Wie in den anderen behandelten Grammatiken nimmt der Sprachvergleich zwischen Ziel- und Muttersprache auch bei Chantreau eine zentrale Rolle ein. Er thematisiert primär jene Strukturen, die sich im Spanischen und Französischen unterscheiden und widmet ihnen sogar ein eigenes Kapitel („Construcciones Castellanas que no admite el francés“; Chantreau 1786, 189), in welchem er beispielsweise auf eine Schwierigkeit mit der spanischen Konstruktion estar + gerundio hinweist:
Muchas veces en castellano en lugar del tiempo simple, se construye con el gerundio acompañado de estar, como: Está leyendo, en lugar de lee: estaba comiendo, por comia: estuvo hablando por habló, &c. El francés no admite esta construccion, sino la del tiempo simple; y asi es menester traducir: está leyendo il lit , estaba comiendo il mangeait , estuvo hablando il parla (Chantreau 1786, 189; Hervorhebung im Original).
Chantreau greift dabei meist nicht auf sein linguistisches Wissen zurück, um diese sprachstrukturellen Unterschiede zu erklären, sondern versucht, diese mithilfe einer Übersetzung darzustellen ( está leyendo — il lit ). Diese Vorgangsweise ist keine Seltenheit in den Französisch-Grammatiken des 18. Jahrhunderts und findet sich auch in anderen der gleichen Art (Fischer Hubert 1999).
Im Methodenkapitel gibt Chantreau (1786, XVII-XX) eine klare Anweisung, wie seine Grammatik zu verwenden ist, nämlich in Form eines dreimaligen Studierens, jedes Mal mit einem unterschiedlichen Schwerpunkt. Aus diesem Grund markiert er seine Grammatik mit Sternchen, Kreuzen und Klammern (Chantreau 1786, XVII), um so die von ihm vorgeschlagene grammatikalische Progression zu kennzeichnen:
Ello significa que Chantreau tiene organizado ya todo el material lingüístico según un criterio de mayor o menor importancia en cuanto a la pertinencia de su conocimiento, así como una concepción de la progresión que implica un ordenamiento del contenido según el criterio de lo más sencillo hacia lo más complejo (Fernández Fraile 1995, 135).
Zu Beginn sollen die Regeln der Aussprache gelernt werden. Sobald diese verstanden sind,
se dividirá […] [la] tarea diaria [del estudiante] en tres repasos, dándole a estudiar, 1. una porcion de las voces incluidas en la nomenclatura, ó recopilacion de las voces. 2. Otra corta porcion de las frases familiares. 3. Una leccion regular del cuerpo de la Gramática […] de modo que […] llegue al mismo tiempo á saber las reglas Gramaticales, las voces mas usuales, para con ellas hacer oraciones, y aquellas frases introducidas por el uso en la conversacion y trato de las gentes (Chantreau 1786, XVIII; Hervorhebung L.E.).
Seine Schüler sollen von Beginn an sowohl die grammatikalischen Regeln als auch kommunikative Komponenten lernen. Wortschatz und Redewendungen befinden sich damit auf einer Ebene mit den Regeln der Grammatik. Daraus ergibt sich auch, dass Übung und Anwendung der Regeln nicht am Ende des Lernprozesses stehen, sondern unmittelbar nachdem diese erklärt wurden (Fernández Fraile 1995, 176). Diese praktische, an der mündlichen Sprachkompetenz orientierte Komponente zeigt sich außerdem im Hinblick auf das Lernen der Verbformen, welche nicht von der 1. Person Singular bis zur 3. Person Plural pro Tempus und Modus gelernt werden sollen, sondern am besten „con personas sueltas, pasando con rapidez de un tiempo á otro“, denn diese Art zu konjugieren „es [la] que mas se asimila al mecanismo de conversacion“ (Chantreau 1786, XVIIIf).
Der Praxisbezug zeigt sich auch durch die Integration von Übersetzungs übungen , denn „[n]ada formará mas al Discípulo en el hablar y escribir que este trabajo, resultando de él la necesidad de practicar todas las reglas […]“ (Chantreau 1786, XX). Er unterscheidet zwischen versión und traducción , wobei er ersteres als eine wörtliche und letzteres als eine freie Übersetzung versteht (Chantreau 1786, XIX). Die versión ist dabei weniger als eine wörtliche Übersetzung im eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern vielmehr als eine Übung, in der die Regeln — vor allem der Aussprache — geübt und die Satzteile analysiert werden (Suso López 2016a). Dabei solle man mit der Übersetzung vom Französischen ins Spanische beginnen und sich erst im zweiten Schritt mit der Übersetzung in die eigentliche Zielsprache befassen. Das Ganze solle sowohl schriftlich als auch mündlich geübt werden (Chantreau 1786, XX). Mit diesen Übersetzungsübungen verfolgt Chantreau zwei Ziele: Ein linguistisches, nämlich die praktische Anwendung der Regeln und ein stilistisches, um so die Mechanismen der Kunst des Übersetzens kennenzulernen (Chantreau 1786, 257).
Abgesehen von der detaillierten Darstellung seiner Methode ist auch sein ca. 340 Seiten langes Suplemento erwähnenswert. Es besteht aus zwei Büchern und beinhaltet ausführliche Wortlisten, für die Kommunikation nützliche Sätze sowie eine Auflistung von spanischen und französischen Lexemen, die mehrere Bedeutungen in der jeweils anderen Sprache besitzen. Auch die oben schon angesprochenen Beobachtungen zur Übersetzung und die dazugehörigen Übungen befinden sich im Suplemento . Mithilfe dieses Ergänzungsbandes bereichert Chantreau „enormemente tal contenido lingüístico objeto de aprendizaje, al comprender igualmente un contenido léxico […], y fundamentalmente al ampliarlo hacia lo que actualmente se denomina ‚contenido comunicativo‘ […]“ (Fernández Fraile 1995, 132).
4 Versuch einer Kategorisierung
Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die behandelten Grammatiken nach ihren didaktisch-methodischen Grundgedanken zu kategorisieren und die Entwicklung von der klassischen Grammatik hin zum „Lehrwerk“ herauszuarbeiten. Ein solches Vorhaben ist nicht unproblematisch, weil sich in vielen der behandelten Werken keine didaktisch-methodischen Reflexionen finden. Erst ab dem 18. Jahrhundert treten diese vermehrt in Erscheinung. Die Tatsache, dass viele Grammatiken Merkmale mehrerer Ansätze beinhalten und dass in diesem Artikel ein Zeitraum von mehr als 200 Jahren behandelt wurde, erschwert das Vorhaben noch zusätzlich. Die nachstehenden Überlegungen (zusammengefasst in Tabelle 1) erheben also keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit und sollen eher als Grundlage für weitere Diskussionen dienen.
4.1 Zwischen Grammatikregeln und praktischer Anwendung: Die eklektische Methode
Im einführenden Teil wurden zwei unterschiedliche Ansätze des frühen Fremdsprachenlernens unterschieden. Im Folgenden sollen diese zusammengefasst und in Anlehnung an Suso López (2009, 103ff) um eine Methode erweitert werden.
Auf der einen Seite wurde von einer grammatikalischen Tradition gesprochen, deren Vertreter für ein bewusstes Lernen der Zielsprache eintreten, was mithilfe von Regeln und Sprachvergleichen vor allem zur L1 und zum Lateinischen erreicht werden soll. Das Verständnis der Regeln sowie das Memorieren derselben gemeinsam mit dem der Lexik würden zu einer adäquaten Sprachverwendung führen. Sowohl die Grammatiken von Billet (1688) als auch jene von Núñez de Prado (1728) können in diese Kategorie eingeordnet werden. Weder Billet noch Núñez de Prado erwähnen die mündliche Sprachkompetenz als Ziel. Auch fremdsprachliche Texte, Übungen oder didaktisch-methodische Reflexionen sind nicht zu finden (siehe Tabelle 1 auf Seite 29).
Bei Galmace (1745, 1748) sieht die Situation schon etwas anders aus. Suso López (2016b) ordnet seine Grammatik sogar als „modo ejemplar [de] los principios del método práctico en el siglo XVIII“ ein. Galmace geht sehr wohl auf die Wichtigkeit der mündlichen Sprachkompetenz ein, genauso wie er fremdsprachliche Dialoge am Ende seiner Grammatik integriert. Allerdings nimmt die Beschreibung der Grammatik doch einen Großteil seines Werkes ein, weshalb es nicht als Paradebeispiel für den praktischen Ansatz angesehen werden kann. Vielmehr sollte es als Brücke zwischen dem grammatikalischen und dem praktischen Ansatz bzw. als Wegbereiter für spätere Grammatiken allen voran für jene von Chantreau verstanden werden: „Será precisamente este autor quien dará un paso que se nos antoja decisivo para la enseñanza del francés en España […] yendo más allá de la concepción puramente gramatical“ (García Bascuñana 2005, 136).
Читать дальше