Bei der Bildung von Silbeninitialwörtern scheint es in noch höherem Maße als bei den Buchstabier- und Lautinitialwörtern von der phonologischen Struktur abzuhängen, welche Teile der Vollform letztlich Eingang in das Kurzwort finden.
deutsche Silbeninitialwörter |
schwedische Silbeninitialwörter |
Kita < Kindertagesstätte |
flextid < flexibel arbetstid ‚flexible Arbeitszeit‘ |
Juso < Jungsozialist |
genrep < generalrepetition ‚Generalprobe‘ |
Mofa < Motorfahrrad |
kombo < kompisboende ‚Mitbewohner‘ |
Trafo < Transformator |
säpo < säkerhetspolisen ‚schwed. Nachrichtendienst‘ |
Tabelle 5: deutsche und schwedische Silbeninitialwörter
2.2.2 Kurzwörter im engeren Sinne
Zu den Kurzwörtern im engeren Sinne zählen bei Nübling (2001:172) Kopfwörter, Endwörter und diskontinuierliche Kurzwörter. Bei Kopf- und Endwörtern handelt es sich um unisegmentale Kurzwörter, die aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform bestehen. Der Typ der diskontinuierlichen Kurzwörter ähnelt diesen Typen im Output sehr, weshalb er vermutlich schon bei Ronneberger-Sibold (1992:8) zur selben Obergruppe gezählt wird. In der Bildungsweise unterscheidet er sich dadurch, dass das Kurzwort nicht nur aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, sondern aus mehreren diskontinuierlichen Teilen besteht. Im Bezug auf die Bildungsweise ist die Gruppe der Kurzwörter im engeren Sinne also heterogen. Die Gestalt der einzelnen Typen weist jedoch große Ähnlichkeiten auf, weshalb sie im Sinne einer Typologie, die auch den Output berücksichtigt, zu einer Kurzwortgruppe zusammengefasst werden.
Eine hohe Übereinstimmung besteht auch zwischen der phonologischen Struktur von Kopfwörtern und Silbeninitialwörtern. In Kapitel 4 zeigt sich, dass unterschiedliche Verfahren der Kurzwortbildung ähnliche Outputs erzeugen. Welches Kürzungsverfahren im Einzelfall zur Anwendung kommt, scheint also von Material und Struktur der Vollform abzuhängen, lässt sich aber nicht immer abschließend klären.
Aufgrund ihrer einfacheren Bildungsweise sind Kurzwörter i.e.S. nicht zwangsläufig auf eine schriftliche Vorlage angewiesen, sondern können auch im mündlichen Sprachgebrauch entstehen. Häufig sind sie stark nähesprachlich im Sinne von Koch/Oesterreicher (1985).
Der weitaus häufigste Typ der Kurzwörter im engeren Sinne sind Kopfwörter. Sie entstehen durch eine Art Apokope, d.h. das hintere Segment der Vollform fällt ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen weg. Das Kurzwort besteht also aus dem kontinuierlichen verbleibenden Anfangsteil. In beiden Untersuchungssprachen können sowohl Eigennamen wie dt. Katha < Katharina oder schwed. Carro < Carolina – oft Rufnamen in hypokoristischer Funktion oder Toponyme – als auch Appellativa auf diese Weise gekürzt werden (siehe Tabelle 6).
deutsche Kopfwörter |
schwedische Kopfwörter |
Kö < Königsallee |
Åtvid < Åtvidabergs Fotbollförening |
Abo < Abonnement |
cigg < cigarett |
Mathe < Mathematik |
temp < temperatur |
Navi < Navigationsgerät |
vicka < vikariera ‚vertreten‘ |
Tabelle 6: deutsche und schwedische Kopfwörter
Formale Ähnlichkeiten bestehen besonders zwischen deutschen Kopfwörtern und manchen Silbeninitialwörtern und Pseudoableitungen (vgl. Nübling 2001:174f.), was wiederum bestätigt, dass ein Großteil der gesamten Kurzwortbildung ähnliche Strukturen erzeugt.1 Eventuell haben im Deutschen auf - i endende Kopfwörter wie Zivi < Zivildienstleistender die Entstehung von Pseudoableitungen auf - i wie Pulli < Pullover durch Analogiebildung begünstigt.
Für das Schwedische spricht Laurén (1976:311) im Hinblick auf Kopfwörter von „kortord“2, die durch „final reduktion“3 entstanden sind. Er kommt zwar darauf zu sprechen, dass Kürzungen mit oder ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen erfolgen können, leitet daraus aber keine unterschiedlichen Kurzworttypen ab. Andere schwedische Bezeichnungen für Kopfwörter sind „avbrytning“4 (z.B. bei Svenblad 2003:XI) oder „ellips“ (z.B. bei Malmgren 1994:72).
Ein interessanter Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Schwedischen betrifft die Wortarten, die Kopfwörter bilden können. Deutsche Kopfwörter sind fast ausschließlich Substantive. Daneben gibt es nur sehr wenige Adjektive depri < deprimiert , die jedoch eine eingeschränkte Flexion und Syntax aufweisen, d.h. sie sind nicht flektierbar und können nur prädikativ vorkommen. Im Schwedischen machen Substantive zwar ebenfalls den größten Teil der Kopfwörter aus, doch auch verbale Kopfwörter wie bomba < bombardera ‚bombardieren‘ und galva < galvanisera ‚galvanisieren‘ sind nicht selten. Generell ist die Kurzwortbildung im Schwedischen nicht so stark auf Substantive beschränkt wie im Deutschen. Diese Offenheit gegenüber verschiedenen Wortarten deckt sich insofern mit dem Bild, das sich im Lauf dieser Arbeit von der schwedischen Kurzwortbildung ergeben wird, als sie sich in verschiedener Hinsicht deutlich flexibler zeigt als die deutsche.
Das Gegenstück zu Kopfwörtern bilden Endwörter, von manchen Autoren auch als Schwanzwörter bezeichnet: Sie entstehen durch eine Art Aphärese, d.h. der vordere Teil der Vollform wird ohne Berücksichtigung von Morphemgrenzen getilgt. Derartige Bildungen sind in beiden Untersuchungssprachen nur marginal vertreten. Besonders für das Deutsche ist fraglich, ob es sich hierbei überhaupt um einen produktiven Kurzworttyp handelt, da es keine Belege für genuin deutsche Endwörter gibt.1 Sämtliche mir bekannten deutschen appellativischen Endwörter können auch als Lehnkurzwörter interpretiert werden, die bereits gekürzt oder zusätzlich zu ihrer Vollform entlehnt wurden. Dies gilt beispielsweise für die häufig angeführten Belege Bus < Omnibus oder Cello < Violoncello oder auch Fax < Telefax . Eine gewisse Produktivität bei Endwörtern lässt sich im Deutschen am ehesten für Personennamen annehmen, da manche Rufnamen wie Lotte < Charlotte oder Tina < Bettina zu Endwörtern gekürzt werden.
Im Schwedischen werden Endwörter oft nicht von Kopfwörtern abgegrenzt und ebenfalls als „avbrytning“2 oder „ellips“ bezeichnet. Für Laurén (1976:304) sind diese Kurzwörter „kortord“3 durch „initial reduktion“4. Endwörter sind im Schwedischen etwas häufiger als im Deutschen und können nicht immer als Lehnkurzwörter interpretiert werden, was dafür spricht, dass durch diesen Kürzungstyp tatsächlich produktiv Kurzwörter entstehen können, wenngleich dieser Prozess marginal bleibt. Bei sämtlichen schwedischen Belegen bleiben die endbetonten Segmente der Vollform erhalten. In Tabelle 7 sind deutsche und schwedische appellativische Endwörter zusammengestellt, wobei für die deutschen Belege wie gesagt die Einschränkung gilt, dass dieser Typ vermutlich nicht produktiv ist und die Belege auch als Lehnkurzwörter interpretiert werden könnten.
deutsche Endwörter |
schwedische Endwörter |
Bus < Omnibus |
bil < automobil ‚Auto‘ |
Cello < Violoncello |
goja < papegoja ‚Papagei‘ |
Fax < Telefax |
sessa < prinsessa ‚Prinzessin‘ |
Tabelle 7: deutsche und schwedische Endwörter
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