Doch auch appellativische Buchstabierwörter werden in beiden Untersuchungssprachen durchaus gebildet, z.B. dt. AB < Anrufbeantworter oder schwed. vd < verkställande direktör ‚Geschäftsführer‘. Während diese im Deutschen recht häufig sind, ist ihre Frequenz im Schwedischen dagegen deutlich geringer; dort werden für Appellativa eher andere Kürzungsarten bevorzugt.
Im Schwedischen ist bei Belegen dieses Typs die Rede von „initialord“4 (z.B. bei Laurén 1972:3), „initialförkortningar“5 oder „akronymer“6, wobei in der gesamten Kurzwortterminologie im Schwedischen noch klare Abgrenzungen und etablierte Begrifflichkeiten fehlen, wie in Kapitel 2.4.2erläutert wird.
Nübling (2001:173) weist darauf hin, dass das Schwedische einen Sondertyp der Buchstabierwörter kennt, bei dem die Schreibung der Aussprache angenähert wird, indem die Buchstabennamen ausgeschrieben werden. Das auch im Deutschen existierende Kurzwort TV < Television wird im Schwedischen demnach teve geschrieben. Dasselbe gilt für behå < bysthållare ‚Büstenhalter‘. Dieses Verfahren ist dem Deutschen nicht grundsätzlich unbekannt, wird jedoch bei Appellativa nicht angewandt. Es finden sich lediglich Beispiele für Eigennamen nach diesem Muster, so Vaude < von Dewitz und Edeka < Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin .
Ein weiterer Sonderfall der Buchstabierwörter, der bislang in der Forschungsliteratur noch nicht beschrieben wurde, ist im Schwedischen zu beobachten. Diese Belege, die ich hier als teilgebundene Buchstabierwörter bezeichnen möchte, werden wie gewöhnliche Buchstabierwörter gebildet, es wird jedoch nur ein Teil des Kurzworts mit Buchstabennamen ausgesprochen und ein weiterer Teil phonetisch gebunden, z.B. KTIB < Konsumenternas tele-, tv- och internetbyrå 7 ‚Beratungsdienst für Medienkonsumenten‘ mit der Aussprache [koːtib] oder HSAN < Hälso- och sjukvårdens ansvarsnämnd ‚Amt für medizinische Verantwortung‘ mit der Aussprache [hoːsan]. Teilgebundene Buchstabierwörter stellen damit eine Art Mischung aus Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern dar. Bei sämtlichen in den Korpora dieser Arbeit verzeichneten Belegen dieses Typs handelt es sich um Eigennamen. Appellativa dieses Typs sind bislang nicht belegt.
2.2.1.2 Lautinitialwörter
Die Bildungsweise von Lautinitialwörtern ist identisch mit der von Buchstabierwörtern; die beiden Typen unterscheiden sich lediglich in der Aussprache. Lautinitialwörter werden als phonetisch gebundene Wörter ausgesprochen. Auch dieser Typ kommt in beiden Sprachen vor, er ist allerdings deutlich seltener als die häufigen Buchstabierwörter, da seine Bildung sehr viel stärkeren Restriktionen unterliegt. Während innerhalb eines Buchstabierworts im Grunde alle Buchstabenkombinationen möglich sind, müssen bei der Bildung eines Lautinitialworts die Initialen der Vollform so gewählt werden, dass sie ein in der jeweiligen Sprache aussprechbares und phonologisch wohlgeformtes Wort ergeben. Tabelle 4 enthält Beispiele für propriale und appellativische deutsche und schwedische Lautinitialwörter.
deutsche Lautinitialwörter |
schwedische Lautinitialwörter |
APO < außerparlamentarische Opposition |
Bris < Barnens rätt i samhället ‚schwed. Kinderschutzorganisation‘ |
Bams < Bild am Sonntag |
Sifo < Svenska Institutet för opinionsundersökningar ‚schwed. Meinungsforschungsinstitut‘ |
GAU < größter anzunehmender Unfall |
FoU < forskning och utveckling ‚Forschung und Entwicklung‘ |
Ufo < unbekanntes Flugobjekt1 |
vab < vård av sjukt barn ‚Freistellung von der Arbeit zur Pflege eines kranken Kindes‘ |
Tabelle 4: deutsche und schwedische Lautinitialwörter
In einigen Fällen wird nicht nur ein Anfangsbuchstabe, sondern ein etwas größerer Teil der Vollform übernommen. So wird etwa bei dt. AStA < Allgemeiner Studentenausschuss die silbeninitiale Konsonantenverbindung übernommen.2 Dadurch bleibt der Zusammenhang zur Vollform besser erhalten, was bei der schriftlichen Kommunikation dem Leser die Verarbeitung erleichtert. Bei Belegen wie DEFA < Deutsche Film-AG wird neben reinen Initialen auch eine initiale Verbindung aus zwei Graphemen in die Kurzform übernommen, um deren Aussprechbarkeit als Lautinitialwort zu gewährleisten.3 Einen Sonderfall stellt der deutsche Beleg Dax < Deutscher Aktienindex dar. Hier gehen die Initialen der ersten beiden Morpheme der Vollform in das Kurzwort ein; statt der dritten Initiale enthält die Kurzform jedoch das finale Graphem . Dadurch erhält das Lautinitialwort eine geschlossene statt eine offene Silbe. Es ist jedoch anzunehmen, dass in erster Linie die prägnantere Gestaltung des Schriftbilds ausschlaggebend für diese Bildungsweise war. Möglicherweise soll Technik und Fortschritt evozieren.
Im Schwedischen werden Lautinitialwörter in der Regel wie auch Buchstabierwörter „initialord/initialförkortningar“4 oder „akronymer“5 genannt. Meist wird begrifflich nicht zwischen Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern differenziert. Interessanterweise spricht Laurén (1972:7) für das Schwedische nur bei Lautinitialwörtern von Akronymen: „akronymerna, dvs. initialord, där bokstavsföljden kan läsas som ett ord“6 und betont: „Man bör ytterligare observera att akronymer egentligen inte är liktydigt med initialord, utan endast en underavdelning av dem.“7 (3) Lauréns Kategorisierung dieser Kurzworttypen ist damit genau gegensätzlich zu der in dieser Arbeit vorgenommenen. Während bei ihm ein Akronym ein Untertyp eines Initialworts ist, ist in dieser Arbeit Akronym der Oberbegriff, unter dem verschiedene Arten von Initialwörtern zusammengefasst werden.
Durch die gebundene Aussprache beansprucht im Gegensatz zu den Buchstabierwörtern nicht jede aus der Vollform entnommene Initiale eine eigene Silbe, sodass hier Kurzwortbildungen mit einer geringeren Silbenzahl als im Fall der Buchstabierwörter entstehen. So sind auch einsilbige Lautinitialwörter möglich, während es zumindest im Deutschen keine einsilbigen Buchstabierwörter gibt, die aus nur einer Initiale bestehen müssten. Diese sind im Schwedischen belegt, aber auf die Parteinamen beschränkt (siehe dazu Kapitel 4.1.2). Bei einigen deutschen Kurzwörtern ist eine alternative Aussprache als Buchstabierwort oder als Lautinitialwort möglich, beispielsweise bei RAF < Rote Armee Fraktion oder FAZ < Frankfurter Allgemeine Zeitung . Für das Schwedische sind mir keine derartigen Beispiele bekannt.
Durch den Typ der Lautinitialwörter können beabsichtigt oder unbeabsichtigt Homonymien zu Lexemen des Normalwortschatzes entstehen, so beispielsweise dt. ERNA < Eigene Rufnummer-Ansage , was gerade bei Produkt- und Unternehmensnamen ein gern genutztes Mittel ist.
2.2.1.3 Silbeninitialwörter
Als letzte Untergruppe der Akronyme sind schließlich die Silbeninitialwörter zu nennen, die anders als die anderen Akronymtypen primär in der gesprochenen Sprache entstehen. Dabei wird das Kurzwort aus mehreren initialen Silben (z.B. dt. Kripo < Kriminalpolizei ) oder Silbenteilen (dt. Schiri < Schiedsrichter ) von verschiedenen Konstituenten der Vollform gebildet. In manchen Fällen werden auch Teile übernommen, die etwas mehr als eine Silbe umfassen (z.B. dt. Europol < Europäisches Polizeiamt , schwed. komvux < kommunal vuxenutbildning ‚kommunale Erwachsenenbildung‘).1 Im Deutschen ist dieser Typ auf verschiedenen sprachlichen Ebenen sehr produktiv und erzeugt neben vielen Augenblicksbildungen wie Wama < Waschmaschine auch eine Vielzahl von Eigennamen wie Kikuwe < Kinder-Kultur-Werkstatt und Beki < Landesinitiative Bewusste Kinderernährung . Ein Blick auf die schwedischen Daten ergibt jedoch ein anderes Bild. Hier finden sich nur sehr wenige Belege nach diesem Bildungsmuster. Dennoch sind Silbeninitialwörter kein „ausschließlich deutsches Phänomen“, wie Nübling (2001:173) meint. Die Frequenz der Silbeninitialwörter ist im Schwedischen zwar sehr niedrig; das Vorkommen der Belege zeigt jedoch, dass die Bildung dieses Kurzworttyps nicht per se unmöglich ist, sondern lediglich andere Bildungen präferiert werden. Etwas vorsichtiger formuliert Wahl (2002:49) und spricht von einer „Randerscheinung“ im Schwedischen. Die geringe Verbreitung dieses Typs im Schwedischen dürfte der Grund dafür sein, dass es keinen speziellen Terminus für diesen Kurzworttyp gibt, sondern Belege dieser Art von Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“2 aufgeführt werden. Damit fasst Laurén Silbeninitialwörter nicht als als eigenständigen Kurzworttyp mit eigener Bildungsweise auf, sondern als Ausnahme, bei der mehrere der regulären Kürzungsverfahren kombiniert werden.
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