Wilton, Antje (2009). Lachen ohne Grenzen . München: Iudicium.
Zillien, Nicole (2009). Die (Wieder-)Entdeckung der MedienMedien. Das Affordanzkonzept in der Mediensoziologie. Sociologia Internationalis. Internationale Zeitschrift für Soziologie, Kommunikations- und Kulturforschung . Verfügbar unter https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb4/prof/SOZ/AMK/PDF_Dateien/Affordanz.pdf (Stand: 18/09/2018)
Die Perspektive der Deutschdidaktik
Christian Efing
Die berufliche Bildung fristet im Rahmen der deutschdidaktischen Lehre und Forschung ein relatives Schattendasein, nur wenige Deutschdidaktiker beschäftigen sich mit dem Zusammenhang bzw. der Rolle von Sprache und Literatur in der und für die berufliche(n) Bildung. Selbst für die politisierten 1970er Jahre, als die Berufspädagogik die Sprache „als wichtigstes Medium für den Erwerb der Berufsrolle“ (Grundmann 2001:89) entdeckte, konstatiert Grundmann ein „nahezu völlige[s] Desinteresse“ am und eine „Abstinenz der Deutschdidaktiker gegenüber dem berufsbildenden Schulbereich“ (ebd.:95, 92). Hierzu passt, dass es in Deutschland bis heute keinen eigenen Lehrstuhl für Deutschdidaktik in der beruflichen Bildung und auch keine deutschdidaktische Fachzeitschrift mit berufsbildendem Schwerpunkt gibt. Diese Abstinenz verwundert angesichts der Diskrepanz zwischen nicht erst seit Neuestem allseits beklagten Defiziten von Berufsschülern und Berufsschülerinnen im Bereich sprachlich-kommunikativer Kompetenzen einerseits und allseits konstatierten steigenden sprachlich-kommunikativen Anforderungen andererseits – es gäbe also genug zu tun für die Deutschdidaktik.
Andere Disziplinen, wie etwa die Berufs- und Wirtschaftspädagogik, und andere Institutionen, wie das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), das Institut der deutschen Wirtschaft/Köln oder das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE), die sich forschend und fördernd mit dem Thema Sprache und Kommunikation (und ihrer Vermittlung) in der beruflichen Bildung beschäftigen, können dieses Fehlen der Deutschdidaktik nicht kompensieren, da sie eigene Perspektiven, Fragestellungen und Ansätze verfolgen; dennoch sind sie eine wertvolle Bereicherung der deutschdidaktischen Perspektive. Bisweilen wird es angesichts von interdisziplinärem Austausch, interdisziplinärer (inhaltlicher, methodischer) Befruchtung und Zusammenarbeit schwer zu sagen, was genau noch oder schon (auch) als genuin deutschdidaktische Perspektive betrachtet werden kann; dennoch versucht der folgende Beitrag diese zu skizzieren.
Ausgehend von einer historischen Aufarbeitung der Beschäftigung der Deutschdidaktik der letzten Jahrzehnte mit dem Bereich der beruflichen Bildung stellt der Beitrag insbesondere die nach dem PISA-Schock und der Empirisierung der SprachdidaktikSprachdidaktikEmpirisierung der in den 2000er Jahren aktuellen Tendenzen und Herausforderungen in der Deutschdidaktik vor.
1. Zur Geschichte der deutschdidaktischen Perspektive auf Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen
Angesichts zweier vorliegender Monographien sowie eines Aufsatzes zur Geschichte des DeutschunterrichtsDeutschunterrichtGeschichte des an berufsbildenden Schulen (Ludwigsen 1981, Jahn 2000, Grundmann 2001) wird die Geschichte in diesem Kapitel nur überblicksartig zusammengefasst; der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf der Darstellung der deutschdidaktischen Perspektive auf berufliche Bildung nach dem Jahr 2000. Auch wenn umstritten ist, ob die Deutschdidaktik den Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen – ein „Stiefkind der Didaktik“ (Grundmann 1977) – erst in den 1960ern/70ern entdeckte (vgl. Ludwigsen 1981:424), soll in diesem Beitrag zeitlich genau hier angesetzt werden.
Eine von Beginn an grundlegende und kontinuierlich bis auf den heutigen Tag immer wieder geführte Debatte in der berufsschulbezogenen Deutschdidaktik ist die um die „Ungeklärtheit des Verhältnisses von allgemeinerAllgemeinbildung und beruflicher BildungBildungberufliche“ (Grundmann 2001: 13), wobei Grundmann diese Ungeklärtheit gar „als Geburtsfehler der berufsbildenden Schulen“ (ebd.) bezeichnet. Jahn (2000:12) sieht im „Widerspruch von allgemeiner und beruflicher BildungBildungberufliche“ ein Dilemma für das Unterrichtsfach Deutsch als allgemeinbildendes Fach. Es stellte sich sowohl die Frage nach der Legitimation von Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen generell wie die nach dessen (berufsbezogenen?) Themen und Inhalten sowie (eigenen, spezifischen?) Zielen (Hebel & Hoberg 1985:7) zwischen einem humanistischen vs. technischen Bildungsideal, zwischen Hochliteratur vs. Unterschichtenpädagogik, zwischen PersönlichkeitsPersönlichkeitsbildung- und IdentitätsbildungIdentitätsbildung vs. berufspragmatischer VerwertbarkeitVerwertbarkeitberufspragmatische/utilitaristischem Ansatz (ausführlich vgl. etwa Hebel 1987, Grundmann 2010).
Umstritten seien deshalb sowohl die Inhalte und Gegenstände (bzw. die Frage nach ihrem Berufsbezug) des Deutschunterrichts als auch die dort zu fördernden Fähigkeiten (nur die betrieblich verwertbaren oder auch die persönlichkeitsbildenden?) bzw. anzustrebenden Lernziele wie generell die Rolle des Faches Deutsch im Fächerkanon der berufsbildenden Schulen und die Legitimation seiner dortigen Existenz (Grundmann 2001: 13). Die Geschichte des Deutschunterrichts an berufsbildenden Schulen sei daher „in erster Linie die Geschichte des permanenten Kampfes dieses Unterrichtsfaches gegen seine Funktionalisierung durch berufsspezifische Fächer“ bzw. eines „allgemein bildendenAllgemeinbildung Faches um seine Existenzberechtigung an berufsbildenden Schulen“ (ebd.:14), das nicht nur Wissen vermitteln und ausbilden, sondern auch erziehen und individuell bilden wolle. Eng hiermit verknüpft ist die Frage nach der Rolle des Ästhetischen bzw. der Existenzberechtigung und Relevanz des Literaturunterrichts an berufsbildenden Schulen (vgl. Hummelsberger 2002 sowie D: Riedel, S. 241 in diesem Band) wie generell nach der Aufmerksamkeit für die Leseinteressen und -sozialisationLesesozialisation der Berufsschülerinnen und Berufsschüler (vgl. Mittmann 1981, Katz 1994).
1.1 Deutschdidaktik und berufliche Bildung zwischen 1960–2000
Einen wegweisenden Diskussionsbeitrag in Richtung Ablösung vom traditionellen deutschen Bildungsbegriff stellt Robinsohns bildungs politisch breit rezipiertes Werk „Bildungsreform als Revision des Curriculum“ (1967) dar, das eine Abkehr von inhalts- hin zu lernzielzentrierten Curricula forderte und dabei den outcome- und Nützlichkeits-orientierten Begriff der Qualifikationen akzentuiert – mit der Folge, dass die strikte Trennung von allgemeinerAllgemeinbildung und beruflicher BildungBildungberufliche aufweicht und allgemeinbildendeAllgemeinbildung Inhalte an berufsbildenden Schulen marginalisiert werden und zwischenzeitlich das „Verwertungsprinzip“ im Deutschunterricht die „PersönlichkeitsbildungPersönlichkeitsbildung“ als Ziel dominiert, ehe ab Mitte der 1970er Jahre auch allgemeinbildendeAllgemeinbildung Aspekte wieder stärker in den Vordergrund der deutschdidaktischen Diskussion rücken und Modelle der Integration von allgemeinerAllgemeinbildung und beruflicher BildungBildungberufliche diskutiert wurden, die den Gegensatz der beiden überwinden sollten. Ohnehin ist die in der Deutschdidaktik wesentlich häufiger und stärker vertretene Position diejenige, dass der Deutschunterricht im sprachlich-kommunikativen wie literarischen Bereich auch allgemeinbildendenAllgemeinbildung Zielen der Persönlichkeitsentwicklung dienen solle.
Ehe sich die Deutschdidaktik neben dieser Grundsatzdebatte für spezifischere, konkretere Themen und Aspekte interessiert, dauert es bin in die 1980er Jahre. „[Z]u Beginn der 70er Jahre [wird] der Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen schlicht nicht zur Kenntnis genommen“, und noch 1977, als die Zeitschrift Diskussion Deutsch ihr insgesamt 34. und dabei erstes Heft zu „Deutschunterricht an beruflichen Schulen“ vorlegt, konstatieren die Herausgeber in ihrem Vorwort selber, Deutsch in der Berufsschule sei „weitgehend noch terra incognita“ (zitiert nach Grundmann 2001:102, 94). Auch in Sammelbänden und Lexika zum Deutschunterricht sowie zur SprachSprachdidaktik- und LiteraturdidaktikLiteraturdidaktik kommt der Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen in dieser Zeit „nicht einmal am Rande vor“ (ebd.). Grundmann führt dies auf die „Sozialisation der Fachdidaktiker an den Universitäten“ zurück, die wahrscheinlich „während ihrer Schullaufbahn nicht ein einziges Mal mit dem beruflichen Schulwesen in Berührung gekommen“ seien (ebd.:95). Selbst die Deutschlehrer an beruflichen Schulen traten in den 1970er Jahren nicht in Erscheinung (Ludwigsen 1981:347). Kurz danach aber kommt es zur „Entdeckung des Deutschunterrichts an berufsbildenden Schulen durch die Fachdidaktik Deutsch“ (Grundmann 2001:103).
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