Für den in diesem Buch erfolgenden Vergleich von Verbalstil Verbalstilund Nominalstil Nominalstilsind natürlich die mit den oberflächensyntaktisch unterschiedlichen Ausdrucksvarianten verbundenen Unterschiede in der Perspektivierung von Sachverhalten relevant. Andererseits benötigen wir ein tertium comparationis für den Vergleich von satz- und nominalgruppenförmigen Realisierungen von Inhalten.
Da die Satzsemantik Satzsemantikvon von Polenz hier den theoretischen Hintergrund für die Bestimmung von Satzinhalten Satzinhaltbildet, wird mit seiner Modellierung der semantischen Rollen semantische Rollegearbeitet (eine Liste an semantischen Rollen (die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt) findet sich bei von Polenz 2008: 170ff.). Eine auch für unsere Ausführungen zum Nominalstil wichtige Grundannahme bildet die Einschätzung von von Polenz, dass es keine 1:1-Entsprechung zwischen der semantischen Rolle und dem nominalen Kasus Kasusgibt. So illustriert er an den folgenden Beispielen, dass Subjekten Subjektim Nominativ Nominativverschiedene Inhaltstypen entsprechen können (Auswahl):
Person, die eine Handlung Handlungsprädikatausführt: „Gott redete“ […]
Person, die einen Vorgang Vorgangsprädikatan sich erfährt: „die unter … gelitten haben“ […]
Person oder Sache als von einer Handlung betroffenes ObjektObjekt: „Sie werden daher gebeten …“ […]
Sache als durch eine Handlung hergestelltes ObjektObjekt: „Diese Rede wurde von seinem Ghostwriter geschrieben.“ (von Polenz 2008: 168)
Im ersten Beispiel ist das Subjekt Subjektalso ein AGENS/HANDELNDER, im zweiten Beispiel EXPERIENS/ERFAHRENDER, im dritten Beispiel AFFIZIERTES OBJEKT/BETROFFENES und im vierten EFFIZIERTES OBJEKT/RESULTAT/PRODUKT. Die Beispiele illustrieren darüber hinaus, dass von Polenz nicht nur davon ausgeht, dass eine grammatische Form/ein Satzglied Satzglieddem Ausdruck mehrerer satzsemantischer SatzsemantikRollen dienen kann, sondern dass es umgekehrt auch möglich ist, eine satzsemantische Rolle auch durch verschiedene grammatische Formen zu realisieren. So handelt es sich bei den beiden Sätzen, in denen das Subjekt als AFFIZIERTES bzw. EFFIZIERTES OBJEKT fungiert, um Passivsätze. Diese Rollen hätten sie auch dann, wenn sie in einem Aktivsatz als Objekt Objektim Akkusativ Akkusativrealisiert wären: Wir bitten Sie daher /Der Ghostwriter schreibt diese Rede .
Satzinhalt Satzinhalt
Mit einem Satz Satzwird eine Aussagegetroffen; im Sinne der Sprechakttheorie Sprechakttheorievollzieht der Sprecher damit eine HandlungHandlungsprädikat. Sätze haben folglich einen propositionalenund einen pragmatischenpragmatisch Gehalt. Nominalgruppen sind in der Regel in Sätze eingebettet Einbettungund stellen deshalb keine selbstständige Sprechhandlung dar. Folglich sind für den Vergleich von Sätzen und Nominalgruppen vor allem die Inhaltskomponenten relevant, die zum propositionalen Gehalt Gehalt, propositionalbeitragen. Zentrale Bestandteile der Propositionen(auch: PrädikationenPrädikation) sind das PrädikatPrädikat(= der Aussagekern) sowie die das Prädikat komplettierenden ReferenzstellenReferenzstelle.
NominalstilNominalstil: Eine erste Annäherung
Überblick
Das Kapitel beinhaltet eine erste Annäherung an den Begriff des Nominalstils ausgehend von Definitionen in linguistischen Lexika. Nach einer Analyse der Definitionsbausteine und einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Grammatik und Stilwerden diejenigen grammatischen Merkmalegenauer betrachtet, die in den Definitionen als Kennzeichen von Nominalstilgenannt werden. Im Anschluss daran wird das diesem Studienbuch zugrunde liegende Verständnis von Nominalstil eingegrenzt; vor diesem Hintergrund wird die Relevanz der gemeinhin als Nominalstilkennzeichen angenommenen grammatischen Phänomene erneut bewertet. Die Begriffsbestimmung wird abgerundet durch Überlegungen zu Nominalstil im engeren und weiteren Sinne.
Für eine erste Annäherung an den Begriff des Nominalstils erscheint es sinnvoll, gängige sprachwissenschaftliche Lexika zu Rate zu ziehen. Im „Metzler Lexikon Sprache“ sowie in Bußmanns „Lexikon der Sprachwissenschaft“ finden wir die folgenden Angaben:
NominalstilNominalstil(auch: Substantivstil) Kein Terminus; ungenaue Bez. für die stilist. Charakterisierung von Sach- und Fachprosa in Technik, Wiss., Recht, Verwaltung (Fachsprache) und Presseveröffentlichungen nach dem Merkmal des Auftretens komprimierter komprimiertSätze, die einer ökonom. und rationellen Kommunikation dienlicher erscheinen, obwohl sie das Verstehen u.U. erschweren; Amtssprache. Der N. ist gekennzeichnet durch Nominalisierungen, FunktionsverbgefügeFunktionsverbgefüge, die Häufung von (SubstantivSubstantiv-) Komposita Kompositum(z.B. Rückerstattungsmöglichkeitsausschluss ), erweiterte Attribute (z.B. der ehemals in Paris tätige Botschafter ). Komplexe Sätze und subordinierte Attributhäufungen werden durch den N. in komprimierte Konstruktionen verwandelt (z.B. Die Inkraftsetzung der Maßnahme des Bundesamtes für Verkehrssicherung zur begleitenden Förderung des Ausschusses des Bundesrates zwecks Sicherstellung eines unfalltotenfreien Schulanfangs ) und können durch Paraphrasen verständlicher gemacht werden. – Der N. ist beliebtes Objekt von Sprachpflege und Sprachkritik und der normativen Stilistik. (Glück/Rödel 2016: 467)
NominalstilNominalstil .Bezeichnung eines Stils, dessen grammatisches Hauptmerkmal der häufige Gebrauch abstrakter Substantive Substantivist. An die Stelle von selbstständigen oder untergeordneten Sätzen mit einem finiten Verb Verbfinittreten nominale Satzglieder Satzgliedmit einer Nominalisierung Nominalisierungals KernKern: Das Scheitern der Gespräche war erwartet worden statt Es war erwartet worden, dass die Gespräche scheiterten. Dem abstrakten Substantiv können weitere Informationsteile angegliedert werden, z. B. als Adjektivattribute Adjektivattribut( widerwillige elterliche Zustimmung statt Die Eltern stimmen widerwillig zu ), Genitivattribute Genitivattributmit mehrfacher Subordinierung ( die Zustimmung der Mitglieder des Vorstands der Reederei ), erweiterte Partizipialattribute Partizipialattributerweitert( die damals vom Vorstand beschlossene Erklärung ) oder als Kompositionsglieder ( Verkehrsberuhigungsmaßnahme ). Von Sprachpflege und normativer Stilistik wurde der N. oft als „Papierstil“ oder „Hauptwörterseuche“ kritisiert, doch empfiehlt sich unter funktionalem Aspekt ein differenzierteres Urteil: Syntaktisch-morphologische Verdichtung und das Implizitbleiben der semantischen Beziehungen ( Anklage des Ministers, Gesetzesvorlage ) erschweren zwar die Verständlichkeit, doch ermöglicht der Nominalstil konzentrierte Informationsvermittlung, abstrahierende Begriffsbildung (vgl. Verantwortlichkeit , Rechtsmittelbelehrung ) und mit dem Funktionsverbgefüge Funktionsverbgefügesystematische semantische Differenzierungen des Aspekts. Der N. ist daher ein funktional durchaus angemessener Stilzug informationsvermittelnder Textsorten, besonders in den Fachsprachen von Technik, Wissenschaft und Verwaltung. (Bußmann 2002: 472)
Diesen beiden Begriffsbestimmungen können wir zunächst entnehmen, dass es sich bei ‚NominalstilNominalstil‘ um ein vielschichtiges Konzept handelt:
Es handelt sich um einen ‚StilStil‘: Das deutet erstens, wie das Metzler Lexikon sagt, darauf hin, dass es kein Terminus im engeren Sinne ist. ‚Stil‘ bedeutet zweitens immer, dass wir es mit Wahlmöglichkeiten innerhalb eines Systems zu tun haben.
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