Armin Himmelrath
Hausaufgaben – Nein Danke!
Warum wir uns so bald wie möglich
von den Hausaufgaben verabschieden sollten
ISBN Print: 978-3-03822-017-6
ISBN E-Book: 978-3-03822-020-6
1. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.com
Vorwort
32 Jahre Schulunterricht und damit auch 32 Jahre Hausaufgaben – auf diesen Erfahrungswert komme ich bis heute, was die Schulkarrieren meiner Kinder angeht. Jahre, in denen sie widerwillig und motzend am Küchentisch saßen und mich mit ihrer Lustlosigkeit zur Verzweiflung brachten. Jahre, in denen sie sich in ihre Zimmer zurückzogen, angeblich zum Erledigen der Hausaufgaben, um dann am nächsten Morgen doch noch ganz erschrocken festzustellen: „Oh, für Mathe hatte ich ja auch noch etwas auf!“ In denen sie gelegentlich bei Diskussionen die Frage stellten: „Warum können wir nicht viel weiter außerhalb der Stadt wohnen? Dann hätte ich Zeit, meine Aufgaben im Bus zu erledigen.“ In denen die Lehrer schriftlich und bei Sprechtagen mit mahnend gerunzelter Stirn darauf hinwiesen, dass die Sorgfalt beim Erledigen der Hausaufgaben doch etwas zu wünschen übrig lasse. Und in denen meine Kinder nicht selten, vor allem in jüngeren Jahren, regelrechte Telefonkonferenzen mit ihren Klassenkameraden veranstalteten, um herauszufinden, wie denn eine bestimmte Aufgabe eigentlich gemeint sei. Nein, viele Anlässe, sich über Hausaufgaben zu freuen, gab es aus meiner Perspektive als Vater nicht. Irgendwie waren sie halt zu erledigen, das entsprach schließlich auch meiner eigenen, schon länger zurückliegenden Schulerfahrung: Hausaufgaben müssen sein, gehören einfach zum Unterricht dazu und machen keinen Spaß.
Aber muss das wirklich so sein? Müssen sie wirklich als didaktisches Dogma Teil des Schullebens sein, unverrückbar und unhinterfragbar? Irgendwann setzte sich dieser Zweifel fest und je mehr ich zum Thema Hausaufgaben las und recherchierte, desto deutlicher wurde eine absurde Situation: Ja, die Hausaufgaben gehören zur Schule dazu – und nein, überzeugende Beweise dafür, dass sie etwas bringen, gibt es so gut wie gar nicht. All die schönen Floskeln vom eigenständigen Lernen und Arbeiten, von der Vertiefung des zuvor Gehörten, vom Festigen des Unterrichtsstoffs sind genau das: Floskeln, mit denen die Wirkungslosigkeit eines pädagogisch unsinnigen Instruments zugekleistert wird.
Es ist Zeit, die Hausaufgaben ganz grundsätzlich in Frage zu stellen. In Zeiten der Ganztagsschule besteht endlich die Chance, diesen Unsinn zu beenden – ein Schritt, der eigentlich schon vor Jahrzehnten hätte passieren sollen. Und um endlich zu eigenständigen Lernformen zu finden, von denen die Kinder, die Lehrer und die Eltern gleichermaßen profitieren.
Köln, im Oktober 2015
Armin Himmelrath
HAUSAUFGABEN – DER KAUM HINTERFRAGTE STANDARD „Die Schulen haben von ihrem Einfluss und ihrer Anerkennung sehr verloren und an Misliebigkeit beim Publicum sehr zugenommen, seit sie so viel Gewicht auf häusliche Aufgaben gegeben und so ihr Lehrgeschäft ganz und gar ins elterliche Haus gelegt haben.“ Karl Gottfried Scheibert (1803-1898), Direktor der Stettiner Friedrich-Wilhelms-Schule
Vier Monate keine Hausaufgaben – die Wittmann-Studie aus den 1960er Jahren
Die Hausaufgaben-Debatte der 1980er Jahre
Das Hausaufgabenproblem ist uralt – ein historischer Rückblick
Aktuelle Versuche zur Abschaffung der Hausaufgaben in der Schweiz
Mehr Probleme als Lösungen – Originaltöne von Lehrerinnen und Lehrern im Internetforum
Gründe für die Hausaufgabenerteilung – Befunde aus der Schulforschung
Hausaufgaben als pädagogisches Problem Erfahrungen der Lehrer-Arbeitsgemeinschaft in Dingolfing
Hausaufgaben aus Sicht der Eltern
Hausaufgaben – Fragen und Antworten im Ratgeber eines Schulministeriums
Hausaufgaben vor Gericht
SINNVOLL ODER SELEKTION? HAUSAUFGABEN IM FOKUS DER WISSENSCHAFT
Stimmen aus der Wissenschaft – das Leid von Schülern und Eltern wird untermauert
Hausaufgaben in Ganztagsschulen
Hausaufgaben gehören als Schulaufgaben zurück an die Schule
Hausaufgaben als Selektionsinstrument – „Geld schießt Tore“
Fördern Hausaufgaben selbstständiges Lernen?
Hausaufgaben sind unwirksam und zudem Familienkonfliktherd
Hausaufgaben als fragwürdiges selbstreguliertes Lernen
Die Frustrationsschleife: Was am Vormittag in der Schule nicht verstanden wurde, gelingt am Nachmittag erst recht nicht
Zusammenfassend: Weder das Wissen noch die Selbstwirksamkeit wird erhöht
HAUSAUFGABEN – WER PROFITIERT? VON PÄDAGOGEN, PHILOSOPHEN UND POLITIKERN
Polemische Diskussionen
Hausaufgaben als Teil des ökonomistischen Bildungssystems
Der milliardenschwere Nachhilfemarkt im deutschsprachigen Raum
Ärmere Schüler erhalten schlechtere Noten
Pädagogische Schattenwirtschaft
AUS HAUSAUFGABEN SCHULAUFGABEN MACHEN – ES GEHT AUCH ANDERS
Abschaffung von Hausaufgaben – Entwicklung echter Schulaufgaben
Entkoppelung der Lernformen vom schulischen Unterricht und Lebensweltorientierung
Ausbau des Ganztagsunterrichts
Widerstand gegen die Abschaffung der Hausaufgaben in der Ganztagsschule in Frankreich
Fahrplan zu einer Schule ohne Hausaufgaben
Schlusswort
BIOGRAFIE
AUSGEWÄHLTE UND KOMMENTIERTE LITERATURHINWEISE
„Die Schulen haben von ihrem Einfluss und ihrer Anerkennung sehr verloren und an Misliebigkeit beim Publicum sehr zugenommen, seit sie so viel Gewicht auf häusliche Aufgaben gegeben und so ihr Lehrgeschäft ganz und gar ins elterliche Haus gelegt haben.“
Karl Gottfried Scheibert (1803-1898), Direktor der Stettiner Friedrich-Wilhelms-Schule
Vier Monate keine Hausaufgaben – die Wittmann-Studie aus den 1960er Jahren
Der Versuch war revolutionär, die tiefe Skepsis zu erwarten. Vier Monate lang ließ der Mülheimer Erziehungswissenschaftler Bernhard Wittmann Schüler aus dritten und sechsten Klassen in Duisburg in zwei Fächern keine Hausaufgaben machen. Die eine Hälfte bekam das Hausaufgabenverbot in Mathematik, die andere im Fach Deutsch bei Aufgaben zur Rechtschreibung. Kein Wunder, dass sich während des Versuchs immer mal wieder besorgte Eltern bei den Klassenlehrern meldeten: Ob es denn wirklich sein könne, dass die Kinder schon seit Wochen keine Matheaufgaben mehr bekommen hätten?
Wittmann wollte mit seinem Versuch und den sich anschließenden Leistungstests überprüfen, wie viele Fortschritte Hausaufgaben beim Lernen tatsächlich bringen. Und er kam, nach Auswertung der Testaufgaben, zu einem eindeutigen Resultat: „Hausaufgaben besitzen keinen materialen Bildungswert“, stellte der Pädagoge fest, „Hausaufgaben bewirken keinen Zuwachs an Kenntnissen und Fertigkeiten bei den Schülern.”
Bernhard Wittmann konnte belegen, dass nach dem viermonatigen Versuch die Drittklässler ohne Rechtschreibaufgaben im Rechtschreiben nicht schlechter waren als die Schüler, die Deutschaufgaben erhalten hatte. Auch im Fach Mathematik gab es keine Leistungsunterschiede zwischen Klassen mit und ohne Rechenaufgaben.
Die Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse ohne Matheaufgaben zeigten sogar durchgängig bessere Leistungen als die Schüler, die Hausaufgaben im Rechnen hatten erledigen müssen; bei den Hausaufgaben zur Rechtschreibung jedoch waren zwei von drei Schulklassen mit Hausaufgaben besser als die Klassen ohne Hausaufgaben.
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