Verhältnismäßig viele Publikationen beschäftigen sich aus kirchenhistorischer, liturgiehistorischer und -theologischer Perspektive mit der Frühgeschichte des christlichen Sonntags. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei v.a. das Verhältnis von jüdischem Sabbat und christlichem Sonntag 17.
Eine herausragende Studie zum Gottes-Gedenken in der jüdischen und der christlichen Liturgie hat Stephan Wahle vorgelegt. Wahle zeigt auf, dass sowohl im jüdischen als auch im christlichen Gottesdienst das Gottes-Gedenken die Mitte bildet, dabei berücksichtigt er auch die jüdische Sabbat- und die christliche Sonntagliturgie 18.
Die Studie von Andreas Poschmann beschäftigt sich nicht explizit mit dem Sonntag, sondern mit der Erneuerung der Liturgie in der Zeit der Liturgischen Bewegung im Leipziger Oratorium; sie ist hier aber dennoch zu nennen. Sonntäglicher Gottesdienst und Gemeindecaritas waren für die Oratorianer des heiligen Philipp Neri untrennbar miteinander verbunden und führten zu einer Reform der liturgischen Feier. Die Arbeit macht deutlich, wie eng die konkrete Gestalt der liturgischen Feier an die jeweiligen Lebensbedingungen der Menschen gebunden ist 19. Die Sonntagsgemeinde wird schließlich als ursprünglicher Ort von Diakonia und Martyria reflektiert 20.
Zwei liturgiewissenschaftliche Sammelbände zum Sonntagsgottesdienst sind in den vergangenen Jahren erschienen. Der Band „Sonntäglich. Zugänge zum Verständnis von Sonntag, Sonntagskultur und Sonntagspredigt“, eine Festschrift für den langjährigen Vorsitzenden der „Arbeitsgemeinschaft für Homiletik“, Ludwig Mödl, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kultur, Gottesdienst und Predigt und verfolgt dabei einen sehr breiten Ansatz, der sowohl theologie- und kulturgeschichtlich, als auch soziologisch fundiert ist und neben theologischen Aspekten der Sonntagspredigt auch verschiedene Ausprägungen gegenwärtiger katholischer und evangelischer Sonntagspraxis darstellt und analysiert 21.
Die jüngste Publikation „Normalfall Sonntagsgottesdienst? Gottesdienst und Sonntagskultur im Umbruch“ 22fragt aus der Perspektive der Praktischen Theologie nach der Bedeutung des „Normalfalls“ und seiner Normativität. Die Beiträge dokumentieren ein Symposium, das die Gemeinsame Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen der EKD mit der Liturgischen Konferenz und der Universität Mainz gemeinsam durchgeführt hat. Der Sammelband verzeichnet eine Vielzahl anregender Beiträge zur gegenwärtigen Praxis v.a. des evangelischen Gottesdienstes. Zentral ist die im Titel angedeutete Fragestellung, inwiefern der Sonntagsgottesdienst in der Gegenwart als Normalfall gemeindlicher liturgischer Versammlung verstanden werden kann. Die Beiträge gehen auf kulturelle und kirchensoziologische Hintergründe des evangelisch-lutherischen und des reformierten Gottesdienstes ein und versuchen seine Rolle in gegenwärtigen kirchlichen Umbruchsituationen zu charakterisieren 23. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses der konkreten gottesdienstlichen Gestalt steht auch hier die Predigt 24. Genauso spielen aber Zeit und Ort sonntäglicher Gottesdienste eine Rolle 25. Die Beiträge spiegeln die Vielfalt evangelischer gottesdienstlicher Sonntagspraktiken im Kontext der „Wochenenddramaturgien“ und zeigen Perspektiven für die Qualität kirchlicher und gottesdienstlicher Handlungen auf.
Der Blick auf Traditionen in den Ostkirchen zeigt die Vielfalt des liturgischen Gedächtnisses am Sonntag 26.
Der Wunsch nach genauer Kenntnis der Lebensbedingungen und -erwartungen der Menschen hat die Kirchen bewogen, ausführliche Milieustudien zu ihren Kirchenmitgliedern in Auftrag zu geben. Verschiedentlich sind daraus Konsequenzen auch für den Sonntagsgottesdienst abgeleitet worden. In den beiden o.g. Sammelbänden finden sich Beiträge, die eine realistische Einschätzung der Gottesdienstsituation ermöglichen und Voraussetzung für theologische Überlegungen bieten. Sie setzen sich mit der Bedeutung von Freizeit, dem Wochenende und in diesem Kontext mit dem Sonntagsgottesdienst auseinander 27.
Mehrere pastoralliturgisch orientierte Publikationen zum Sonntag hat Guido Fuchs vorgelegt. Er setzt sich für eine positive Interpretation der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen der Sonntagsgottesdienst gefeiert wird, ein und plädiert für einen konstruktiveren Umgang mit der Bedeutung des Wochenendes, ohne dabei die Schwierigkeiten aus dem Blick zu verlieren, die sich daraus für die Feier der Liturgie ergeben. Er fordert stattdessen eine fruchtbare Aufnahme der mit dem Wochenende und den einzelnen Tagen verbundenen Profile durch die und in der Liturgie 28.
Mehrere Publikationen gehen auf die veränderten gesellschaftlichen und religiösen Voraussetzungen, unter denen Feste wie der Sonntag begangen werden, ein und stellen den Sonntag und den Sonntagsgottesdienst als Tag mit theologischer, kultureller und anthropologischer Bedeutungszuschreibung dar. Sie bedenken die vielfältigen gesellschaftlichen Einflüsse auf den Sonntag als arbeitsfreien Tag und Tag des Gottesdienstes. Der realistische Blick auf die Entwicklungen der Sonntagskultur mündet hier nicht in Resignation, sondern regt dazu an, kreativ mit neuen Formen sonntäglicher Kultur und gottesdienstlichen Interessen umzugehen 29.
Der evangelische Praktische Theologe Christian Grethlein plädiert dafür, den Sonntagsgottesdienst nicht im Kontrast, sondern im Verhältnis zu anderen Gottesdienstformen und -zeiten zu sehen. Sie scheinen von größerer Attraktivität zu sein. Außerdem sollten Erkenntnisse über nicht-sonntägliche Gottesdienste auch für den Sonntagsgottesdienst genutzt werden. Unter den gegenwärtigen religionssoziologischen Voraussetzungen seien Innovationen für den Sonntagsgottesdienst entscheidend. Das sich verändernde Verhältnis von Gottesdienst und Gemeinde führt für den evangelischen Theologen zum Hinterfragen der angenommenen Deckungsgleichheit von Sonntagsfeiergemeinschaft und Gemeinde. Die Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Gottesdienstfeiernden sei dabei die Grundvoraussetzung 30.
Für den evangelischen Sonntagsgottesdienst ist das Erscheinen der Erneuerten Agende im Jahr 1999 ein wichtiger Schritt gewesen 31. Die Agende bietet verschiedene Modelle für den Sonntagsgottesdienst und ist „Regelbuch, Werkbuch und Textsammlung in einem“ 32.
Im Kontext der parochialen Strukturveränderungen werden in der evangelischen wie der katholischen Theologie in Bezug auf den Gottesdienst ähnliche Fragen diskutiert. Sie betreffen die Form des Gottesdienstes und die damit verbundenen theologischen Konsequenzen 33. Im Kontext dessen wird auf der Grundlage liturgiehistorischer und soziologischer Erkenntnisse die Frage nach der Definition von „Gemeinde“ und der Bedeutung von „Gemeinde“ gestellt 34.
Katholischerseits kommen außerdem v.a. Möglichkeiten und Grenzen für die Eucharistiefeier und die Wort-Gottes-Feier in den Blick. Die theologische Reflexion der Wort-Gottes-Feiern wurde besonders durch die Herausgabe der liturgischen Bücher für das Gebiet der deutschsprachigen Schweiz, Deutschlands und Österreichs vorangetrieben 35. Hier spielen bisher v.a. Fragen der Leitung, die Teilhabe der Gemeinde und die liturgische Feiergestalt eine Rolle 36.
Bezüglich der Eucharistiefeier werden die Bedeutung konkreter Gestaltungselemente wie Predigt 37und Orationen und die Notwendigkeit und Möglichkeiten zur Eucharistiefeier diskutiert 38. Bei den Feierformen sind neben der Wort-Gottes-Feier für den katholischen Bereich das sog. Zweite Programm für die evangelische Kirche bzw. spezielle Gottesdienstangebote zu erwähnen 39.
Einzelne Beiträge heben das lebenspraktische Potential des Sonntagsgottesdienstes in seiner Bedeutung für die christliche Spiritualität in grundsätzlicher Weise und am Beispiel etwa von neuen geistlichen Gemeinschaften hervor. Auch fehlt es nicht an Aufsätzen mit exemplarischen Erläuterungen zu den einzelnen Gestaltungselementen von Wortgottesdienst und Eucharistiefeier 40.
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