Ein noch seltenerer Typ von kontinuierlichen Kurzwörtern ist das sogenannte Rumpfwort (vgl. Kobler-Trill 1994:64f.), bei dem lediglich ein mittlerer Teil der Vollform erhalten bleibt. Beispiele hierfür beschränken sich im Deutschen auf Kürzungen von Rufnamen wie Basti < Sebastian und Lisa < Elisabeth . Im Schwedischen ist die Situation ähnlich; es lassen sich nur sehr wenige Belege unter den Appellativa finden, nämlich komp < ackompanjemang ‚Begleitung‘ und kollo < barnkoloni ‚Ferienlager‘, die bei Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“5 fallen. In allen Fällen bleibt der Teil erhalten, der den Hauptakzent trägt. Von den angeführten Beispielen ist allerdings lediglich komp ein eindeutiges Rumpfwort; bei kollo ist auch eine andere Bildungsweise denkbar. Es könnte auch durch eine elliptische Kürzung6 von barnkoloni zu koloni und eine anschließende Reduzierung auf ein Kopfwort entstanden sein. Da der Typ der Rumpfwörter so marginal ist und nicht produktiv zu sein scheint, soll er im Weiteren außen vor bleiben und wurde auch nicht als eigener Kurzworttyp in die Typologie aufgenommen.
2.2.2.3 Diskontinuierliche Kurzwörter
Anders als Kopf- und Endwörter bestehen diskontinuierliche Kurzwörter nicht aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform. Meist wird ein Anfangsteil der Vollform, der mehr oder weniger als die erste Silbe umfassen kann, mit einem weiteren der Vollform entnommenen Segment kombiniert. Die Bildungsweise ist also nicht einheitlich; auf Morphem- oder Silbengrenzen scheint keine Rücksicht genommen zu werden. Vermutlich ist die Schaffung eines phonologisch wohlgeformten Outputs das Hauptkriterium dafür, welche Segmente der Vollform übernommen werden. Auch dieser Typ, für den in Tabelle 8 propriale und appellativische Beispiele zusammengestellt sind, ist im Deutschen und Schwedischen relativ selten, was bedeutet, dass die Kopfwörter die prototypischen Vertreter der Kurzwörter im engeren Sinne sind.
deutsche diskontinuierliche Kurzwörter |
schwedische diskontinuierliche Kurzwörter |
taz < die Tageszeitung |
Skop < Skandinavisk Opinion Aktiebolag |
Epo < Erythropoetin |
koll < kontroll |
Flak < Flugabwehrkanone |
milo < militärområde ‚Militärgebiet‘ |
Krad < Kraftrad |
synka < synkronisera ‚synchronisieren‘ |
Tabelle 8: deutsche und schwedische diskontinuierliche Kurzwörter
Der schwedische Begriff „teleskopord“1 deckt den Teil der diskontinuierlichen Kurzwörter ab, bei denen Segmente von Anfang und Ende der Vollform kombiniert werden, z.B. moped < motorvelociped . Einen weiter gefassten Begriff, der den Kurzworttyp der diskontinuierlichen Kurzwörter wie in dieser Typologie definiert bezeichnet, gibt es im Schwedischen nicht. Entsprechende Belege werden allgemein als „ellips“ oder „kortord“2 betitelt. Für Laurén (1976) sind derartige Beispiele „kortord“ durch „medial reduktion“ (306)3 oder „kombinationer av olika reduktioner“4 (321).
Zuweilen werden manche der eigentlich den diskontinuierlichen Kurzwörtern zuzurechnenden Belege wie stins < stationsinspektör ‚Bahnhofsvorsteher‘ und pryo < praktisk yrkesorientering ‚berufsorientierende Praktika‘ fälschlicherweise zu den Lautinitialwörtern gezählt. Im Fall von stins werden aus der Vollform jedoch deutlich mehr als die Initialen entnommen. Vom ersten Morphem {stations} werden die ersten beiden Grapheme übernommen, vom zweiten Teil der Vollform jedoch ein noch größerer Teil. Die Graphemfolge steht zwar am Anfang des Morphems {inspektör}, macht aber letztlich sogar mehr als eine ganze Silbe aus und kann somit eigentlich nicht mehr als Initiale bezeichnet werden. Wenn es sich nicht um ein Lautinitialwort handelt, muss dieser Beleg demnach als diskontinuierliches Kurzwort analysiert werden. Ein ähnlicher Fall liegt bei dem Beleg pryo vor. Auch hier umfasst das anlautende mehr als eine Initiale, weshalb auch dieser Beleg meiner Meinung nach zu den diskontinuierlichen Kurzwörtern gerechnet werden sollte, wenn auch dieser Fall weniger eindeutig ist als stins .
Bei den schwedischen Belegen fällt wieder auf, dass neben Substantiven weitere Wortarten diskontinuierliche Kurzwörter bilden. Adjektive wie deppad < deprimerad ‚deprimiert‘ sind dabei eher selten, doch Verben wie gratta < gratulera ‚gratulieren‘ und impa < imponera ‚imponieren‘ sind unter den diskontinuierlichen Kurzwörtern relativ häufig.
Neben den Gruppen der Akronyme und der Kurzwörter im engeren Sinne führt Nübling (2001) die Gruppe der Sonderfälle an. Hier sind diejenigen Kurzworttypen zusammengefasst, bei deren Bildung neben der Kürzung auch andere Prozesse eine Rolle spielen oder die distributionelle Besonderheiten aufweisen. Diese Gruppe ist sehr heterogen, da die Gemeinsamkeit der darin enthaltenen Typen in erster Linie darin besteht, dass sie sich von den Gruppen der Akronyme und der Kurzwörter i.e.S. deutlich unterscheiden.
Die Sonderfälle umfassen Pseudoableitungen, bei denen Suffigierung und Kürzung gleichzeitig eintreten, Kürzungskomposita und gebundene Kürzungen, deren Distribution eingeschränkt ist, sowie elliptische Kürzungen, bei denen semantische Gesichtspunkte einen stärkeren Einfluss auf den Output haben als phonologische.
2.2.3.1 Pseudoableitungen
Pseudoableitungen sind ein in beiden untersuchten Sprachen äußerst verbreitetes und produktives Phänomen. Bei einer Pseudoableitung „wird von der Vollform i.d.R. unisegmental eine einsilbige, konsonantisch auslautende Kopfform gebildet und diese im Deutschen mit - i , im Schwedischen mit - is suffigiert“ (Nübling 2001:176). Mögliche Suffixe sind nicht nur - i bzw. - is , sondern im Deutschen auch - o ( Realpolitiker < Realo ), - e ( Lesbe < Lesbierin ), - er ( Elfer < Elfmeter ) und seltener - a ( Reala < Realpolitikerin ) sowie im Schwedischen - o ( fyllo < fyllerist ‚Säufer‘), - e ( sosse < socialdemokrat ) und - a ( bibbla < bibliotek ). Im Vergleich zu der großen Menge an Pseudoableitungen auf - i bzw. - is bleiben Bildungen mit anderen Suffixen jedoch marginal; daher soll in erster Linie auf Erstere eingegangen werden.1 Als zugrunde liegende Formen können Lexeme unterschiedlicher Wortarten dienen; die Resultate sind in beiden Sprachen jedoch überwiegend Substantive, wenn auch Adjektive möglich sind, die aber nicht flektierbar sind und nur prädikativ verwendet werden (dt. supi < super , logo < logisch und schwed. avis < avundsjuk ‚eifersüchtig‘, pretto < pretentiös ‚arrogant‘). Des Weiteren existieren im Schwedischen auch Interjektionen als Pseudoableitungen; diese beschränken sich meines Wissens aber auf die beiden viel zitierten Beispiele grattis < gratulerar ‚Glückwunsch‘ und tjänis/tjenis < tjänare ‚Servus‘ und sind eher als Randerscheinungen einzustufen.
Wie auch die meisten Kurzwörter i.e.S. entstammen Pseudoableitungen dem mündlichen Sprachgebrauch; zudem sind sie besonders nähesprachlich. Kotsinas (2003b:9) ordnet zumindest neue Pseudoableitungen sogar dem Slang zu, wenngleich sie darauf hinweist, dass die Lexeme bei häufigem Gebrauch solche diastratischen Merkmale mit der Zeit verlieren können. Sehr häufig bezeichnen Pseudoableitungen Personen (dt. Ami < Amerikaner , schwed. kändis < känd person ‚Prominente(r)‘), häufig werden sie auch zu Personennamen (dt. Andi < Andreas , schwed. Sigge < Sigvard ) gebildet. Dabei enthalten sie oft eine hypokoristische (dt. Schweini < Bastian Schweinsteiger oder schwed. Bäckis < Nicklas Bäckström ) oder auch pejorative Note (dt. Transe < Transvestit , schwed. transa < transvestit ). Weitere Beispiele für propriale und appellativische Pseudoableitungen im Deutschen und Schwedischen sind in Tabelle 9 zusammengestellt.
Читать дальше