscheiden. Welche Drohungen sind ernst zu nehmen, welche fallen in eine homogene Kategorie, welche sind inkonsistent und aufmerksamkeitserhaschend? Das waren die Leitfragen. Auch wenn klar ist, dass sich nicht jede Tat verhindern lässt, wird deutlich: Schulanschläge ereignen sich nicht anlasslos und urplötzlich, sondern haben eine manchmal jahrelange Vorgeschichte mit entsprechenden Anzeichen. Auf diesem Gebiet ist noch weitere Forschung nötig, den Grundstein möchte die Pilotstudie bereits jetzt zum Thema Amokdrohungen legen.
Armin Himmelrath hat als Berichterstatter und Journalist für verschiedene Medien wiederholt zu Schulanschlägen und Amokläufen berichtet. Besonders eindringlich war dabei der Anschlag in Winnenden – wobei am Tag der Tat das journalistische Handwerkszeug und die effektive Aufarbeitung und Bereitstellung der Informationen im Mittelpunkt standen, insbesondere im Rahmen der Sendung „Hintergrund“ im Deutschlandfunk. In der Folgezeit jedoch kam es mit Kollegen und Freunden immer wieder zu Diskussionen darüber, inwieweit sich die Medien dabei auch instrumentalisieren lassen: Wenn ausgiebig über schwere zielgerichtete Gewalttaten berichtet wird, erfüllen Journalisten damit in aller Regel nicht nur ihre Informationsaufgabe, sondern gleichzeitig auch die Erwartungen des Täters. Diese Zweischneidigkeit zeigt sich schon bei der Berichterstattung über reine Tatdrohungen – auch hier gehört das Öffentlichmachen, die möglichst effektive Verbreitung der Drohung zum Konzept des Täters. Dem Täter nicht auf den Leim zu gehen, ist deshalb für Berichterstatter eine enorme Herausforderung.
Aus bildungsjournalistischer Sicht kommt noch ein weiterer thematischer Aspekt hinzu – die Frage, inwieweit Lehrerinnen und Lehrer auf die Ausnahmesituation einer solchen Drohung vorbereitet werden und welche Handlungsmöglichkeiten sie insbesondere im Rahmen der Prävention im Vorfeld haben. Ohne die Ausführungen des vorliegenden Buches vorwegzunehmen: Es gibt diese Handlungsmöglichkeiten, und sie sind nicht ursächlich von besseren Rahmenbedingungen der Bildungspolitik abhängig, denn sie fußen vor allem auf den pädagogischen Kenntnissen, die die Lehrkräfte ohnehin mitbringen und die sie im Rahmen ihres professionellen Handelns problemlos einsetzen können.
Wir möchten Ihnen mit unserem Buch den Anstoß geben, präventiv gegen Schulanschläge und deren Androhungen vorzugehen. Es soll Ihnen helfen, frühzeitige Anzeichen eines geplanten School-Shootings zu erkennen und vorbeugende Maßnahmen rechtzeitig ergreifen zu können. Den Blick zu schärfen für problembehaftete Situationen und kritische Entwicklungen innerhalb der Schulgemeinde, ist der erste Schritt zur Gewaltvorbeugung an Ihrer Schule – dafür soll das vorliegende Buch Ihnen Leitfaden und Hilfsmittel sein.
Köln, im Februar 2014
Armin Himmelrath – Sarah Neuhäuser
1Die Amokplaner 1. Die Amokplaner Schulanschläge machen Angst. Entsprechend leicht lässt sich mit einer Amokdrohung eine ganze Schule terrorisieren. Wer versteht, was in den Köpfen der Amokdrohenden und der Täter vorgeht, kann auf Alarmsignale frühzeitig reagieren. Erfurt, Emsdetten, Winnenden – diese Städtenamen (und viele andere) sind im kollektiven Gedächtnis mit sogenannten Amokläufen an Schulen verbunden. Die Vorstellung, dass ein schwer bewaffneter Schüler oder Ex-Schüler Rache an seinen Klassenkameraden, Lehrern und Mitschülern nimmt und gezielt mordet, ist schon als abstrakt formulierter Gedanke kaum greifbar. Umso größer sind das Entsetzen und der Schock, wenn ein Schulanschlag tatsächlich Realität wird. In anschließenden Debatten werden Sicherheitsmaßnahmen an Schulen diskutiert, Notfallpläne entworfen oder überarbeitet und scheinbar präventive Maßnahmen vorangetrieben. Oft sind solche Aktivitäten jedoch nur hilflose Reaktionen auf eine als unkontrollierbar und stark bedrohlich empfundene Vorstellung einer Situation. Tatsächlich ist die statistische Gefahr, als eine von weit über 50.000 Schulen im deutschsprachigen Raum zum Ziel eines Anschlags zu werden, sehr gering. Im Durchschnitt gab es in den vergangenen Jahren pro Jahr in Deutschland nur einen tatsächlich durchgeführten Schulanschlag oder den Versuch dazu. Entsprechende Meldungen aus der Schweiz und aus Österreich liegen nicht vor. Deutlich größer ist die Gefahr, als Schule mit einer Amokdrohung konfrontiert zu werden und entscheiden zu müssen, ob diese Drohung ernst zu nehmen und wie darauf zu reagieren ist. Seit 2005 gab es tausende bekannt gewordene Amokdrohungen gegen Schulen vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich und in der Schweiz. Meist sind sie inspiriert von School-Shootings in den USA und Europa. Diese Zahlen sind möglicherweise aber nur die Spitze des Eisbergs: Zahlreiche Fälle werden nicht öffentlich oder aktenkundig, vielleicht durch besonnenes Handeln der Betroffenen, durch gezieltes Schweigen gegenüber der Öffentlichkeit oder auch durch Ignoranz. Wie wichtig der Trittbrettfahrereffekt beim Thema Schulanschlag ist und wie stark Medienberichte und die Kommunikation in sozialen Netzwerken sind, wird noch thematisiert.
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